Ihrer Faszination kann sich keiner entziehen. Doch beim Adler-Schnupperkurs in der Lorcher Stauferfalknerei wird mit Mythen aufgeräumt, die sich um den Greif ranken.

Region: Andreas Pflüger (eas)

Lorch - Nicht wirklich still sitzende sechs Kilogramm Tier auf dem angewinkelten Unterarm werden für den Laien schnell zu einem echten Kraftakt. Dakota blickt sich neugierig um, zupft mit ihren Klauen an dem überdimensionalen Lederhandschuh herum und tippelt auf diesem – fast unmerklich, aber stetig – von links nach rechts und wieder zurück. Die einjährige Weißkopfseeadlerdame hat es sich auf dem Arm von Sabrina Baumann bequem gemacht, während Gunter Pelz von der Stauferfalknerei im Kloster Lorch erklärt, erklärt und erklärt.

 

Die Umstehenden hören interessiert zu und stellen neugierig eine Frage nach der anderen, während die junge Kursteilnehmerin aus dem fränkischen Bamberg vor allem mit sich selbst und der nachlassenden Stabilität ihres Ellbogens beschäftigt ist. Just in diesem Moment ist Erik Pelz, der als Falkner bereits in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, wie eine Erlösung. Ganz locker übernimmt er Dakota, steckt ihr ein feines Leckerli zu und entlässt das Tier schließlich zurück auf seinen schmucklosen Ansitz.

Ein Dutzend Männer und Frauen – alte und junge, von weither angereist oder aus der näheren Umgebung – sind zum Schnupperkurs „Könige der Lüfte – Begegnungen mit Adlern“ gekommen. Gemeinsam ist ihnen die Faszination für Greifvögel. Und nachdem die meisten schon bei etlichen Flugschauen und Vorführungen mit von der Partie waren, wollen sie an diesem Tag einfach mal selber machen und spüren, wie es sich anfühlt, einem Steinadler aus nächster Nähe in die Augen zu schauen oder ein Tête-à-Tête mit einem Steppenadler zu haben. Doch bevor es auf dem malerischen Fleckchen Erde, mit Blick über das Remstal hinweg in Richtung der Drei-Kaiser-Berge, praktisch zur Sache geht, gibt es erst einmal eine satte Portion an theoretischem Wissen und an wichtigen Details aus berufenem Munde. Das gehört eben dazu.

„Raubvögel“ gibt es nicht

Gunter Pelz bittet in eine der heiligen Hallen des mittelalterlichen Klosters Lorch. Der 64-Jährige, der die Stauferfalknerei vor mittlerweile zehn Jahren gegründet und damit sein Hobby zum Beruf gemacht hat, will seinen Kursteilnehmern nicht nur ein unvergessliches Erlebnis bereiten. Es geht ihm auch darum, dass sie das Verhalten der Tiere und die Tradition der Beizjagd besser verstehen lernen. Zuallererst wird das Wort „Raubvogel“ generell aus dem allgemeinen Sprachschatz verbannt: „Nur Menschen rauben und stehlen. Vögel tun das nicht“, stellt Gunter Pelz klar. Er spricht von Beutegreifern oder eben von Greifvögeln. Zugleich räumt der Fachmann aber auch mit den Mythen auf, die den Adler umgeben.

Mutig und stolz, majestätisch und erhaben: diese Eigenschaften eilen vor allem dem Aquila, dem echten Adler, voraus. Doch der Falkner will davon nichts wissen. „Das sind ganz einfache Beutegreifer, die zwischen Maus und Gämse so ziemlich alles jagen. Allerdings würde sich kein Adler eine Gams schnappen, die sich womöglich wehren könnte, wenn er auch einen Hasen haben kann.“ Und das scheinbar endlose und genussvolle Kreisen in luftigen Höhen? „Das macht kein Greifvogel einfach so aus Jux und Dollerei, sondern nur, wenn er hungrig ist und nach Beute sucht oder um sein Revier abzustecken“, sagt Pelz. Und auch mit der Größe und der Mächtigkeit sei das so eine Sache: „Ein Zwergadler ist nicht einmal so groß wie ein Bussard.“

Als sein Sohn Erik dann allerdings den Raum betritt mit einem stattlichen Steinadler auf dem Arm, ist die Ehrfurcht vor dem offenbar faulen König der Lüfte bei den Zuhörern sofort wieder da. „Das ist einfach gewaltig“, flüstert Sabrina Baumann ihrem Nebensitzer zu, der ebenfalls gebannt auf das Tier starrt. Zudem scheint Usuri, der vier Jahre alte Golden Eagle, ein wenig nervös zu sein. Mit scheinbar hektischen Kopfbewegungen mustert er die ihm unbekannten Gäste, hebt und senkt in einem geheimnisvollen Rhythmus seinen grauen Schnabel.

Doch Erik Pelz wirkt noch recht entspannt. Er würde es als Erster bemerken, wenn sich Usuri in dieser Gesellschaft unwohl fühlen würde. „Die entscheidenden Signale sendet ein Adler mittels seiner Krallen“, sagt er mit einem breiten Lächeln. Und sein Vater hat natürlich die entsprechenden Zahlen dazu parat: „Ein Steinadler kann mit seinen Klauen eine Griffkraft von bis zu zwei Tonnen aufbauen. Wenn der seine Fänge mal geschlossen hat, dann macht sie ihm keiner mehr auf.“

Steinadler sind zu gefährlich für Spielchen

Ernsthafte Gedanken oder gar Sorgen um ihr körperliches Wohlbefinden müssen sich die Kursteilnehmer in Lorch dennoch nicht machen. „Einen unserer Steinadler bekommt hier niemand auf die Faust. Das wäre mir dann doch zu gefährlich“, sagt Gunter Pelz, der noch einen kurzen Überblick über den Charakter und das Handeln seiner Lieblinge gibt, ehe es schließlich nach draußen geht. Schnell wird dabei deutlich, dass die Falknerei mit Dressur oder gar mit Abrichten nichts zu tun hat, weil sich Greifvögel weder unterordnen noch – im eigentlichen Wortsinn – gehorsam sind.

„Sie tun nur, was sie für richtig erachten. Und weil die Vögel machen, was sie wollen, nutzen nicht wir ihr Tun aus, sondern sie das unsere“, sagt der Experte. Die Falknerei sei nichts anderes als eine Form der Kooperation. „Wir tragen die Tiere ja zu ihrem Futter, das ist sehr bequem und erspart ihnen die Beutesuche. Und weil sie profitieren, geben sie uns eben etwas zurück.“

Mit diesem Wissen und der Maßgabe, dass keiner muss, wenn er nicht will, dass es in keiner Weise darum geht, sich irgendetwas zu beweisen, und dass niemand den Macker heraushängen muss, spaziert die Gruppe hinüber zur Wohnstatt der Vögel. Auf dem abgezäunten Gelände scheinen einige der Flug- und vor allem Landepartner in spe bereits ungeduldig zu warten. „Ein wenig weiche Knie habe ich ja schon“, räumt Markus Blanz ein. Der Ingenieur aus Heilbronn ist sich noch nicht sicher, ob er das Experiment wirklich wagen wird. Angst zu haben wäre ein schlechter Ratgeber. Die Körpersprache sei entscheidend, betont Gunter Pelz. „Adler sind optisch ausgerichtete Tiere, die alles sehen. Alles!“

Pedro, der Wüstenbussard

Aus diesem Grund ist von Enttäuschung auch keine Spur, als der erste „Partner“ aus seiner überdimensionalen Voliere geholt wird. Der Wüstenbussard Pedro ist angesichts seiner überschaubaren Größe genau der richtige Kandidat, um die vorher erlernten Herangehensweisen umzusetzen und mit der praktischen Falknerei warm zu werden: seitlich stehen, möglichst wenig Körperfläche bieten, als Rechtshänder den linken Arm leicht gebeugt halten – und auf keinen Fall dem sich im Anflug befindlichen Vogel direkt in die Augen blicken, was dieser als pure Provokation auffassen würde.

Nach und nach kommen die – vermutlich pflegeleichtesten – Greifvögel zu ihrem Auftritt. Auf Pedro folgen die etwas größere Artgenossin Juma sowie die Steppenadler Momo und Pirat. Ja, und dann ist es so weit. Die Weißkopfseeadler Dakota und Watanka tippeln fast schon übermütig lässig aus ihren Häuschen und inspizieren, wer sie da heute so alles auf den Arm nehmen möchte. Die allermeisten wollen. Und nicht nur bei Sabrina Baumann kommt es zu dem krampfhaften Versuch, stabil zu bleiben und möglichst keine Ermüdung zu zeigen. Doch spätestens als sich Watanka und Dakota wieder kräftig von den Händen der Falknerei-Probanden abstoßen, um bei Erik Pelz ihre Belohnung einzukassieren, gibt jeder noch so kräftige Menschenarm unweigerlich nach.

Zum Finale hüpft dann noch Caspar um die Ecke: kein Adler, sondern ein Mönchsgeier, stattliche zehn Kilogramm schwer. Und jeder erinnert sich spontan an die Worte von Gunter Pelz, dass „keiner muss, wenn er nicht will“. Allerdings haben sich die Profis ohnehin nur einen kleinen Spaß mit ihren Kursteilnehmern gegönnt, denn der sechs Jahre alte Caspar gehört nicht nur einer der größten flugfähigen Arten seiner Spezies an, er ist außerdem eher der wählerische Typ. So wird schnell deutlich, dass seine Zuneigung nicht mehr dem umtriebigen „Vater der Falknerei“, sondern eher dessen Sohn Erik gehört. Wie sagte Gunter Pelz vorhin noch gleich: „Der Vogel entscheidet, nicht der Mensch.“