Die BASF will in Grenzach-Wyhlen hochgiftige Altlasten einkapseln lassen, während der Pharmariese Roche für 250 Millionen Euro bereit ist, das kontaminierte Erdreich auszuauschen. Nun will Umweltminister Franz Untersteller mit der BASF darüber reden

Grenzach-Wyhlen - Der Termin, der für die Kesslergrube in Grenzach-Wyhlen (Kreis Lörrach) eine Vorentscheidung bringen sollte, hat Manfred Mutter kalt gelassen. Am Donnerstagabend hatte der Chemiekonzern BASF ins Haus der Begegnung der Industriestadt am Hochrhein eingeladen. Dort sollte vorgetragen werden, wie er seinen Teil im mit Kosten von derzeit fast 280 Millionen Euro größten Altlastenfall des Landes Baden-Württemberg zu regeln gedenkt.

 

Mutter und die von ihm geführte Bürgerinitiative „Zukunftsforum Grenzach-Wyhlen“ sind gar nicht erst hingegangen. „Wir haben den Abend ganz bewusst boykottiert“, erklärt der 71-jährige emeritierte Chemieprofessor. Eine Aktivistin hat bei der Veranstaltung eine Erklärung abgegeben und ist wieder verschwunden.

In der Kesslergrube lagern nach einem internen Bericht der chemischen Industrie Basel rund 15 000 Tonnen hochgiftiger Chemiemüll. Es ist die schmutzige Hinterlassenschaft der Firmen Ciba, Roche, Geigy und Syngenta. Ein Cocktail von bis zu 4000 bekannter und unbekannter, zumeist hochgefährlicher Stoffe und Stoffverbindungen, schätzt der Basler Geograf Marin Forter sind im Boden.

Abfall, Hausmüll, Bauschutt und jede Menge Chemiemüll

Zwischen 1950 und 1976 haben die Chemie- und Pharmakonzerne ihre Altlasten zusammen mit Hausmüll, Bauschutt und anderen Abfällen dort entsorgt. Nun, Jahrzehnte später, muss das Gift wieder raus. Im Fall der Kesslergrube hat die Altlastenkommission des Landes im Jahr 2011 die Sanierung beschlossen. Bei der benachbarten, 78 Hektar großen Hirschackergrube sollte im Jahr 2009 eine Teilsanierung ausreichen. Nach Schätzungen schlummern weiter bis zu 100 000 Tonnen Giftmüll in der Erde.

In der Kesslergrube wird der verseuchte Boden ausgetauscht. Der Pharmariese Roche hat sich dazu bereit erklärt. Doch ist er nur für zwei mehr als zwölf Hektar große Teilflächen des 48 Hektar umfassenden Areals zuständig. Die BASF als Rechtsnachfolgerin von Ciba-Geigy darf ihren Teil der Altlasten auf einem 28 Hektar großen Feld belassen. Schon früh hat der Konzern aus Ludwigshafen erklärt, dass für ihn nur eine Einkapselung in Frage kommt.

Der BASF-Teil liegt im Osten des Areals. Dort stehen auch Industriegebäude und eine Kläranlage, die die Gemeinde mitbenutzt. Dieses Gelände soll mit einer 800 Meer langen und einen Meter dicken Mauer umschlossen werden. Bis zu 30 Meter tief in die Erde soll die Dichtwand gehen. Auch nach oben hin soll die Fläche versiegelt werden, doch nach unten wird sie offen sein. Pumpbrunnen sollen dafür sorgen, dass das Grundwasser unbelastet bleibt.

Zwei Sanierungsarten bei ein und derselben Altlast

Dass in diesem Fall zwei so unterschiedliche Sanierungsarten möglich sein sollen, treibt nicht nur die Bürgerinitiative um. Auch der Gemeinderat von Grenzach-Wyhlen hat Protest erhoben. Am 27. Mai will er eine Entscheidung verkünden. Neben der Bürgerinitiative boykottierten die meisten Parteien im Gemeinderat die BASF-Veranstaltung, sodass gerade einmal 50 Zuhörer der Präsentation beiwohnten.

Konkurrent Roche zeigt, wie es auch anders gehen kann. Ohne große Diskussion hat sich der Pharmagigant zu einer Totalsanierung bereit erklärt. Auf mehr als zwölf Hektar im westlichen und nördlichen Teil wird die vergiftete Erde bis zu einer Tiefe von 20 Metern ausgegraben. Rund 120 000 Kubikmeter belasteter Boden sollen dabei ausgetauscht werden.

Die Arbeiten sollen 2016 beginnen und sechs Jahre andauern und laut Roche 239 Millionen Euro kosten. Das zuständige Landratsamt Lörrach spricht bereits von 250 Millionen Euro. „Es ist toll, dass Roche das ganz ohne politischen Druck macht“, lobt Experte Forter.

Die Einkapselung wird die BASF indessen nur 28 Millionen Euro kosten, bei zwei Jahren Bauzeit. Die Totalsanierung hingegen würde das Unternehmen fast zehn Mal so teuer wie die Discountlösung. Wäre BASF gezwungen, den Boden ebenfalls auszutauschen, kämen auf den deutschen Chemieriesen Verpflichtungen in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro zu.

Gutachten sieht BASF-Sanierung als weniger nachhaltig an

An solchen, die Aktionäre erschreckenden Ad-hoc-Mitteilungen, habe eine Aktiengesellschaft sicher kein Interesse, glaubt BI-Chef Mutter. Doch die deutschen Umweltgesetze erklären beide Sanierungsvarianten für zulässig. Der von der BASF gewählte Sanierungsweg entspreche „voll und ganz den gesetzlichen Anforderungen“ , teilt die Firma mit. Er sei zudem auch „nachhaltig“.

Dem aber widerspricht ein 100 Seiten langes Gutachten des Diplom-Physikers und Umweltexperten Helmut Dörr (Wiesloch) im Auftrag des Landratsamtes. „Die Variante Aushub ist nachhaltiger als die Variante Einkapselung“, verkündete Dörr unmissverständlich bei der öffentlichen Vorstellung der Expertise. „Das Gutachten bestätigt, was wir seit Jahren sagen“, erklärt erfreut Geograf Forter, der für Greenpeace Schweiz kritische Studien verfasst hat.

Der Konflikt um den größten Altlastenfall im Land hat am Ende auch die grün-rote Regierung erreicht. Justizminister Rainer Stickelberger, SPD-Abgeordneter in Lörrach, bat Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) zu überprüfen, ob die Einkapselung „tatsächlich ausreichend nachhaltig und genehmigungsfähig ist“. Untersteller will sich das gleich von der BASF anhören und hat den Konzern nach Stuttgart eingeladen.

„Ich denke, es ist allen Beteiligten ein wichtiges Anliegen, eine möglichst breite Akzeptanz für die Umsetzung der Sanierung zu erzielen“, erläutert der Minister. Zunächst beschäftigt sich von Montag an die Altlastenbeseitigungskommission des Landes mit der Sache. Von Mitte Juni an werden die Pläne für einen Monat öffentlich ausliegen. Eine Entscheidung will das Landratsamt nicht vor Oktober treffen.