Meinungsfreiheit schützt stets zuerst die Meinung Andersdenkender. Sie setzt die Bereitschaft zur Toleranz voraus und endet dort, wo Grundrechte Dritter missachtet oder auch nur in Frage gestellt werden, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wenn das Grundgesetz eine Hitliste wäre, dann müsste der Artikel fünf eigentlich auf Platz eins stehen. Dort wird die Meinungsfreiheit garantiert. Doch daran herrscht gerade Mangel, wenn man einschlägigen Umfragen glauben darf. Dieses Meinungsbild beruht auf einem doppelten Missverständnis: Meinungsfreiheit ist kein exklusives Privileg, das allein die eigene Meinung schützt. Sie wird nicht durch unliebsame Meinungen beeinträchtigt, setzt vielmehr die Bereitschaft voraus, für deren Schutz einzutreten. Morddrohungen gegen Andersdenkende wie aktuell gegen den Grünen-Politiker Cem Özdemir sind besonders niederträchtige Anschläge auf die Meinungsfreiheit. Sie entspringen einer Unkultur des Hasses, die im gleichen Milieu gedeiht, aus dem auch das Lamento ertönt, die „Grenzen des Sagbaren“ würden immer mehr eingeschränkt.