Die Pufferzone zwischen Süd- und Nordkorea ist das letzte Bollwerk des Kalten Kriegs. An der stark befestigten Grenze am 38. Breitengrad stehen sich mehrere Hunderttausend verfeindete Soldaten gegenüber – ein Besuch.

Panmunjeom - Wer einen kurzen Rock trägt, für den ist die Reise zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat. Dasselbe gilt für das Tragen von Shorts, ärmellosen T-Shirts, Jeans mit Löchern oder Flipflops. Die Liste an Vorschriften ist lang, für Besucher der sogenannten entmilitarisierten Zone (DMZ). So wird die 248 Kilometer lange und je zwei Kilometer nördlich und südlich der Waffenstillstandslinie am 38. Breitengrad genannt, welche die Demokratische Volksrepublik Korea von Südkorea trennt. Ob der Busfahrer tatsächlich einen unangemessen gekleideten Touristen am Reisebüro in Seoul zurückließe, ist unklar. Keiner hat den Test gewagt. Alle im ausgebuchten Reisebus tragen lange Hosen – trotz des heißen Wetters.

 

Gina Lee versucht eine Erklärung. „Die Nordkoreaner sollen nicht denken, wir im Süden hätten kein Geld, uns gut anzuziehen“, röhrt die mikroverstärkte Stimme der Reiseleiterin bis in die letzte Sitzreihe. Nichts soll dem Feind im Norden Anlass zu antiwestlicher Propaganda geben. Während sich Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump seit Monaten in nukleartaktischen Drohszenarien überbieten, wird an der wohl gefährlichsten Grenze der Welt Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt.

„Are you ready, guys?“ (Seid ihr bereit, Leute?), ruft Gina Lee übertrieben gut gelaunt in den Bus und klatscht in die Hände, bevor der Busfahrer die Autobahn Richtung Norden ansteuert. Nur eine Stunde dauert die Fahrt. Schon lange vor der ersten Kontrollstation am Ufer des Imjin-Flusses sind auf der linken Seite Wachtürme und mit mehrfach gewundenem Stacheldraht bewehrte Zäune entlang der Autobahn zu sehen. Dahinter erstreckt sich, hermetisch abgeriegelt, die letzte stalinistische Diktatur.

Überbleibsel des Eisernen Vorhangs

Zu sehen sind allerdings nur bewaldete Hügel. Ein helles Band schlängelt sich durch das Grün, die Schneise für den Grenzzaun. Seltene Vogelarten soll es in dem Niemandsland geben, angeblich sogar Exemplare des sonst auf der Koreanischen Halbinsel ausgestorbenen Amurleoparden. Genau weiß das keiner. Das Betreten der Zone ist von beiden Seiten verboten.

Nur eine Handvoll lizenzierter Reiseunternehmen dürfen mit ihren Bussen bis zur Grenze vordringen, und das nur auf festgelegten Routen und unter strenger Kontrolle des Militärs. Das Geschäft brummt, auch wenn es dieses Jahr weniger geworden ist, wie Gina Lee erzählt. Jedes Jahr buchen bis zu einer halben Million Menschen die Tour zum sozusagen letzten Überbleibsel des Eisernen Vorhangs. Vor allem Amerikaner und Europäer zählen zu den Gästen.

Gina Lee bittet eine Frau nach vorn, die sie als Seo Yong vorstellt. Es ist nicht der richtige Name der schmalen, vielleicht vierzig Jahre alten Koreanerin. Sie ist eine Überläuferin, ein Flüchtling aus dem hermetisch abgeschlossenen Norden. Nur etwa 25 000 Menschen ist seit dem Ende des Koreakriegs 1953 die Flucht gelungen ist. Ihre zwei Schwestern lebten im Norden, die wolle sie nicht gefährden, übersetzt Gina Lee die Worte der Frau, daher der falsche Name.

Besuchergruppen im Militärgebiet

Geduldig beantwortet Seo Yong Fragen. Nein, seit 2002 werde nicht mehr gehungert im Norden, es gebe sogar freie Märkte. Nein, sie sehe keine kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Koreas. Nein, sie habe sich auch nicht verändert seit ihrer Flucht. „Wir sind alle Koreaner, wir sind ein Volk.“ Nur die Sprache im Süden, die so viele Worte aus dem Englischen aufgenommen hat, sei anders. Die Antworten kommen fast mechanisch, ihr Gesicht zeigt keinerlei Regung.

Gelbschwarze Barken auf der Straße zwingen den Bus zur langsamen Slalomfahrt. Vor dem „Vereinigungsbrücke“ genannten Flussübergang steigt ein südkoreanischer Soldat in den Bus und kontrolliert die Pässe. Es ist die erste von mehreren Kontrollen. Fotografieren ist erst einmal verboten.

Langsam geht es weiter über schmale, von sattgrünen Wiesen gesäumte Straßen. Dann hält der Bus im Camp Bonifas. Ein US-Soldat steigt zu. „Goetsch“ steht auf der Uniformjacke zu lesen. Der 19-jährige Gefreite, der erst vor zwei Monaten nach Korea versetzt wurde, übernimmt die Führung. Er ist einer von etwa 700 Soldaten der UN-Waffenstillstandskommission, welche die „Joint Security Area“ in Panmunjeom, die gemeinsame Sicherheitszone der beiden Koreas bewachen, das nächste Ziel der Tour. Sie liegt mitten in der militärischen Sperrzone und direkt an der Demarkationslinie. Vor allem aber schleust er Besuchergruppen durch das Militärgebiet, vier bis fünf am Tag.

„Nicht winken, nicht schreien“

Alle müssen aussteigen, bis auf Seo Yong. Sie bleibt im Bus. Für die Nordkoreanerin ist die Reise zu Ende, sie darf das Niemandsland nicht betreten. Die anderen Besucher müssen sich gelbe Plastikkarten umhängen, die sie als Gäste der UN ausweisen und ein Papier unterzeichnen, auf dem steht: „Mit dem Besuch der Sicherheitszone betreten Sie feindliches Gebiet, Verletzungen oder Tod als Folge feindlicher Aktionen sind nicht auszuschließen.“ Ein Militärfahrzeug bringt die Besucher dann die restlichen vier Kilometer zur Sicherheitszone, vorbei an roten Warnschildern mit der Aufschrift „Minen“ in sonst unberührte Natur.

Mit gerade 800 Meter Durchmesser ist die Sicherheitszone überschaubar. Die Besucher müssen sich in Zweierreihen aufstellen. „Nicht winken, nicht in Richtung Norden zeigen, nicht schreien“, befiehlt der Gefreite Goetsch den Besuchern. Fotografieren ist erlaubt, aber nur in Richtung Nordkorea. Dort, in zweihundert Meter Entfernung, steht ein nordkoreanischer Wachsoldat vollkommen regungslos und blickt in Richtung der in dieser militärischen Kulisse absurd undiszipliniert und anarchisch bunt wirkenden

Touristentruppe. An diesem Ort ist der permanente Kriegszustand, in dem sich die Bruderstaaten seit Ende des Koreakrieges 1953 befinden, unangenehm spürbar.

Hinterausgang Richtung Norden

Drei in strahlendem UN-Blau gestrichene Baracken bilden das Herz der Sicherheitszone. Auf Goetschs Befehl setzen sich die Besucher in Bewegung und betreten das mittlere der drei Gebäude, das wie die anderen zur Hälfte auf süd- und nordkoreanischem Boden gebaut ist. Keine Mauer, kein Stacheldraht weist auf die Grenze hin, nur ein fußbreites im Sand eingelassenes Betonband. Es ist der einzige Ort auf der Koreanischen Halbinsel, an dem die Grenze übertreten werden kann.

Sollten je Vertreter der beiden Staaten wieder miteinander reden wollen, werden sie es an dem dunklen, auf Hochglanz polierten Konferenztisch in dem provisorischen Bau. Derzeit herrscht Funkstille. Zwei südkoreanische Soldaten wachen hier, sollte jemand auf die Idee kommen, den Hinterausgang Richtung Norden zu nehmen. Versucht hat das noch keiner.

Umgekehrt aber gab es immer wieder Versuche von Militärs, aus dem Norden in den Süden vorzudringen. Vier Tunnel wurden in den vergangenen 60 Jahren in Südkorea entdeckt. Wer weiß, wie viele es noch geben mag, die aber unentdeckt blieben. Der Ausgang des 3. Tunnels wurde 1978 nur 52 Kilometer entfernt von Seoul entdeckt.

Blick auf eine Geisterstadt

Mit einer kleinen Bahn werden die Besucher in die feuchte Kälte der Felsröhre gefahren, die bis siebzig Meter unter die Erde reicht. Angeblich hätte Nordkorea durch den engen Gang 30 000 Soldaten pro Stunde in den Süden bringen können. Schwer vorstellbar, wo selbst die Kinder unter den Besuchern sich bücken müssen, damit die gelben Bauarbeiterhelme auf den Köpfen nicht gegen die Granitdecke stoßen. Nach vierhundert mühseligen Metern endet der Gang vor einer Stahltür. Eine rote Lichterkette ist um den Stacheldraht gewunden, der die Grenze zum feindlichen Erdreich markiert.

Vom „Dora Observatory“ genannten Aussichtspunkt aus, dem nächsten Stopp auf der Fahrt entlang der Grenze, ist ein Blick weit hinter die Grenze möglich. Mit den dort aufgestellten Ferngläsern könnte man sogar Menschen in den Straßen von Kijongdong, dem Vorzeigedorf an der Grenze, erkennen. Es ist aber niemand zu sehen. Eine Geisterstadt sei das, sagt die Reiseleiterin. Eine Kulisse für neugierige Blicke aus dem Süden.

Propaganda per Lautsprecheranlage

Überragt wird das Dorf von einem 160 Meter hohen Fahnenmast, an dem die rotblaue Fahne der Volksrepublik müde im heißen Wind hängt. Es ist der vierthöchste der Welt und ein Zeichen der selbst empfundenen Größe, das das Regime aus Pjöngjang Richtung Süden senden will.

Südkorea wählt andere Mittel. Koreanische Schlager schallen aus einer überdimensionierten Lautsprecheranlage Richtung Grenzdorf. Mit im Norden verbotener Musik werden die Grenzsoldaten bombardiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Provokationen mit Raketentests seitens Pjöngjang und Jagdbomberflügen der US-Armee ist dies nur ein weiteres Zeichen vollkommener Hilflosigkeit auf allen Seiten, wie dieser letzte Konflikt des Kalten Krieges nach fast siebzig Jahren zu einem friedlichen Ende gebracht werden kann.