Die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze wirft rechtliche und praktische Probleme auf. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Einzelheiten.

Berlin - Die Nerven sind gespannt in Berlin, und die Emotionen kochen hoch. Die handfeste Regierungskrise lässt wenig Raum für sachliche Debatten. Aber wenigstens sollten die Fakten klar sein, auf deren Basis der Machtkampf zwischen CDU und CSU geführt wird. Wir fassen die wichtigsten Problemkreise noch einmal zusammen.

 
Was will Seehofer genau?
Da niemand außer ihm und der Kanzlerin seinen „Masterplan Migration“ vorliegen hat, ist das gar nicht so leicht zu sagen, denn Seehofer äußert sich unterschiedlich. Klar ist, dass der Bundesinnenminister Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Land registriert und einen Asylantrag gestellt haben, an der deutschen Grenze zurückweisen will. Seehofer nennt gelegentlich aber auch zwei weitere Gruppen von Migranten: Schon einmal in Deutschland abgelehnte Asylbewerber, die es erneut versuchen, und Flüchtlinge ohne Papiere.
Um welche Größenordnungen geht es?
Wer bereits in einem anderen Land registriert ist, lässt sich anhand von Treffern in der sogenannten Eurodac-Datei ermitteln. Es handelt sich um einen durchaus großen Personenkreis: Fast 200 000 Menschen stellten 2017 in Deutschland erstmals einen Asylantrag. Bei annähernd 42 000 von ihnen lag ein Eurodac-Treffer vor. Das heißt, dass sie nachweislich über andere EU-Länder nach Deutschland gekommen sind, die nach der Dublin-Verordnung eigentlich für ihr Asylverfahren zuständig wären. In der Praxis funktioniert die Rückführung in die zuständigen Ländern aber längst nicht immer. 2017 gelang das gerade einmal in 7000 Fällen.
Wird denn nicht heute schon an der Grenze zurückgewiesen?
Doch. Auf Anfrage unserer Zeitung teilt die Bundespolizei mit, dass sie an den deutschen Grenzen von Januar bis April 2018 14 731 unerlaubte Einreisen festgestellt hat. Dabei kam es zu 3 900 Zurückweisungen. 2017 hat die Bundespolizei 50 154 unerlaubte Einreisen festgestellt. Es kam zu 12 370 Zurückweisungen. Dies sind natürlich nur dort möglich, wo Grenzkontrollen stattfinden. Dies ist gegenwärtig nur an der deutsch-österreichischen Landgrenze sowie bei den Grenzkontrollen im Nicht-Schengen-Verkehr an den Flug- und Seehäfen der Fall. Zurückgewiesen wird unter der Voraussetzung, dass kein gültiges Visum oder gültige Papiere vorliegen und die betroffene keinen Asylantrag stellt.
Was wären die praktischen Konsequenzen von Seehofers Plänen?
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat gerade eingeräumt, dass die Bundespolizei nur an drei von 90 (!) Grenzübergangen in Bayern durchgängig kontrolliert. Die völlige Überwachung der Grenze, einschließlich aller Schleichwege, führte zu einem enormen Personalaufwand. Sollen Seehofers Pläne nicht nur zu einer Verlagerung der Problematik auf andere Bundesländer führen, müssten die Kontrollen aber an allen Grenzen durchgeführt werden. Im Endeffekt würden die alten Binnengrenzen wieder zu einem unübersehbaren Hindernis, „Schengen“ wäre tot.
Wie ist die rechtliche Lage?
Grundsätzlich gilt: „Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen, will, wird an der Grenze zurückgewiesen.“ (Aufenthaltsgesetz §15) Das ist gängige Praxis. Wer kein Visum oder gültige Papiere hat, kann nicht einreisen. Aber das trifft nicht den Fall der Asylsuchenden. Nach deutschem und EU-Recht hat jeder Asylsuchende Anspruch auf individuelle Prüfung seines Falls. Allerdings regelt die Dublin-Verordnung, dass ein Flüchtling in dem Staat einen Asylantrag stellen muss, in dem er erstmals die EU betritt. Macht er das nicht, kann er in den Staat der ersten Einreise zurückgeschickt werden. Auch wer aus einem sicheren Drittstaat kommt, kann an der Grenze abgewiesen werden. Das Problem: In jedem Einzelfall muss geprüft werden, dass das entsprechende Land für ihn nicht sicher ist. Seehofer führt an, dass er das nicht mehr funktionierende und zeitweise von seinem Amtsvorgänger de Maiziere für Flüchtlinge aus Syrien ausgesetzte Dublin-Abkommen mit seinen Plänen wiederbelebe. Aber gerade in der einschlägigen Dublin-III-Verordnung geht es nicht um Zurückweisung, sondern um geordnete Rückführung. Dazu muss ein „Zuständigkeits-Bestimmungsverfahren“ durchgeführt werden. Wenn an der Grenze abgewiesen wird, bräuchte es ein geordnetes Verfahren. Dazu könnte Deutschland eine Verwaltungsvereinbarung nach Artikel 36 der Dublin-III-Verordnung mit Österreich treffen. Österreich muss zustimmen und die zurückgewiesene Person in Empfang nehmen. Der Minister hat sich stets auf das Gutachten des Verfassungsrechtlers Udo di Fabio gestützt, der ausführt: „Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur unbegrenzten Aufnahme von Opfern eines Bürgerkriegs oder bei Staatenzerfall besteht nicht“. Der Bund sei vielmehr „verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder einzuführen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist“.