Greta Gerwig war mit ihrem Regiedebüt „Lady Bird“ eine Oscarfavoritin. Im Interview verrät die Schauspielerin, wie autobiografisch der Film ist und warum bei ihr am Set Handys verboten waren. Am 19. April kommt „Lady Bird“ in die deutschen Kinos.

Stuttgart - Als Schauspielerin und Drehbuchautorin wurde die US-Amerikanerin Greta Gerwig bekannt. Nun feiert sie mit ihrem Regiedebüt ihren bislang größten Erfolg: Für ihre Geschichte von einem rebellischen Teenager war sie in diesem Jahr für den Oscar für die beste Regie nominiert - als erst fünfte Frau in der Geschichte des Oscars.

 
Ms. Gerwig, aus Ihrer kleinen, sehr persönlichen Regiearbeit „Lady Bird“ wurde ein mehrfach Oscar-nominiertes Phänomen, das allein in den USA 50 Millionen Dollar eingespielt hat. Wie sehr hat Sie das erstaunt?
Alles, was seit der Weltpremiere im vergangenen September passiert ist, übertrifft selbst die wildesten meiner Träume. Natürlich hofft man immer, dass die eigene Arbeit gut ankommt, zumal wenn man selbst davon überzeugt ist. Aber wirklich erwarten kann man das nicht. Was mich in all den Monaten am meisten begeistert hat, waren aber nicht irgendwelche Zahlen oder Nominierungen, sondern Gespräche mit Menschen, die mein Film berührt hat. Es gibt nichts Schöneres für mich, als wenn mir jemand erzählt: „Ich kannte Sacramento gar nicht. Doch ich kenne solche Orte, ich kenne diese zwischenmenschlichen Dynamiken, ich kenne diese Gefühle.“ Dass die Leute einen echten Bezug zu „Lady Bird“ zu haben scheinen, obwohl die Geschichte eigentlich sehr spezifisch ist, macht mich jedes Mal sehr glücklich.
Sie stammen selbst aus Sacramento und sind dann, genau wie Ihre Protagonistin, zum Studium nach New York gegangen. Wie autobiografisch ist die Geschichte?
Lassen Sie es mich mal so sagen: Lady Bird ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, wie ich als Jugendliche war. Ich habe nie darauf bestanden, dass mich jemand bei einem selbstgewählten Namen nennt. Und meine Haare habe ich mir auch nie knallrot gefärbt. Anders als sie war ich eher jemand, der anderen gefallen wollte und Regeln immer brav befolgte. Ich war weit entfernt von ihrem fast bedingungslosen Selbstbewusstsein. Insofern ist Lady Bird für mich, die tatsächlich auch in Sacramento aufgewachsen ist und dort auf eine katholische Mädchenschule ging, eher so etwas wie eine Wunscherfüllung. Sie ist so, wie ich gerne gewesen wäre.
Wie viel Persönliches steckt in der Mutter-Tochter-Beziehung, die ja das Zentrum des Films darstellt?
Auch meine Mutter ist ganz anders als die im Film. Die Geschichte ist also wirklich nicht autobiografisch. Aber das macht sie nicht weniger wahrhaftig. Ich glaube, gerade die Beziehung zwischen Lady Bird und ihrer Mutter ist etwas, mit dem sich nicht zuletzt viele weibliche Zuschauer identifizieren können. Ich bin mir sicher, dass Sie jede Frau auf der Straße nach dem Verhältnis zu ihrer Mutter fragen können – und stets eine Antwort bekommen, die länger ist als nur ein einziger Satz. Mütter und Töchter – das ist immer eine komplexe, nuancierte und wunderschöne Sache, und genau diesen Facettenreichtum wollte ich zeigen. Denn viel zu oft sind Mütter im Kino ja nur entweder Monster oder Engel, selten echte menschliche Wesen, die ihr Bestes versuchen und aller Liebe zum Trotz dennoch Fehler machen.
Im Film sagt Marion zu ihrer Tochter einmal, sie wünsche sich, dass Lady Bird die beste Version ihrer selbst werde. Würden Sie sagen, dass Ihnen selbst das inzwischen gelungen ist?
In diesem Moment bin ich gerade sicherlich nicht die beste Version meiner selbst. Dazu bin ich viel zu müde vom Jetlag (lacht). Aber ich würde tatsächlich sagen, dass ich als Regisseurin die beste Version meiner selbst bin. Wenn ich am Set bin und mit den Schauspielern und der Crew zusammenarbeite, dann werde ich irgendwie zu mehr als der Summe meiner Teile. Die kollaborative Natur des Filmemachens ist etwas, das aus mir das Beste herauszuholen scheint.
Wie würden Sie sich selbst als Regisseurin bezeichnen?
Ich glaube, ich bin sehr spezifisch und weiß bis ins Detail, was ich will. Schon bei den Drehbüchern, die ich mit Noah Baumbach geschrieben habe, war es immer so, dass jeder Dialog bis ins Kleinste ausgearbeitet war und mit diesem Skript dann auch am Set gearbeitet wurde. Das habe ich bei „Lady Bird“ auch so gemacht. Ich mag die Dialoge, die ich geschrieben habe, zu sehr um sie leichtfertig über Bord zu werfen. Gleichzeitig freue ich mich aber auch immer sehr, wenn mich meine Schauspieler überraschen. Mir ist es ganz wichtig, dass sie nicht bloß eine Rolle spielen, sondern wirklich dreidimensionale Figuren erschaffen. Deswegen bin ich auch ein großer Fan von Proben. Überhaupt ist Vorbereitung für mich das wichtigste, auch was die Zusammenarbeit in Sachen Kamera, Kostüme oder Ausstattung angeht. Ich kann im Vorfeld gar nicht genug Zeit mit meinem Team verbringen, um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Denn wenn die Kameras einmal laufen, dreht sich alles darum, keine Drehtage zu verschwenden. Also muss die Vision vorher entworfen sein.
Aber sicherlich gibt es doch dann trotzdem noch Momente der Frustration...
Sicher. Allerdings habe ich in meinem Leben als Schauspielerin schon genug Zeit an Filmsets verbracht um zu wissen, was mich beim Drehen wütend machen kann. Deswegen habe ich mir größte Mühe gegeben, nur Leute um mich zu versammeln, mit denen ich auch wirklich wochenlang 14 Stunden am Tag verbringen will. Außerdem legt man natürlich gewisse Grundregeln fest. Und zwar von Anfang an, nicht erst im Laufe der Arbeit, damit man nicht plötzlich als unberechenbarer Choleriker dasteht.
Welche Grundregeln galten denn bei Ihnen zum Beispiel?
Unter anderem habe ich Smartphones am Set verboten, denn die lenken unglaublich ab. Für einen Schauspieler, der sich gerade konzentrieren will, gibt es zum Beispiel nichts Nervigeres, als ständig fünf Leute im Blickfeld zu haben, die in einer Pause kurz ihren Instagram-Account checken. Aber das wichtigste ist tatsächlich die Auswahl des Teams. Menschen um sich zu haben, mit denen man eine Wellenlänge hat und die wissen, was sie tun – das ist die halbe Miete.
Wir haben noch gar nicht über Saoirse Ronan gesprochen. Wie haben Sie Ihre „Lady Bird“-Darstellerin gefunden?
Ich habe auf ganz gewöhnliche Weise gecastet, und tatsächlich dauerte es eine Weile, bis ich meine Lady Bird gefunden hatte. Dass Saoirse die perfekte Wahl war, wurde mir klar, als wir uns 2015 beim Filmfestival in Toronto trafen und in ihrem Hotelzimmer gemeinsam das Drehbuch lasen. Plötzlich erwachte diese Figur zum Leben, die bis dahin nur in meiner Vorstellung beziehungsweise meinen Worten existiert hatte. Ich war unglaublich begeistert von ihrer Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit – und bin es heute noch. Es erstaunt mich ungemein, dass Saoirse so jung ist, denn auf gewisse Weise wirkt sie, als habe sie schon mehrere Leben hinter sich.
Ihr Film beginnt mit einem Zitat von Joan Didion. Was bedeutet Ihnen diese Schriftstellerin?
Didion kommt auch aus Sacramento und spielt in meinem Leben eine wichtige Rolle. Sie war die erste Person, deren Texte ich als Teenager las und danach dachte, ich könne vielleicht selbst Autorin werden. Zuvor hatte ich überwiegend Literatur von Männern gelesen, die aus vollkommen anderen Lebensumständen stammten. Deswegen hatte ich lange Zeit das Gefühl, irgendwie nicht das richtige Geschlecht zu haben oder am falschen Ort zu leben. Deswegen war Didions erster Roman „Menschen am Fluss“ so ein Erweckungserlebnis für mich. Ich kannte diese Frauen, diese Orte, dieses Leben, diese Sprache.
Sie selbst waren erst die fünfte Frau, die je für einen Regie-Oscar nominiert wurde. Waren Sie selbst beeindruckt?
Es hat mich sehr gefreut und berührt, sowohl für die Regie als auch für das Drehbuch nominiert zu sein. Die Filmemacherinnen, die ich als Zuschauerin wahrgenommen habe, und die, mit denen ich später arbeiten durfte, haben mich stets inspiriert und mich meinen Weg mit Entschlossenheit gehen lassen. Als Kathryn Bigelow für „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ als erste und bis heute einzige Frau den Oscar gewann, war das auch für mich ein bedeutungsvoller Moment. Von daher wäre es für mich das Größte, wenn sich irgendwann mal Frauen davon inspirieren lassen, was mir mit meinem ersten eigenen Film gelungen ist. Mein eigentlicher Wunsch ist allerdings, dass wir irgendwann mal eine Selbstverständlichkeit erreichen, die es nebensächlich macht, wenn ein Film von einer Frau inszeniert wurde.