Die Region Stuttgart erlebt in letzter Zeit einen bemerkenswerten Rückstrom von Griechen, die ihr Glück in der alten Heimat versucht hatten – und an der Krise scheiterten. Wie fühlt es sich an, zurück in Deutschland?

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Es ist noch nicht viel los an diesem Morgen im Café Bliss. Wenige Gäste sitzen unter den weißen Sonnenschirmen, vom Bad Cannstatter Wilhelmsplatz brandet Straßenlärm herüber. Das Bliss ist einer der bekannten Griechentreffs in Stuttgart. Argidios Papadopoulos nippt an seinem Kaffee. Der Koch aus Filderstadt wirkt mit seiner Sonnenbrille und seinen weißen Jeans ein bisschen wie ein Urlauber. Entspannt plaudert der 43-Jährige mit Evangelia Domzaridis. Die Rentnerin ist mal wieder für eine Woche in Stuttgart, sozusagen auf Heimaturlaub. Seit vier Jahren lebt sie in Thessaloniki, wegen der Kinder, sagt die 74-Jährige. „Aber meine Seele ist noch in Deutschland.“

 

Ja, die Krise in Griechenland. Evangelia Domzaridis, die in Feuerbach gelebt und 44 Jahre lang zuerst bei Mahle und dann bei SKF gearbeitet hat, kommt mit ihrer deutschen Rente klar. Aber um sie herum sieht es düster aus. Auch Argidios Papadopoulos kann einiges erzählen über die Auswirkungen der Krise. Nicht nur, dass seine Eltern in der Heimat mehr und mehr in finanzielle Bedrängnis geraten. „Ich habe in den vergangenen fünf Jahren bestimmt 20 Bekannte hierher gebracht und für sie Arbeit gefunden“, erzählt der Filderstädter. Es waren Landsleute, die lange in der Region Stuttgart gelebt hatten, um die Jahrtausendwende aber zurückgegangen sind, als in Griechenland die Wirtschaft brummte. „Viele haben sich selbstständig gemacht, weil sie dafür kräftig Hilfen bekommen haben“, erinnert sich Papadopoulos. Nun sind sie wiedergekommen. „Die meisten haben als Lastwagenfahrer oder in der Gastronomie eine Arbeit gefunden“, sagt der Koch.

Zuletzt lebten 1974 so viele Griechen in Stuttgart

Es ist seit einigen Jahren eine beispiellose Rückkehrwelle griechischer Bürger in Gang. Und auch viele, die noch keine Beziehungen hierher hatten, suchen dort eine neue Zukunft, wo schon viele ihrer Landsleute leben. Die Region Stuttgart gilt bekanntlich als größte griechische Community in Europa außerhalb Griechenlands.

Ende des Vorjahres lebten in Baden-Württemberg 77 150 Bürger mit griechischem Pass, knapp 44 900 davon in der hiesigen Region, also fast 60 Prozent. Deren Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das zeigt das Beispiel Stuttgart. In der Landeshauptstadt wohnten 2011 noch rund 15 600 Personen mit griechischen Wurzeln (Eingebürgerte sind eingerechnet), Ende 2014 waren es schon knapp 17 350, das ist ein Plus von fast elf Prozent. Seit 2011 übersteigen die Zuzüge aus Griechenland – 2014 sind es 1365 gewesen – die jahrelang weitaus höheren Wegzüge stark. Für Stuttgart lässt sich sogar sagen, dass die Zahl der Bürger mit griechischen Wurzeln wieder annähernd so groß ist wie 1974, als in der Landeshauptstadt mit rund 17 500 Personen mehr Menschen griechischer Herkunft lebten und arbeiteten als je zuvor. Diese Entwicklung gilt genauso für die gesamte Region.

Vor genau vier Jahren, Ende Juni 2011, ist Zina Stalioglou mit ihrem Mann und ihrer Tochter wieder in Leonberg angekommen, wo sie ihre Jugend verbracht hatte und wo ihre Eltern heute noch leben. Die schickten sie auf das griechische Lyzeum, der Wunsch, dass die ganze Familie irgendwann wieder in die alte Heimat zurückkehrt, war noch lebendig. „Das war damals so eine Welle“, erinnert sich die heute 43-Jährige. Tatsächlich ging sie nach dem Abitur dann nach Thessaloniki.

Beim Thema Griechenland „fliegen die Fetzen“

Zina Stalioglou studierte Theologie, später fand sie eine gut bezahlte Stelle bei einem Textilexporteur. „Es war eigentlich alles super“, sagt sie. Bis die Krise kam. Bald war für Zina Stalioglou und ihren Mann, der ebenfalls hier aufgewachsen ist, klar: Ihre heute 15 Jahre alte Tochter würde in Griechenland keine Zukunft haben. Und das Paar fragte sich, wie durch die Krise kommen ohne die Eltern, die noch in Leonberg waren. „Ohne Familienunterstützung geht das nicht“, sagt die 43-Jährige.

Heute hat Zina Stalioglou wieder eine gute Stelle, als Assistentin in der Verwaltung einer Supermarktkette. Aber schwierig sei das zunächst schon gewesen. „Ich weiß nicht, wie das gewesen wäre, wenn wir die Sprache nicht beherrscht hätten“, denkt sie sich. Und auch wenn sie es geschafft hat, leidet sie doch mit den Menschen in ihrer alten Heimat. „Vor allem, dass Griechenland so in den Dreck gezogen wird“, empört die 43-Jährige. Dabei habe sie doch erlebt, wie ihre Landsleute für wenig Geld sehr hart arbeiten müssen.

Die Griechenlandkrise strapaziert das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen. „Es wird den Leuten die Würde genommen“, sagt Anna Ioannido über die öffentliche Debatte. Die 52-Jährige ist Anwältin und Übersetzerin in Stuttgart, jeden Tag hat sie mit Landsleuten zu tun, die in der Region verzweifelt eine Zukunft suchen. Ioannido findet es unerträglich, dass sogar Schüler, die hier geboren sind, von Altersgenossen wegen ihrer griechischen Herkunft gehänselt werden. Mit ihren Freunden hat sie ausgemacht, dass man gar nicht mehr über das Konfliktthema spricht. „Sonst fliegen die Fetzen“, sagt die Anwältin. Bei ihr habe die Auseinandersetzung schon einen unerfreulichen Effekt, hat Anna Ioannido festgestellt: „Wenn ich früher wir gesagt habe, hieß das: wir in Deutschland. Heute bedeutet es: wir Griechen.“