In der Debatte mit Alexis Tsipras im EU-Parlament sind die Emotionen so hoch gekocht wie nie zuvor. Die Abgeordneten schwankten zwischen Begeisterungsstürmen und Buhrufen, Martin Schulz musste immer wieder eingreifen.

Brüssel - So laut, so derb, so unversöhnlich ist es im Europaparlament wohl noch nie zugegangen: Am Morgen nach der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, eine allerletzte Frist bis Sonntag für eine Griechenland-Lösung innerhalb der Währungsunion zu setzen, gehen in der Debatte mit dem Athener Premier Alexis Tsipras die Emotionen hoch wie nie zuvor. Begeisterungsstürme und laute Buhrufe zwingen Parlamentspräsident Martin Schulz immer wieder zum Eingreifen. Von einem „Hexenkessel“ spricht der sozialistische Fraktionschef Gianni Pittella, obwohl doch „das Wohl und Glück Europas in diesen Tagen auf dem Spiel stehen“.

 

In einem dramatischen Appell fordert EU-Ratspräsident Donald Tusk eine Lösung, „sonst werden wir in vier Tagen in einem anderen Europa aufwachen“. Er spricht davon, dass alle Seiten für die so schwierige Lage verantwortlich seien: „Es ist nicht so, dass die Kreditgeber böse und und unmoralisch sind, während der Schuldner ein unschuldiges Opfer ist.“

„Sie zerstören das Vertrauen in Europa“

Der damit angesprochene Tsipras sagt, er sei sich „bewusst, das wir Verantwortung tragen, um einen historischen Bruch zu verhindern“, räumt jedoch nur in einem Punkt Fehler ein: „Wir haben in den fünf Monaten unserer Amtszeit vor allem verhandelt, weniger regiert – das muss ich gestehen.“ Sonst jedoch beharrt er auf Schuldenerleichterungen, „damit wir nicht alte Kredite mit immer neuen Krediten ablösen müssen“. Seine Parteigenossin Gabi Zimmer von der Linken erinnert daran, dass Deutschlands Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg erst nach dem Londoner Schuldenerlass von 1953 möglich wurde. Weil die Gläubiger stattdessen vor allem auf Disziplin setzen und mit dem „Grexit“ drohen, wiederholt Tsipras zum Unmut vieler Abgeordneter den Vorwurf des „Terrorismus“ von Seiten der Gläubiger.

„Ich hätte erwartet, dass sich Herr Tsipras für diese inakzeptablen Aussagen entschuldigt, stattdessen hat er leider Gottes nachgelegt“, kritisiert der deutsche CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber, Fraktionschef der Christdemokraten. Er hält Griechenlands Premier eine „würdelose Politik“ vor, weil er nicht anerkenne, dass auch die Menschen in Portugal oder der Slowakei für einen Schuldenschnitt zahlen müssten. „Sie zerstören das Vertrauen in Europa, der Rest Europas hat kein Vertrauen mehr in sie“, ruft er unter lautem Protest. „Die stehenden Ovationen von Rechts- und Linksradikalen“, sagt sein FDP-Kollege Alexander Graf Lambsdorff, „sprechen Bände über den verheerenden Schaden, den er dem Ansehen seines Landes und der europäischen Idee zufügt“.

„Es gibt eine neue Berliner Mauer, und sie heißt Euro.“

Für Euro- und EU-Skeptiker ist es tatsächlich ein Festtag. „Wir werden Zeugen einer unüberbrückbaren kulturellen Spaltung zwischen Deutschland und Griechenland“, so Nigel Farage, Chef der britischen Austrittspartei Ukip, der Webers Kritik an Tsipras „ekelerregend“ nennt: „Es gibt eine neue Berliner Mauer, und sie heißt Euro.“ Wie Farage empfiehlt auch die Vorsitzende des ultrarechten Front National aus Frankreich, Marine Le Pen, den Griechen den Austritt aus der Währungsunion, um sich wirtschaftlich mit einer abgewerteten Währung zu erholen.

Für europäische Lösungen plädieren an diesem Tag, da vor lauter Spaltung in Links und Rechts, Nord und Süd, Nation und Europa, das Scheitern des europäischen Integrationsprojektes in der Luft liegt, nur ganz wenige. Der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt macht Tsipras konkrete Vorschläge, die er in den nächsten Tagen vorlegen sollte – Verwaltungsreform, Öffnung der Berufe und eine Steuerreform. Er wirbt aber auch für einen gesamteuropäischen Schuldentilgungsfonds. Er bekommt Applaus dafür, aber er fällt viel leiser aus als der lautstarke Protest.