Mit Reparationsforderungen, mit einer Moskau-Reise und mit der Suche nach Schuldigen für die Finanzkrise versucht der Ministerpräsident bei seinem heimischen Publikum zu punkten – auch wenn er die EU-Partner damit verstört.

Athen - Bevor der griechische Premier Alexis Tsipras am Dienstagabend von Athen in Richtung Moskau startete, haute er noch einmal richtig auf die Pauke: Exakt 278,7 Milliarden Euro fordert seine Regierung von Deutschland, als Wiedergutmachung für Gräuel und Zerstörungen, die deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben. Vize-Finanzminister Dimitris Mardas bezifferte die Ansprüche am Montagabend in einer Parlamentsdebatte über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, der den Ursachen der griechischen Krise nachgehen soll. Schauprozesse gegen Mitglieder früherer Regierungen könnten folgen.

 

Die Moskau-Reise, die Reparationsforderungen und die Suche nach den Schuldigen für die Schuldenkrise haben einen gemeinsamen Nenner: Es sind politische Schachzüge, die vor allem das heimische Publikum beeindrucken sollen. Alexis Tsipras` Taktik ist allerdings riskant: Er strapaziert die ohnehin angespannten Beziehungen zu den europäischen Partnern und Geldgebern.

Die Reparationsfrage ist ein populäres Thema

Das Thema der deutschen Reparationen hat nicht Tsipras entdeckt, es wird in Griechenland seit Jahrzehnten diskutiert. Aber bisher hat kein Athener Regierungschef die Reparationsfrage politisch so bedenkenlos instrumentalisiert wie er. Das begann am ersten Tag: Minuten nach seiner Vereidigung ließ sich Tsipras zu einer Gedenkstätte für Nazi-Opfer im Athener Stadtteil Kesariani fahren, wo er vier rote Rosen niederlegte. Auch in seiner Regierungserklärung ging Tsipras ausführlich auf die Reparationsfrage ein. Das ist in Griechenland ein populäres Thema Über 90 Prozent der Bevölkerung unterstützen die Forderung.

Wenige Wochen später setzte das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein, der die Ansprüche und ihre Durchsetzung prüfen soll. Er stützt sich auf eine Studie des griechischen Rechnungshofes, die bereits im März 2013 abgeschlossen und als „geheim“ eingestuft wurde, bis eine griechische Zeitung sie vor vier Wochen veröffentlichte. Darin werden die Gesamtforderungen auf 269 bis 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos drohte vergangenen Monat damit, er werde deutsche Liegenschaften in Griechenland zwangsversteigern lassen, wenn Berlin nicht zahle.

Sollte die Bundesrepublik die Forderungen erfüllen, wäre Griechenland seine Staatsschulden auf einen Schlag los – eine verlockende, aber keine sehr realistische Vorstellung. Denn Berlin betrachtet die Reparationsfrage als erledigt.

Auch beim Treffen mit Putin geht es um viel Geld

Um Geld, wenn auch keine dreistelligen Milliardenbeträge, geht es auch bei Tsipras` Besuch in Moskau, wo er am Donnerstag Wladimir Putin treffen will. Im Kreml will der griechische Premier über Rabatte für russische Gaslieferungen verhandeln. Griechenland bezieht zwei Drittel seines Bedarfs vom Staatskonzern Gazprom. Im Gespräch ist auch eine griechische Beteiligung am russisch-türkischen Pipelineprojekt Turkish Stream. Die Leitung soll russisches Erdgas durch das Schwarze Meer in den europäischen Zipfel der Türkei bringen und könnte über Griechenland nach Mazedonien, Serbien und Ungarn verlängert werden. Damit könnte sich Gazprom neue Absatzmärkte erschließen.

Auf dem Wunschzettel, mit dem Tsipras nach Moskau fährt, stehen auch Handelserleichterungen: Athen wünscht sich ein Ende des Importstopps für griechische Agrarprodukte – Russland hatte die Sperre als Reaktion auf die EU-Sanktionen verhängt. Tsipras hatte die Sanktionen bereits vor seiner Abreise nach Moskau als „sinnlos“ und als „Sackgasse“ kritisiert. Im Kreml wird man es gern gehört haben.

Moskau zeigt seit langem Interesse an einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Griechenland. So wollten die russischen Staatsbahnen RZD bereits im vergangenen Jahr den zur Privatisierung vorgesehenen Bahnbetreiber Trainose und den Hafen von Thessaloniki übernehmen, der als „Tor zum Balkan“ gilt.

Griechen und Russen verbindet nicht zuletzt die Religion

Über der Privatisierungspolitik der Athener Regierung schweben allerdings immer noch große Fragezeichen. Im Wahlkampf hatte Tsipras angekündigt, er werde alle Privatisierungen stoppen und bereits privatisierte Unternehmen wieder verstaatlichen. Die akute Geldnot in Athen lässt allerdings wenig Spielraum für solche Experimente.

Ob in Moskau auch über einen russischen Hilfskredit für das nahezu zahlungsunfähige Griechenland gesprochen wird, ist ungewiss. Zwar ist Russland selbst knapp bei Kasse, aber wenn sich die Chance bietet, einen Keil in die EU und die Nato zu treiben, könnte sich Putin das einen Kredit kosten lassen.

Als Dankeschön müsste Tsipras eine Verlängerung der Sanktionen in der EU mit seinem Veto blockieren. Damit würde Tsipras sein Land zwar im Westen noch weiter isolieren. Aber viele Griechen würden ihm wohl applaudieren. Beide Völker verbindet nicht zuletzt die gemeinsame orthodoxe Religion. Von Europa fühlen sich dagegen viele Griechen unverstanden und bevormundet. Laut Umfragen hegen nur noch 23 Prozent positive Gefühle für die Europäische Union. Russland dagegen sind 63 Prozent der Griechen wohlgesonnen.