Für die Euro-Finanzminister kommt Athens Referendumsankündigung zu spät. Sie lehnen es ab, dafür das Kreditprogramm zu verlängern. Stattdessen reden sie am Samstag über Plan B – ohne Griechenland.

Brüssel - Europas Linke haben gejubelt am Tag nach der Ankündigung von Premier Alexis Tsipras, die Griechen über die Bedingungen der Geldgeber für neue Kredite abstimmen zu lassen. „Das Referendum ist die Rückkehr der Demokratie nach Europa“, teilte ihr Europaabgeordneter Fabio De Masi mit. Statt sich „weiter in die Rezession zu kürzen und immer neue Kredite zur Ablösung alter Schulden auf ihren Rücken zu laden“, brauche Griechenland „eine Umschuldung und ein Ende der Depression“, was vor allem die Bundesregierung aber bisher verweigere. „Ich bin sicher“, so der Deutsch-Italiener De Masi weiter, „die griechische Bevölkerung weiß nun was zu tun ist.“

 

Schon vor Beginn der Krisensitzung der Euro-Finanzminister zeichnete sich jedoch ab, dass es am 5. Juli – dem von Tsipras genannten Datum für die Volksabstimmung – überhaupt keine Möglichkeit mehr geben könnte, mit einem Ja zu den Bedingungen der anderen Euroländer weitere Kredite zu erhalten. Denn das zweite Griechenland-Programm, bereits zwei Mal verlängert und mit noch rund 18 Milliarden Euro für Athen ausgestattet, läuft am 30. Juni aus – und mehrere Minister deuteten bereits vor dem Treffen ihren Unwillen bezüglich einer Verlängerung an.

„Ein Referendum abzuhalten ist das legitime demokratische Recht einer jeden Regierung“, sagte Österreichs Minister Hans Jörg Schelling, „aber doch nicht nach Ablauf des Programms.“ Sein maltesischer Kollege Edward Scicluna sah das ähnlich: „Das Timing für dieses im Prinzip völlig legitime Instrument ist unglücklich – und das ist eine Untertreibung.“ Danach gefragt, ob es eine Verlängerung ohne Bedingungen geben könne, der auch noch fünf nationale Parlamente – darunter der Bundestag – ihren Segen geben müssten, sagte Belgiens Finanzminister Johan van Overtveldt: „Ich glaube nicht.“ Am eindeutigsten äußerte sich der Finne Alexander Stubb: „Eine Verlängerung kommt nicht in Frage.“ Und für diese Haltung gibt es in der Eurogruppe seiner Ansicht nach „eine klare Mehrheit.“

Dijsselbloem: „Problem beim Risikomanagement“

Gegen 17.30 Uhr herrschte Gewissheit: Die Euro-Finanzminister haben eine Verlängerung abgelehnt. In einer Erklärung, in deren Fußnote festgehalten wurde, dass alle Kollegen bis auf den griechischen sie unterstützten, hieß es: „Das laufende finanzielle Hilfsprogramm für Griechenland wird am 30. Juni 2015 auslaufen.“ Dass dies mehr als nur die Wiederholung einer altbekannten Tatsache war, ergab sich aus den Aussagen von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem aus den Niederlanden, als er vor die Presse trat und sagte, dass „die griechische Regierung in den nächsten Tagen nun ein großes Problem beim Risikomanagement hat“. Er fürchte, dass in Griechenland nun „ein paar unruhige Tage bevorstehen“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Am 30. Juni muss Athen 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen, am 20. Juli gut drei Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB). Ohne verfügbare Finanzierung scheint der offizielle Staatsbankrott damit nun unvermeidlich.

Athens Finanzminister Gianis Varoufakis hatte von der Runde eine dritte, aber kurze Verlängerung um „wenige Wochen“ erbeten – damit es für die Griechen auch noch etwas zu entscheiden gibt. Seine Regierung werde anschließend das Ergebnis des Referendums umsetzen – auch wenn es eine Zustimmungen zu den „rezessionsfördernden“ Gläubiger-Bedingungen gebe. Er hielt es gar für „sehr wahrscheinlich, dass die griechische Bevölkerung gegen unsere Empfehlung stimmen wird“. Auf die Frage, worüber die sie denn abstimmen werde, wenn das Geld aus dem Programm nicht mehr verfügbar sei, ging Varoufakis jedoch nicht ein. Stattdessen kündigte er an, dass „meine Regierung ihre Empfehlung für das Referendum verändern wird, wenn das Angebot der Gläubiger verbessert wird“. Nur indirekt räumte Varoufakis ein, dass es nichts mehr zu entscheiden geben werde: „Dem griechischen Volk ein Urteil über die Sparmaßnahmen zu verweigern wird die Glaubwürdigkeit der Eurozone dauerhaft beschädigen.“

Stubb: „Aus Plan B muss Plan A werden“

Der ehemalige finnische Premier Stubb kalkuliert nun mit dem bevorstehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion. „Ich werde in der Sitzung argumentieren, dass aus Plan B nun Plan A werden muss“, hatte er schon vor dem Treffen angekündigt. Die Griechen hätten „einseitig die Verhandlungen beendet“, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble: „Keiner meiner Kollegen sieht eine Möglichkeit, was wir jetzt noch machen können.“ In Kreisen seiner Delegation hieß es, es sei jetzt „zu 99 Prozent sicher, dass das zweite Griechenland-Hilfsprogramm Geschichte ist.“ Das sah ausgerechnet der Partner aus Paris ganz anders. „Frankreich steht Tag und Nacht für weitere Gespräche bereit“, sagte Finanzminister Michel Sapin vor Journalisten in Brüssel: „Niemand, am allerwenisgten Frankreich, will einen Grexit.“

Auch Schäuble stellte fest: „Griechenland ist und bleibt Mitglied der Eurozone.“ Schlicht und ergreifend deshalb, weil es keinen Austrittsmechanismus gibt, doch wurde in deutschen Regierungskreisen auch deutlich, „dass die Frage, ob und wie Griechenland Mitglied der Eurozone bleiben kann, nun von der griechischen Regierung beantwortet werden muss“.

In einem zweiten Sitzungsteil ohne Griechenland besprachen die Minister mögliche Konsequenzen ihrer Entscheidung und beschlossen, „alles Notwendige zu tun, um die Finanzstabilität der Eurozone zu sichern“, wie es in dem Kommuniqué hieß. Der slowakische Minister Peter Kazimir sagte: „Es geht jetzt um das Schicksal aller 19 Eurostaaten.“ Schäuble beharrte: „Der Euro ist stabil.“ Er sprach gleichzeitig davon, dies sei „kein erfreulicher Tag“ gewesen.

Wie kann ein Bankensturm verhindert werden?

Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer warf Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, die zukunftsweisenden Verhandlungen nicht an sich gezogen, „Grexit-Betreiber Schäuble das Feld überlassen“ und „sich den notwendigen Debatten um einen Schuldenschnitt für Griechenland stets verweigert“ zu haben.

IWF-Chefin Christine Lagarde hatte am Samstag ihre Forderung nach einer „Schuldenoperation der europäischen Partner“ erneuert. Und auch Varoufakis bekräftigte Beobachtern zufolge in der Sitzung den Athener Vorwurf, die Gläubiger hätten „kein glaubhaftes Angebot für Schuldenerleichterungen“ unterbreitet. „Das stimmt einfach nicht“, sagte dagegen eine EU-Diplomatin. Am Rande des EU-Gipfels vom Freitag hätten Merkel und Frankreichs Staatschef Francois Hollande Tsipras angeboten, „die Eurogruppen-Erklärung vom November zu konkretisieren, wenn er Reformen durchführt“. Damals hatten die Finanzminister auf Druck des IWF Griechenland ganz allgemein „weitere Maßnahmen und Unterstützung“ angeboten, wenn Athen dauerhaft sogenannte primäre Haushaltsüberschüsse erziele.

Nun geht es darum – und auch darüber sprachen die Minister – wie ein Bank Run in Griechenland verhindert werden kann. Athens Minister Varoufakis sagte, er setze darauf, dass die EZB die griechischen Institute bis zur Abhaltung des Referendums weiter mit Notkrediten, der sogenannten Emergency Liquidity Assistance (Ela), versorgen werde.

Die EZB hat die Obergrenze dafür in den vergangenen Tagen bereits mehrfach angehoben, weil die Griechen in den vergangenen Monaten und Wochen bereits einen zweistelligen Milliardenbetrag von ihren Konten abgehoben haben. Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, ob sich diese Entwicklung in den Stunden seit der Referendumsankündigung verstärkt hat. „Nicht alle Bankautomaten sind heute noch leistungsfähig in Griechenland“, sagte Schäuble.

Mehrere Kommentatoren sind der Meinung, EZB-Chef Mario Draghi könne ohne Aussicht auf den Abschluss eines Kreditprogramms keine weiteren Ela-Kredite mehr gewähren. Und ein möglicher Kollaps des Bankensystems würde das griechische Euro-Aus noch beschleunigen: „Wir dringen in den nächsten Tagen in völlig unbekanntes Gelände vor“, prophezeite der irische Finanzminister Michael Noonan. Die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament forderte einen sofortigen Euro-Sondergipfel, um das bevorstehende Chaos noch abzuwenden.