Auf der „Queen Elizabeth“ transportiert die Reederei Cunard den Glanz der guten alten Zeit - und den britischen Hang zum Skurrilen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Piräus - „Who can I turn to when nobody needs me“, schmachtet der Sänger. „An wen kann ich mich wenden, wenn niemand mich braucht?“ Gary und seine drei Mitstreiter wissen Abhilfe. Unermüdlich sind die vier Amerikaner auf der Suche nach Tanzpartnerinnen. Wann immer ein Quickstepp, Cha-Cha-Cha oder Twist beginnt, gehen sie im Ballsaal auf die Pirsch, bis sie eine Frau finden, die nur darauf wartet, aufgefordert zu werden. Ihre Absichten sind seriös. Ein goldenes Schildchen am Jackett weist Gary, Clio & Co. als sogenannte Gentleman Hosts aus. Gentlemen-Gastgeber, die von der britischen Reederei Cunard dazu auserkoren wurden, auf dieser Mittelmeerkreuzfahrt der „Queen Elizabeth“ die Damen in Schwung zu halten. Der Kapitän habe ihm gesagt, dass sie den besten Job auf dem Schiff hätten, berichtet Gary und lacht.

 

Die gängige Antwort einer Frau „Ich kann nicht tanzen“ schreckt den Gentleman Host nicht. „Ich kann es auch nicht“, lügt er dann charmant. Bleibt sie bei ihrem Nein, zieht er sich dezent zurück. Britinnen und Deutsche wollen aufgefordert werden, weiß Gary. Amerikanerinnen nehmen es mit den Konventionen nicht so genau. Angesichts ihrer stundenlangen Einsätze müssen die Eintänzer gut auf den Beinen und locker in den Hüften sein. „Die anderen sind älter als ich“, sagt Gary. Als der 64-Jährige aus Michigan die Aufgabe bei Cunard übernahm, war er 54. Jünger sollten die „Hosts“ nicht sein. Erfahrung und Manieren zählen mehr als Sturm und Drang.

Die Reederei Cunard transportiert den Glanz der guten alten Zeit

„Die Japanerinnen tanzen sehr gut“, befindet Gary, bevor er sich wieder in seine schweißtreibende Arbeit stürzt. Die Tradition fährt mit auf der „QE“ (sprich Kju I), wie der routinierte Kreuzfahrer die „Queen Elizabeth“ abkürzt. Der Luxusliner ist zwar erst vier Jahre alt, doch haben die mittlerweile ausgemusterten Vorgängerschiffe - die 1938 gebaute „Queen Elizabeth“ und die 1967 fertiggestellte „Queen Elizabeth 2“ - mit ihren Transatlantiküberquerungen Seefahrtgeschichte geschrieben. Die Reederei Cunard transportiert den Glanz der guten alten Zeit. Auch wer sich auf die neueste „QE“ begibt, wandelt auf royalen Spuren. Die englische Königin ist zwar nie mitgefahren, hat das Schiff aber im Oktober 2010 in Southampton getauft und besichtigt. Man kann Elizabeth II. kaum ausweichen: Hier hängt ein Porträtgemälde, dort steht eine Bronzebüste, und da erinnern historische Fotos an die Namensgeberin.

Mit dem durchgängig dunklen Holzdekor, den meist warmen Farben und mit den vielen Devotionalien von den Vorgängerschiffen repräsentiert die „QE“ eine vergangene Epoche. Den britischen Hang zum Konservativen und Gediegenen, zum Elitären und Skurrilen muss der Passagier mögen, wenn er sich hier wohlfühlen will. Schon beim Kofferpacken ist zu berücksichtigen: An mindestens zwei Abenden bei einer einwöchigen Kreuzfahrt wird formelle Abendgarderobe erwartet - wenigstens Jackett, besser Smoking für den Herrn, festliches Kleid für die Dame. In Jeans und Shirt sollte sich lieber niemand zum Diner ins Britannia-Restaurant wagen. Sonst passiert es, dass ein Kellner unauffällig sein Sakko über die Stuhllehne des Gastes hängt mit der Bitte, so zu tun, als habe man die Jacke gerade ausgezogen.

Die Briten lieben den schwimmenden Stahlpalast: Mehr als jeder Zweite der 2016 Passagiere auf dieser Mittelmeerkreuzfahrt von Piräus (Athen) nach Civitavecchia (Rom) kommen aus dem Vereinigten Königreich. „Yeah“, intonieren diese unisono und nicht ohne Nationalstolz, als Kapitän Alistair Clark beim Captain’s Cocktail die Top 6 der 34 vertretenen Nationen vorliest. Auf Platz zwei folgen die 229 US-Amerikaner. Schon an dritter Stelle rangieren, wenn auch nur knapp vor den Australiern, Kanadiern und Südafrikanern, die 139 Deutschen an Bord. Diese Rangliste verdeutlicht allerdings auch, dass Cunard einen Spagat versucht: Einerseits will die Reederei insbesondere mit Mittelmeerkreuzfahrten ab Civitavecchia, Venedig und Piräus sowie mit den Transatlantikrouten ab Hamburg noch stärker in den boomenden deutschen Markt vordringen, andererseits genießt das englischsprachige Publikum bei den meisten Kreuzfahrten der „Queen“ deutliche Priorität.

„Erstaunlicherweise gab es keine Beschwerden“

Wo immer die Sprache eine Rolle spielt, ist der des Englischen mächtige Gast klar im Vorteil. Dass dies eine Abschreckung sein könnte, glaubt Ruth Färber aus Niedersachsen aber nicht. Wer mit Cunard auf Kreuzfahrt gehe, suche doch den Kontakt zu einem internationalen Publikum, urteilt sie. Immerhin, das ausführliche Programmheft und ein vierseitiger Newsletter werden auch in deutscher Sprache verteilt. Zudem erleichtert eine eigene Hostess den deutschen Gästen den Aufenthalt an Bord. Sie heißt Helena Doempke und stammt aus Brüssel. Nach der ersten Sprechstunde für die Neuankömmlinge in der Grand Lobby gesteht sie freudig: „Erstaunlicherweise gab es keine Beschwerden.“

Britische Gepflogenheiten sind ja auch gar nicht so übel: Beim Afternoon Tea - einer über 150 Jahre alten Tradition bei Cunard - sind sämtliche Tische im Queens Room binnen Minuten besetzt. Dann serviert ein Heer von Kellnern mit weißen Handschuhen Häppchen, Gebäck und Pralinees auf englischem Porzellan, derweil das Streichquartett aus der Ukraine Hintergrundmusik auf hohem Niveau abliefert. Musik ist ohnehin allgegenwärtig auf der „Queen“ - es ist der Rhythmus der 60-plus-Generation. Für junge Hüpfer ist wenig dabei. „Auf dem Deck der ,Aida‘ ging abends der Punk ab“, erinnert sich ein pensionierter Gießener Beamter etwas sehnsüchtig. Für ihn und seine Frau Rosi ist es die 13. Kreuzfahrt: „Auf einer ,Queen‘ zu fahren, war immer mein Traum“, sagt sie. Vielfahrer neigen ihrer Ansicht nach zu kritischen Vergleichen, dennoch habe sich diese Reise gelohnt.

Das großzügige Ambiente, die Küche und eine zweistöckige Bibliothek, „wie ich sie so noch nie auf einem Schiff gesehen habe“, bringen die beiden Hessen ins Schwärmen. Während die Garde der Sonnenanbeter oben die Liegestühle bevölkert, mag unter Deck so mancher Passagier nicht von seinen Lieblingsbeschäftigungen lassen: „Man kann nicht damit aufhören, wenn man erst mal angefangen hat“, sagt eine Britin, die gerade die finalen Puzzleteile für ein Bild vom Lago Maggiore einbaut. Auch das Unterhaltungsprogramm ist typisch britisch - obgleich vieles wirkt, als wolle man die alte Zeiten konservieren. Wer all die modernen Annehmlichkeiten auf der „QE“ - festliche Porträts vom Fotografen vor Blumenbukett etwa - voll auskosten will, muss sein Bordkonto kräftig belasten.

20 Minuten um eine Kabine herzurichten

Auch die geführten Landgänge sind nicht inklusive. „Dahinter steckt viel Arbeit“, verteidigt Tour-Manager Susanna Capaccio die teils happigen Preise von 50 US-Dollar (41 Euro) und mehr. Natürlich will Cunard auch daran verdienen. Zudem werden die meisten Landausflüge in englischer Sprache angeboten. Deutsch geführte Touren lohnen sich für Cunard nur, wenn der Andrang groß genug ist. An Bord bemüht man sich um einen stilvollen Service, um betreutes Kreuzfahren auf hohem Niveau sozusagen. Die meisten Offiziere sind Briten, das Gros der gut 1000 Crewmitglieder stammt von den Philippinen. Insgesamt ist die Besatzung ein Vielvölkergemisch aus 43 Nationen. Auch eine Österreicherin gehört dazu: Zum Plaudern über ihr Leben auf den Weltmeeren bleibt Margot allerdings keine Zeit - 20 Minuten hat sie, um jeweils eine Kabine für neue Passagiere herzurichten.

Die Frau aus der Steiermark ist schon auf der „QE2“ mitgefahren. Heimweh nach den Bergen hat sie nicht. Dazu sei zu viel zu tun, sagt sie, während sie ein Bett neu bezieht. 1500 Dollar (1200 Euro) plus Zulagen erhalten die Stewards pro Monat bei einer 70-Stunden-Woche - Verpflegung und Unterkunft inklusive. Auf dem C-Deck, unterhalb der Wasseroberfläche, teilt sich Margot eine Kabine mit einer Philippinin. Die meisten Servicekräfte sind fast unsichtbar für den Passagier. „Burma-Road“ wird ein etwa fünf Meter breiter Durchgang auf dem untersten Deck genannt. Von hier aus sind die Wäscherei oder der Bügelservice zu erreichen. „Soll ich mal mein Königreich zeigen“, fragt plötzlich ein philippinischer Angestellter und führt in enge Gänge zwischen prall gefüllte Regale, in denen sich Uniformteile bis zur Decke stapeln. Rasch drängt sein Chef zur Eile.

Günstiger ist es, die Crewmitglieder in ihrer Freizeit anzutreffen - während der Liegezeit im Hafen. Nur wenige Schritte entfernt versammeln sie sich zum Basketballspielen. Dort ist zu erfahren, dass sie in einfachen Dienstleistungsbereichen wie der Wäscherei, der Küche oder beim Sicherheitspersonal um die 700 Dollar (560 Euro) pro Monat verdienen. Mit diesen Einkommen werden oft ganze Familien daheim ernährt - sofern die Crewmitglieder das Geld nicht schon vorher ausgeben, um telefonisch das Heimweh zu lindern. Jeweils neun Monate währt ihr Vertrag auf See, dann kehren sie nach Hause zurück. Wenn einer auf diesem Schiff viel mitbekommt, dann ist es der Friseur.

Auf Deck neun, fast ganz oben, wird neben dem großen Fitnessstudio im exklusiven Wellness- und Schönheitsbereich „Verjüngung“ angeboten, wie Giuseppe sagt. Seine Eltern zogen einst als Gastarbeiter von Italien in den Taunus. Doch ist der 31-Jährige eher in der ganzen Welt zu Hause. Seit sechs Jahren ist er dort unterwegs. Auf der „Queen“ frisiert er allerdings erst sein wenigen Monaten. Es ist auch schon passiert, dass ihm ein Scheich nach einem zehnminütigen Haarschnitt einen 500-Dollar-Schein in die Hand gedrückt hat.

„Als Crewmitglied gewöhnt man sich an den Lifestyle hier“, sagt er. Außerdem wird von halb acht morgens bis halb zehn am Abend „gepowert“, da würden viele nach Auslaufen ihres Vertrags „landkrank“, weil sich bald Langeweile einstelle. Ob Scheichs, Unternehmer oder Geldadel: In der sogenannten Grill-Klasse logieren die Betuchten. Wer will, kann dort unter seinesgleichen bleiben. Das ist zwar nicht so unterhaltsam, aber eine anscheinend ebenso unverrückbare Tradition.

Infos zur Kreuzfahrt

Die Reederei
Die Reederei Cunard feiert 2015 ihr 175-jähriges Bestehen. Drei Schiffe schicken die Briten auf große Fahrt: die in Deutschland populäre „Queen Mary 2“ (getauft 2004), die „Queen Victoria“ (2007) und die „Queen Elizabeth“ (2010). www.cunard.com

Das Schiff
Die „Queen Elizabeth“: 294 Meter lang, 32 Meter breit, für 416 Millionen Euro gebaut in einer italienischen Werft bei Triest. Kapazität: maximal 2092 Passagiere und 1045 Besatzungsmitglieder.

Preise
2015 sind die drei „Queens“ bis in den Mai hinein auf Weltreise. Von Juni an kreuzt die „Queen Victoria“ im östlichen Mittelmeer. Reisebeispiel: von Piräus bis Civitavecchia, sieben Nächte ab 1450 Euro für eine Innenkabine (Smart-Preis) und ab 1940 Euro mit Balkon (Smart-Preis, jeweils pro Person bei Doppelbelegung). Die Konditionen der Smart-Preise sind strenger als bei den Katalogpreisen (Premium-Kategorie). An- und Abreise jeweils inbegriffen.

Mittelmeerkreuzfahrten bieten auch viele andere Reedereien an. Der Markt Deutschland ist fast gleichauf mit Großbritannien der lukrativste europäische Markt für Kreuzfahrten: Von 583 000 im Jahr 2004 wuchs die Zahl der deutschen Passagiere laut dem Branchenverband CLIA (Cruise Line International Association) rasant auf 1,69 Millionen im Jahr 2013 (plus 9,2 Prozent gegenüber 2012). Der Branchenumsatz sank im vorigen Jahr leicht auf 2,5 Milliarden Euro.

Beliebteste Ziele
Drei Viertel der deutschen Kreuzfahrer bevorzugen europäische Regionen. Zu den beliebtesten Zielen zählten 2013 laut CLIA das Mittelmeer vor den nordischen Routen, dem Atlantik, den Kanarischen Inseln und der Ostsee. Die durchschnittliche Reisedauer verringerte sich von 9,2 Nächten im Jahr 2012 auf 8,7 Nächte im Jahr 2013. Die Tagesrate einer Hochseekreuzfahrt lag im Schnitt bei 171 Euro, der durchschnittliche Reisepreis betrug 1492 Euro. www.cruising.org

Neue Kreuzfahrtschiffe
Auch 2015 werden etliche Luxusliner in Betrieb genommen. Aida Cruises schickt die „Aida Prima“ auf große Fahrt ( www.aida.com ).

Tui Cruises lässt nur knapp ein Jahr nach der „Mein Schiff 3“ die opulente Nummer vier in See stechen ( www.tuicruises.com ).

P&O Cruises erhält mit der „Britannia“ ein neues Flaggschiff ( www.pocruises.de ).

Royal Caribbean schickt nur Monate nach der „Quantum of the Seas“ mit der „Anthem of the Seas“ einen weiteren spektakulären Luxusliner auf die Weltmeere ( www.royalcaribbean.com ).

Norwegian Cruise Line bietet die „Norwegian Escape“ auf ( www.ncl.de ).

Der Flusskreuzfahrtanbieter Viking Ocean Cruises wagt sich mit der „Viking Star“ erstmals auf hohe See ( www.vikingcruises.com ).