Die große Frage nach dem Wahlsieg von Alexis Tsipras ist für den StZ-Korrespondenten Gerd Höhler: Wird aus dem Syriza-Parteichef nun endlich ein echter Regierungschef?

Athen - Alexis Tsipras hat hoch gepokert – und gewonnen. Aus der Parlamentswahl am Sonntag ist sein Linksbündnis Syriza als klarer Sieger hervorgegangen. Trotz nicht eingelöster Wahlversprechen, Bankenschließungen, Kapitalkontrollen, Steuererhöhungen und Rentenkürzungen traut es eine Mehrheit der Griechen offenbar nur Tsipras zu, mit den Geldgebern des Landes hart zu verhandeln und die Folgen des Sparkurses, den die Athener Regierung steuern muss, wenigstens etwas abzumildern.

 

Was für Tsipras eine besondere Genugtuung sein muss: Die Rebellen vom linksextremen Syriza-Flügel, die ihm vor wenigen Wochen die Gefolgschaft verweigerten und bei dieser Wahl unter dem Banner ihrer neu gegründeten Volkseinheit antraten, sind kläglich gescheitert. Die überwältigende Mehrheit der griechischen Wähler will keine Partei, die das Land aus der Europäischen Union führen und zur Drachme zurückkehren will.

Die geringe Wahlbeteiligung zeugt von Apathie

Tsipras feiert seinen Erfolg als „Sieg des Volkes“. Aber mit großen Worten sollte man vorsichtig sein. Nur gut jeder zweite Wahlberechtigte hat überhaupt seine Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung lag mit rund 55 Prozent so niedrig wie nie zuvor bei griechischen Parlamentswahlen. Das relativiert Tsipras‘ Triumph. Die niedrige Wahlbeteiligung ist bedenklich, denn sie zeigt Apathie und Frustration nach sechs Jahren Dauerkrise. Offenbar haben viele Griechen das Vertrauen in das politische System verloren.

Tsipras bekommt mit dieser Wahl jene „zweite Chance“, um die er die Wähler gebeten hat. Aber wie soll es jetzt weitergehen? Was will Tsipras II.? Wird er, wie Tsipras I., weiter lavieren und unbequeme Entscheidungen vor sich herschieben wie in den vergangenen acht Monaten? Wird er, wenn es schwierig wird, die Griechen erneut zu den Wahlurnen rufen? Bisher agierte er vor allem als Syriza-Vorsitzender. Nimmt er jetzt die Rolle des Regierungschefs endlich an?

Die Auflagen der Geldgeber verlangen harte Einschnitte

Griechenland hat keine Zeit zu verlieren. Noch im Oktober muss die neue Regierung einen Nachtragshaushalt und das Budget für 2016 verabschieden. Nachdem bereits in diesem Jahr die Steuereinnahmen um mehr als vier Milliarden Euro unter dem Plan liegen, dürfte der künftige Finanzminister um weitere Einschnitte kaum herumkommen. Das neue Kreditprogramm, das Tsipras im Juli nach monatelangem Zögern endlich unterschrieb, liegt zwar auf dem Tisch. Aber bevor weitere Hilfsgelder fließen, muss das Land die vereinbarten Reformschritte gehen. Rund 120 Vorgaben müssen bis zum Jahresende umgesetzt werden. Dazu gehören unpopuläre Maßnahmen wie die Abschaffung von Steuerprivilegien für die Landwirte.

Wird Tsipras den Willen und die Kraft aufbringen, Strukturreformen wie die Privatisierungen, die Öffnung der Märkte und die Liberalisierung des Arbeitsmarktes wirklich umzusetzen? Manche meinen, er habe sich bereits vom Revoluzzer zum Reformer geläutert. Das ist eine sehr optimistische Annahme.