Deutschlands renommierteste TV-Auszeichnungen gehen mehrheitlich an Serien. Auch Amazon Prime liefert mit seiner Produktion „Beat“ einen Gewinner. Viele TV-Filme waren den Juroren zu flau.

Marl - Steckt der Fernsehfilm in der Krise?“ Ist er „belanglos und irrelevant“? Das fragten sich im vergangenen Jahr Teilnehmer einer Diskussion beim renommierten Fernsehfilmfestival Baden-Baden. Die Mitglieder der aktuellen Grimme-Preis-Jury Fiktion würden diese Fragen wohl bejahen. Sie haben dieses Jahr nur ein 90-minütiges Einzelstück ausgezeichnet: die ARD-Komödie „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“. Die übrigen Preise gingen an Serien: „Hackerville“ (TNT), „Bad Banks“ (ZDF/Arte) und „Beat“ (Amazon).

 

Leer aus ging damit unter anderem der ARD-Zweiteiler „Gladbeck“, der die Geiselnahme von Gladbeck im August 1988 nachzeichnet und als einer der Favoriten gegolten hatte. „Die Auszeichnung von gleich drei Serien zeigt die Vielfalt, Innovationsfreude und den Stellenwert des Formats Serie“, sagt Frauke Gerlach, die Direktorin des Grimme-Instituts. Man kann die Auswahl aber durchaus als Kritik an der Mutlosigkeit bei den 90-Minütern deuten. Regisseur Dietrich Brüggemann, der die „Tatort“-Folge „Murot und das Murmeltier“ gedreht hat, sagte kürzlich gegenüber „epd medien“: „Etwas mehr von der Experimentierfreude, die in der internationalen Streamingwelt herrscht, würde dem ‚Tatort’ sehr gut tun.“ Für die 90-minütigen Fernsehfilme jenseits der Krimireihen gilt das ebenfalls.

Kein Mut zum Risiko

Liest man, wie die Jury die Auszeichnung für die Serie „Beat“ begründet, die unter anderem die organisierte Kriminalität, das Techno-Nachtleben, die Geschichte der RAF und den Handel mit Organen von Flüchtlingen zum Thema hat, ahnt man, was sie bei den 90-Minütern vermisst hat. „Beat“ sei „ein Anschlag auf alle Sinne“ und setze sich „dem Risiko der Überkomplexität aus“. Hiesige Fernsehfilme setzen sich dagegen nicht einmal dem Risiko der Komplexität aus. Mit „Beat“ gewinnt zum ersten Mal eine exklusiv über Amazon Prime verbreitete Produktion. Konkurrent Netflix war im vergangenen Jahr erstmals ausgezeichnet worden.

In der Kategorie Information und Kultur ging einer der Preise erwartungsgemäß an Regina Schilling für „Kulenkampffs Schuhe“ (SWR). Der Film nimmt das Wirken der Unterhaltungs-TV-Heroen der Nachkriegsgeneration als Ausgangspunkt für eine vielschichtige Erzählung. Wie Schilling auf erhellende wie unterhaltsame Weise Medien- und Zeitgeschichte miteinander verknüpft – so etwas hatte man bis dato nicht gesehen.

Beste Reportage über die AfD

Als politisch wichtigster Film unter den ausgezeichneten Produktionen kann die 45-minütige ARD-Reportage „Am rechten Rand“ gelten. Auf wohltuend nüchterne Weise und frei von jeder Angstlust beleuchten die Autoren Jana Merkel und Michael Richter Verflechtungen zwischen der AfD und diversen noch weiter rechts angesiedelten Organisationen. „Am rechten Rand“ sei die „konzentrierteste, informativste und differenzierteste Reportage über die AfD, die im deutschen Fernsehen bisher zu sehen war“, befanden die Juroren.

In der Subkategorie besondere journalistische Leistung wurde Isabel Schayani geehrt. Die Jury war unter anderem beeindruckt von ihrer Online-Livestream-Berichterstattung über die Demonstrationen in Chemnitz für das mehrsprachige Portal WDR for you. Ausgezeichnet wurde sie auch für ihre pointierten Kommentare in den „Tagesthemen“ der ARD, die um Lichtjahre besser sind als die einschläfernden Meinungsbeiträge, die graue mittelalte Männer dort präsentieren.

Vorab im Netz

Der WDR wurde auch mit einem Spezialpreis in der Kategorie Information und Unterhaltung bedacht. Er ging an das Netz- und TV-Projekt Docupy für den Dreiteiler „Ungleichland – Reichtum, Chancen, Macht“ und „das dazugehörige zukunftsweisende Online-Konzept“.

Die Autoren hatten bereits Monate vorher ausgewählte Teile ihrer Recherchen vorab im Netz veröffentlicht. Mit kurzen Clips weckte man peu à peu die Neugier auf das „klassische“ TV-Produkt. Am Montag dieser Woche lief um 20.15 Uhr in der ARD „Heimatland“, ein neuer, ebenfalls herausragender Film des Docupy-Teams. Hinter Docupy steht neben dem WDR die Kölner Bildundtonfabrik (BTF), die auch das „Neo Magazin Royale“ mit Jan Böhmermann produziert.

Wieder mal Böhmermann

Sie hat das Konzept gemeinsam mit dem Sender entwickelt. Die BTF ist mit diesem Preis auch im Bereich Information und Kultur in die Spitze vorgedrungen. Im Unterhaltungsgenre holte sie wie im Jahr zuvor zwei Preise: Der gewissermaßen schon ritualisierte Grimme-Preis für eine Jan-Böhmermann-Sendung ging dieses Mal an „Lass dich überwachen! – Die Prism is a Dancer Show“.

Dafür hatte die Redaktion von jedem Zuschauer im Studio im Vorfeld die Social-Media-Aktivitäten ausgewertet und daraus Ideen für die Show entwickelt, in der die Botschaft zur Vorsicht beim Preisgeben von Daten keineswegs im Mittelpunkt stand, wie die Jury feststellte. Ihr Fazit: „Rudi Carrell hätte das sehr gefallen.“

Info: Der Autor ist Mitglied der Nominierungskommission für die Kategorie Information und Kultur beim Grimme-Preis.