Thomas Grimminger hat gekündigt, der Chef des Olympiastützpunktes Stuttgart wechselt in die Wirtschaft. Allerdings nicht, ohne vorher Klartext zu sprechen.

Stuttgart - Seit fast zehn Jahren leitet Thomas Grimmingerden Olympiastützpunkt Stuttgart. Nun sieht er keine Perspektive mehr für sich – und geht.

 

Herr Grimminger, Sie verlassen den Olympiastützpunkt Stuttgart. Warum?

Weil diese Aufgabe mich wahrscheinlich keine zehn Jahre mehr trägt. Ich bin nun seit fast einem Jahrzehnt hier, und wenn ich noch mal etwas Neues machen will, dann jetzt.

Gehen Sie im Frust?

Das ist nicht das richtige Wort. Aber es gibt Dinge, von denen mir klar ist, dass ich sie hier nicht mehr erreichen werde. Und natürlich hätte ich mir mehr Wertschätzung für die Arbeit gewünscht, die in Stuttgart geleistet wird.

Frust also nicht. Aber schon Enttäuschung?

Es ist eben so, dass die Aufgaben der Olympiastützpunkte im Zuge der Spitzensportreform andere werden. Die Athletenförderung, die mir sehr am Herzen liegt und für die ich gerne die Verantwortung übernommen habe, wird künftig in wesentlichen Teilen von den Spitzensportverbänden erledigt werden. Das verändert das Wesen des Olympiastützpunkts und damit das, was ihn bisher ausmacht. Ob es ihn schlechter macht, weiß ich nicht. Aber es macht den Job des OSP-Leiters für mich persönlich so unattraktiv, dass ich gehe – und mich auf einen Neuanfang freue.

Wie sieht dieser aus?

Ich arbeite künftig im Vertrieb beim börsennotierten Unternehmen Life Fitness, dem weltgrößten Produzenten von Fitnessgeräten. Das wird spannend . . .

. . . und hört sich nach einem guten Gehalt an. Der Leiter eines Olympiastützpunktes verdient zwischen 3500 und 5000 Euro brutto pro Monat. Ist er unterbezahlt?

Wer diesen Job macht, der macht ihn nicht des Geldes wegen. Sondern wegen der Aufgabe, aber die muss dann auch passen.

Grimminger über seine Bilanz als OSP-Chef

Sie gehen kurz vor ihrem zehnjährigen Dienstjubiläum. Was haben Sie erreicht?

Ich bin damals angetreten, um den Olympiastützpunkt Stuttgart wieder zu einem Leuchtturm des Spitzensports zu machen.

Ist Ihnen das gelungen?

Ja.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben hier eine Campus-Lösung geschaffen – baulich und inhaltlich. Wir haben an einem Fleck Unterkünfte und ein Internat, in dem wir sogar Zehnjährige versorgen können. Wir haben super Trainingsmöglichkeiten inklusive eines zentralen Kraftraums, wir haben Physiotherapie, Trainingswissenschaft und Laufbahnberatung mit hochqualifiziertem Personal unter einem Dach vereint. Es gibt kurze Wege und dadurch längere Erholungszeiten. Das alles sehen die Athleten als großes Plus.

Zudem . . .

. . . werden wir in der Stadt wieder wahrgenommen. Und wir haben Pläne, wie wir den Standort Neckarpark noch weiterentwickeln können – mit einem Kombi-Gebäude für Hallen- und Beachvolleyball, Beachhandball, eventuell Beachtennis, Judo und Vereins-Squash, das zumindest drei Bundesstützpunkte beherbergen soll. Das müssen nun halt andere vorantreiben.

Ein Olympiastützpunkt wird allerdings nicht nur an der Infrastruktur gemessen, sondern auch an der Zahl der Medaillen, die seine Athleten bei Großereignissen holen. Da sieht es in Stuttgart eher mau aus.

Ich habe gelernt, dass alles 100-prozentig zusammenpassen muss, um im Sport ganz nach oben zu kommen. Bei unseren Athleten haben oft nur Kleinigkeiten gefehlt – zum Beispiel bei Ringer Frank Stäbler, der 2016 in Rio verletzt war, bei Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch, bei der dort die Latte nur einmal mehr hätte liegen bleiben müssen, oder bei Surfer Toni Wilhelm, der 2012 in London im letzten von zehn Rennen vom Podium gefallen ist, weil er sich für die falsche Seite entschieden hatte.

Trotzdem: Kommen bei den Summen, die in den Olympiastützpunkt investiert werden, am Ende nicht zu wenige Erfolg heraus?

Ja, wir hatten in meiner Zeit als OSP-Leiter keinen Olympiasieger aus Stuttgart. Und man wünscht sich natürlich immer mehr Medaillen. Aber das schmälert für mich die Bilanz nicht, weil es nicht an unserer Arbeit lag. Diese darf ganz klar nicht nur an der Zahl der Podestplätze gemessen werden. Denn irgendwann hat es das Umfeld eben nicht mehr in der Hand.

Grimminger über die Zukunft des Olympiastützpunktes

Was wird aus dem Olympiastützpunkt, wenn Sie weg sind und die Spitzensportreform richtig greift?

Wichtig ist, alles durchgängig zu finanzieren. Aktuell sieht es eher so aus, als würde das Geld vor allem an die Spitzensportverbände gehen. So zumindest ist der Plan des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Droht dem OSP Stuttgart das Aus?

Das kann ich nicht einschätzen. Aber es wäre sicherlich fahrlässig, alles aufs Spiel zu setzen, was in Stuttgart geschaffen worden ist. Und es gibt hier 320 Athleten, um die man sich auch weiterhin kümmern muss.

Wer wird das künftig tun?

Keine Ahnung, wer mein Nachfolger wird.

Grimminger über die Perspektiven des deutschen Sports

Wohin bewegt sich der deutsche Sport?

Die Reform stärkt die Verbände, rüstet sie personell und finanziell auf, überträgt ihnen Verantwortung und bewertet ihre Arbeit über ein Qualitätsmanagement-System. In der zweiten Runde werden dann Sportarten nach ihrem Potenzial eingeteilt, und in diesem Zug wird natürlich auch reduziert. Schon jetzt haben wir 600 Bundeskader-Athleten verloren, die nicht mehr berufen wurden. Und es wird noch mal 400 treffen, so dass deutlich unter 4000 übrig bleiben.

Ist das der richtige Weg?

Aus meiner Sicht gibt es noch keine Instrumente, mit denen wir frühzeitig die Leute herauspicken können, die am Ende auch sicher bei Olympischen Spielen ankommen.

Aber genau das wird getan.

Ja, und ich sehe dabei die große Gefahr, dass zu früh ausgesiebt wird. Dabei haben wir ja jetzt schon eine Basis, die nicht mehr breit genug ist. Das Zeichen, das mit dieser Vorgehensweise an die Eltern und die Vereine gesendet wird, betrachte ich mit großer Sorge.

Was stört sie sonst noch?

Das Problem ist, dass wir ein aus meiner Sicht funktionierendes Stützpunkt-System durch ein System der starken Verbände ersetzen, das erst mal funktionieren muss. Die Veränderung ist radikal, und es werden bei ihr Verwerfungen bewusst in Kauf genommen. Das ist ein Stil, der nicht meiner ist.

Müsste nicht stattdessen viel mehr Geld direkt in die Athleten investiert werden?

Das würde sicher nur in dem einen oder anderen Einzelfall helfen.

Wirklich? Es gibt doch immer wieder Sportler, die klagen, am Existenzminimum unterwegs zu sein.

Wir halten mal fest: Es gibt viele Behördensportler bei Polizei, Zoll oder Bundeswehr, die diese Sorge nicht haben. Übrig bleibt gut ein Drittel, das nach sich selbst schauen muss. Wir müssen gewährleisten, dass diese Athleten ihr Pensum ohne Existenzangst erfüllen können. Wenn das gelingt, sehe ich es als viel größeres Problem, dass wir unsere Trainer derzeit noch zu richtig schlechten Bedingungen anstellen müssen.

Grimminger über die Arbeitssituation der Trainer

Was müsste sich ändern?

Der Beruf des Trainers muss so anerkannt und attraktiv sein und wertgeschätzt werden, dass ihn junge Menschen ergreifen wollen. Das geht nicht, wenn ich nur zeitlich befristete Verträge ausstellen darf, und das auch noch mit geringen Gehältern, ohne Perspektive und Sicherheit. Es fehlt in unserer Gesellschaft das Berufsbild Spitzensporttrainer. Dabei braucht es Trainer mit Qualifikation, Strahlkraft und Überzeugung, wenn man erfolgreich sein will.

Verbessert die Spitzensportreform die Situation für die Trainer?

Das Thema kommt zu kurz, weshalb ich schon stolz darauf bin, dass wir es zusammen mit dem Landessportverband Baden-Württemberg geschafft haben, bei unseren Trainer-Verträgen eine einmalige Befristung auf maximal zwei Jahre hinzubekommen, so wie es das Arbeitsgesetz auch vorschreibt. Bei uns gibt es keine Kettenverträge mehr.

Wo steht Deutschland mit seiner Sportförderung im Vergleich zu anderen Ländern?

In Großbritannien wird dem Sport Geld aus der Lotterie zur Verfügung gestellt und gesagt: Macht was draus. Bei uns sind es Steuermittel, das bringt automatisch einen großen bürokratischen Aufwand, der verhindert, dass ich schnell und angepasst reagieren kann. Die fehlende Handlungsgeschwindigkeit ist ein großer Nachteil, zumal die Prozesse zuletzt eher langsamer als schneller geworden sind.

Und abgesehen von Großbritannien?

Ich glaube nicht, dass dem deutschen Sport insgesamt zu wenig Geld zur Verfügung steht. Natürlich würden wir uns leichter tun, erfolgreich zu sein, wenn wir uns wie andere Nationen auf wenige medaillenträchtige Sportarten konzentrieren würden. Aber das wäre nicht mein Weg.

Grimminger über die Leistungsgesellschaft

Wie steht es um die Anerkennung des Sports in der Gesellschaft?

Es ist sicher schwieriger geworden, vor allem weil sich die Gesellschaft verändert hat. Sport als Spiegel der Leistungsgesellschaft? Das ist abgehakt! Heute geht es um Umweltverträglichkeit, um Work-Life-Balance, um Individualität, um Verwirklichung von persönlichen Zielen. Gegen so einen Trend tut sich ein Sport, der Medaillen holen will, um die nationale Identität zu stärken, natürlich schwer. Heute zählen 200 000 Follower bei Instagram mehr als eine internationale Top-Leistung von 2,01 Meter im Hochsprung der Frauen.

Bedauern Sie das?

Ja, und der Sport sollte sich bemühen, darauf Antworten finden. Auch indem er Menschen, mit dem, was er tut und vorzuweisen hat, wieder mehr zu faszinieren versucht.