Die kalbenden Gletscher Westgrönlands lassen sich am besten vom Wasser aus betrachten.

Sie dribbeln, flanken, bolzen. Gehen in jeden Zweikampf, geben keinen Ball verloren. Die Gastgeber kennen die Tücken ihres sandigen Bolzplatzes, umspielen gekonnt kleine Felsen auf dem Feld. Keine Frage, die Grönländer wollen gewinnen, wollen einen hohen Sieg gegen die Gäste aus Übersee einfahren. So wie jeden Mittwoch im Sommer, wenn die MS Fram in Itilleq anlegt und die Kreuzfahrer das Dorf erkunden.

 

Die Fußballmannschaft des Expeditionsschiffes hat ein Problem: Zwar sind rund 280 Touristen und Crewmitglieder an Bord, darunter auch viele Fußballfans, doch die meisten Urlauber sind zwischen 60 und 70 Jahre alt. Viele davon klettern noch gerne ins Schlauchboot, um an Land zu kommen, erkunden die Orte zu Fuß. Doch sie wollen sich nicht mehr gegen das Schienbein treten lassen und scheuen staubige Zweikämpfe auf dem Feld. Um gegen die fußballverliebten Grönländer antreten zu können, werden alle unter Fünfzigjährigen gebraucht, egal ob männlich oder weiblich, Dribbelkünstler oder Couch-Potato. Schon vorab werden Hoffnungen auf einen Sieg von der Reiseleitung gedämpft – in der Regel gewinnen die Gastgeber zweistellig.

Seit knapp einer Woche sind wir unterwegs, fahren entlang der Westküste Grönlands, durchkreuzen die Diskobucht. Fast jeden Tag legen wir in einer kleinen Ortschaft an, spazieren durch die bunten Dörfer, besuchen Museen und Kirchen, entdecken auf eigene Faust den Küstenweg.

Die größte Insel der Welt, deren Fläche etwa sechs Mal so groß wie Deutschland ist, kann am besten auf dem Schiffsweg bereist werden, denn Straßen gibt es hier fast keine. Wo auch, das Eis lässt den 56 000 Einwohnern wenig Raum, nur ein Sechstel der Insel ist eisfrei. Die längste autotaugliche Piste Grönlands misst 35 Kilometer und führt vom internationalen Flughafen Kangerlussuaq bis zur Eiskappe. Die Grönländer verdanken einen großen Teil der rumpeligen Straße dem VW-Konzern. In der abgelegenen Region lies der Autobauer Anfang 2000 seine Wagen auf dem ewigen Eis testen und baute dafür eine Schotterpiste.

Wir schnaufen schwer. Die Kreuzfahrer kämpfen auf dem Fußballacker nicht nur gegen die Grönländer, sondern auch gegen die Müdigkeit. Viele sind zu spät ins Bett gegangen – das Gefühl für Zeit schwindet, wenn es rund um die Uhr hell bleibt. Die Tage an Bord vergehen ohnehin schnell, wer nicht einen Landausflug unternimmt oder einen der vielen Vorträge rund ums Thema Arktis an Bord besucht, kann im Fitnessstudio radeln, im Whirlpool unter freiem Himmel entspannen oder sich mit Mitreisenden im Bordcafé treffen. Dabei geht es leger zu: Der Fleecepulli gehört ebenso zur Bordgarderobe wie die Treckinghose.

Die Reiseroute ist dramatisch gewählt: In Kangerlussuaq gibt sich das Meer ruhig. Doch je weiter die MS Fram Richtung Norden steuert, desto spektakulärer wird die Fahrt. Erst treiben kleine, flache Eisplatten ein wenig verloren umher. Je näher wir dem Gletscher Sermeq Kujalleq kommen, desto großartiger wird die Aussicht: Aus den harmlosen Sahnehäubchen werden gewaltige Eisberge. Mal organisch geschwungen und von vielen Drehungen im Wasser abgeschliffen. Dann wieder kantig und schroff, so wie sie der Gletscher ins Meer kalbt. Wolken und Nebel sorgen für dramatische Stimmungen. Da scheinen Himmel und Wasser in dunklem Grau zu verschmelzen, manchmal brechen sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken. Dann schimmern die Eisblöcke stahlgrau und grün, changieren ihre Farben wie Perlmutt. Die unwirklich schöne Eiswelt zieht alle in den Bann: Passagiere frieren an Deck und schießen unzählige Fotos. Die anderen sitzen andächtig auf weichen Sofas in der Panoramalounge, genießen die verzauberte Welt hinter den großen Fenstern, die zu schön scheint, um wahr zu sein. Selten, dass man ein so beeindruckendes Naturspektakel so komfortabel erlebt.

Wir kommen den Eisbergen auch ganz nahe: mit den kleinen Booten, die immer eingesetzt werden, wenn die MS Fram nicht anlanden kann, tuckern wie vor Ilulissat durch das Meer. An manchen Stellen ist kein Durchkommen, das Eis liegt dick gepackt, stapelt sich auf- und übereinander. Ein Bild, wie von Caspar David Friedrich gemalt. Dann wieder entdecken wir kleine Eisberge, deren Kanten weichgespült sind, in denen sich das Licht bläulich bricht. Vergängliche Schönheiten.

Nicht weit von uns schiebt einer der produktivsten Gletscher der Welt jeden Tag gigantische Eisklötze ins Meer. Am steil abfallenden Ufer in Ilulissat führt ein kleiner Pfad bis zu dem Fjord, an dem sich dank einer Sandbank am Meeresgrund die abgebrochenen Eisberge stauen. Ab und an ist ein lautes Grollen zu hören, ein großer Block bricht ab. Das scheinbare starre Bild ändert sich ständig. Denn der Gletscher schiebt permanent Eismassen nach. Kaum vorstellbar, dass hier immer wieder Eisberge von einer Größe abbrechen, die den täglichen Wasserbedarf einer Stadt wie New York decken könnten. Kaum vorstellbar auch, weil die eisige Welt unter Wasser nicht sichtbar ist, nur ein Neuntel eines Eisberges ragt aus dem Wasser. Auch deshalb können Eisberge gefährlich werden. Dann nämlich, wenn das Wasser sie von unten unterspült und so aus dem Gleichgewicht bringt. Der Eisberg kippt und kann eine Tsunamiwelle auslösen.

Grönland taut auf. Jedenfalls immer Anfang Juni, wenn der Sommer kommt. Dann wird der schmale Rand der weißen Insel endlich grün. Es wird wieder Fußball gespielt, in fast jedem Dorf gibt es einen Bolzplatz. Gekickt wird nicht nur gegen Touristen, sondern auch gegen Depression und Langeweile. Die großen Kampagnen gegen das Robbenschlachten in den 1970er und 1980er Jahren haben die Grönländer schwer getroffen. Eigentlich richteten sich diese vor allem gegen das grausame Babyrobbenschlachten in Kanada, doch die Folgen spürten auch die Inuits in Grönland. Obwohl diese nur erwachsene Tiere jagen und die Bestände hier nie in Gefahr waren. Die Preise für Robbenfelle sanken drastisch, die Jäger verloren ihr Einkommen. Ohne Job, Einkommen und Perspektiven verschärften sich die sozialen Probleme: viele flüchteten in den Alkohol, Depressionen, die Selbstmordrate stieg dramatisch.

Seitdem wurde viel Geld investiert – Geld, das vor allem aus Dänemark kommt. Alle grönländischen Städte haben ein Krankenhaus, jeder Grönländer lernt schreiben und lesen, in der Landeshauptstadt Nuuk gibt es eine kleine Universität. Einkäufe werden per Internet erledigt, die weite Welt kommt via Web ins Wohnzimmer. Kleine Initiativen haben Ateliers gegründet, in denen Touristen Souvenirs kaufen können. Handschuhe aus Robbenfell, Ringe aus Horn, Schnitzereien aus Holz. Doch während in vielen anderen Gegenden der Welt geschäftstüchtige Händler die Touristen bereits am Hafen belagern, halten sich die Grönländer diskret zurück. Gut möglich, dass der einzige Souvenirshop schließt, lange bevor das Schiff wieder abfährt.

Die Grönländer wollen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Zwar sind sie schon seit einem halben Jahrhundert keine dänische Kolonie mehr, und hatten bereits eine Art Selbstverwaltung, doch im Sommer haben sie einen weiteren Schritt zur Unabhängigkeit erstritten. Seitdem steht die Insel weitgehend auf eigenen Beinen, und kann über ihre Bodenschätze wie Öl selbst bestimmen. Endlich wurde die völkerrechtliche Anerkennung der Ureinwohner Grönlands festgeschrieben, Grönländisch ist jetzt offiziellen Sprache der Insel.

An Selbstbewusstsein mangelt es unseren Gegenspielern nicht. Sie halten drauf und können ihre Siegesserie fortsetzen. Die Kreuzfahrer treffen zwar hin und wieder, doch am Ende siegen die Grönländer. Wie immer.

Info Veranstalter: Die beschriebene Reise "Expedition Diskobucht" dauert neun Tage und wird auch 2010 dreimal angeboten. Von 29. Juli an startet die MS Fram, die Reise kostet pro Person ab 3790 Euro (in der 4-Bett-Kabine, inklusive Flüge, Vollpension, Ausflüge). Frühbucherrabatt bis 31.12.2009. Buchung im Reisebüro oder unter Tel. 040 / 37 69 33 55 (http://www.hurtigruten.de). Auch Hapag Lloyd Cruises (http://www.hlkf.de) und Albatros Travel (http://www.albatros-travel.com) fahren nach Grönland. Informationen auch unter http://www.visitgreenland.de.