Korntal-Münchingen hat als einzige Kommune im Kreis Ludwigsburg eine Inklusionsbeauftragte. Was hat Andrea Käufer schon geschafft?

Die gute alte Pinnwand, die lange im Keller stand, ist bei Andrea Käufer seit geraumer Zeit äußerst gefragt. Sie hilft ihr, den Durchblick zu behalten. „Wir haben total viele Ideen“, sagt die 59-Jährige. Andrea Käufer ist seit etwas mehr als einem Jahr die Inklusionsbeauftragte von Korntal-Münchingen. Womit die Kommune Neuland betrat, nachdem der Gemeinderat im Februar 2021 beschlossen hatte, eine solche ehrenamtliche Stelle zu schaffen.

 

Ehrenamtliche Stelle geht auf Grünen-Antrag zurück

Der neue Posten war das Ergebnis eines Antrags der Grünen-Fraktion. Im Juni 2021 wählte der Gemeinderat Andrea Käufer. Einstimmig und zunächst auf zwei Jahre, doch klar war allen schon vorher: Zwölf Monate reichen nicht aus, um aus Korntal-Münchingen eine inklusive Stadt zu machen, wie es sich diese auf die Fahne geschrieben hat.

„Es gibt viel zu tun. Wir müssen schauen, was möglich ist, und Prioritäten setzen“, sagt Andrea Käufer. Inklusion erklärt sie so: „Sie ist ein langwieriger Prozess und bedeutet, alle Menschen gehören dazu.“ Daher brauche es für alle Menschen eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe.

Andrea Käufer hat also alle Menschen im Ort im Blick, so auch die, an die man beim Thema Teilhabe nicht oder nicht sofort denkt: Ältere, Personen mit Stock, Rollator oder Kinderwagen, Hochbegabte. Zudem gebe es neben sichtbaren auch nicht sichtbare Behinderungen wie Hörprobleme, über die unauffällige Geräte hinweghelfen. „Es trifft uns alle mal“, sagt Andrea Käufer und spielt aufs Älterwerden an: Man sehe schlechter, höre schlechter, sei schlechter zu Fuß. Das ist der Grund, warum die Korntalerin für die Allgemeinheit Dinge verändern und verbessern will.

Keine Ein-Frau-Show

Korntal-Münchingen ist landkreisweit derzeit die einzige Kommune, die eine ehrenamtliche kommunale Beauftragte bestellt hat. Nur die Stadt Remseck hatte mit Oliver Nothdurft viele Jahre lang einen Behindertenbeauftragten. Er starb im Februar. Gleichwohl arbeiten vielerorts zahlreiche Menschen im Bereich Inklusion.

Andrea Käufers Job ist keine Ein-Frau-Show. Um etwas zu bewegen, braucht sie Mitstreiter. Am besten wäre es, alle in der Stadt würden mitmachen. „Vor allem muss ich die Betroffenen beteiligen.“ Die 59-Jährige sieht sich als Kontaktperson zwischen der Stadtverwaltung und der Bevölkerung, die Aufgaben und Projekte anstoßen und begleiten kann. Man müsse bei den Menschen eine Sensibilität für Inklusion entwickeln. Die Frage sei, wo Sensibilität beginne und ob man die Leute anspreche. Man müsse die Menschen langsam heranführen.

Hilfe bei der Kitaplatzsuche

Im Rathaus jedenfalls rennt Andrea Käufer offene Türen ein. „Ich bin angekommen, werde einbezogen und nach meiner Meinung gefragt“, sagt sie. Es seien bereits viele kleine Samen gestreut. So ist ein Leitfaden für die Aufnahme von Mädchen und Jungen mit Handicap in Kindertageseinrichtungen fast fertig, zugleich haben die Eltern bei der Suche nach einem Betreuungsplatz nun eine Ansprechpartnerin im Rathaus.

Zuvor hatte es mit betroffenen Eltern einen Runden Tisch gegeben. „In der Vergangenheit lief die Kitaplatzsuche nicht immer gut“, sagt Andrea Käufer, die auch dabei mitwirkt, den Zugang zum Sportgelände in Korntal in der Jahnstraße barrierefrei zu gestalten. Und im Bürgertreff leisten zwei IT-Experten jetzt einmal im Monat Erste Hilfe im digitalen Zeitalter. „Der Kurs ist für alle offen“, sagt Andrea Käufer.

Auch sie bildet sich weiter, wobei sie schon einige Expertise mitbrachte. 16 Jahre lang war sie in einer Kinder- und Jugendarztpraxis tätig, in der sie mit Mädchen und Jungen mit mehrfacher Behinderung arbeitete. Heute ist sie bei der Stadt Stuttgart bei der interdisziplinären Frühförderstelle beschäftigt, eine Beratungs- und Fördereinrichtung für Stuttgarter Familien. Außerdem hat sie sich zur Inklusionsbegleiterin fortbilden lassen. Ihre Hauptansprechpartnerin sei die Beauftragte für Menschen mit Behinderung des Kreises Ludwigsburg, Claudia Lychacz.

Stadt- und Landkreise müssen mittlerweile per Behindertengleichstellungsgesetz des Landes einen Behindertenbeauftragten benennen. Für Ludwigsburg ist dies seit 2021 die – übrigens blinde – Claudia Lychacz. Anders als ihr Vorgänger Eckart Bohn bekleidet sie diese Stelle hauptamtlich. Claudia Lychacz sagt, da Inklusion das Hauptziel sei – auch im Rahmen der Umsetzung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention –, würden sich viele Beauftragte gern Inklusionsbeauftragte nennen. „Das Wort ist gerade sehr beliebt.“

Alle Dimensionen von Diversität

Es verdeutlicht aber auch, dass die Gesellschaft offenbar unter Inklusionsbeauftragten mehr versteht als unter Behindertenbeauftragten. Und es macht die aktuellen Anforderungen an Kommunen deutlich. „Inklusionsbeauftragter ist der weiter gefasste Begriff, der alle Dimensionen von Diversität umfasst“, meint etwa der Korntal-Münchinger Grünen-Stadtrat Albrecht Gaiser.

Anliegen von Bürgern erhält Andrea Käufer etliche. Kürzlich hat sie sich im Münchinger Widdumhof offiziell vorgestellt. Grundsätzlich gehe sie mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt und öffentliche Gebäude, sagt sie. Dabei fällt ihr Positives auf, etwa, dass der Großteil der Geschäfte barrierefrei sei, aber auch die Notwendigkeit zur Verbesserung.

Ein aktuelles Projekt: bei Straßenfesten allen den Zugang zu Toiletten ermöglichen. Die Toilettenwagen hätten gemeinhin Treppen, auch fehlten Wickelmöglichkeiten. Nun gehe es darum, praktikable Lösungen zu finden. So könnten öffentliche Einrichtungen ihre Toiletten öffnen. „Es gibt viele Möglichkeiten. Im Idealfall nutzt man Ressourcen und greift auf Vorhandenes zurück“, sagt Andrea Käufer. Denn sie weiß, dass sie auch an Grenzen stoßen wird: „Inklusion kann für eine Stadt teuer werden.“

Anders sieht es bei ihrem Vorhaben aus, Sport für alle anzubieten. „Man könnte sogar eigene Sportarten erfinden“, sagt Andrea Käufer. Der TSV Korntal signalisiere dahingehend Offenheit. „Es ist wichtig, auch Bedarfe zu wecken“, findet Andrea Käufer – statt ausschließlich darauf zu warten, bis jemand mit einem Anliegen kommt.