Union und SPD wollen die befristeten Arbeitsverträge in einer großen Koalition einschränken. Dies löst in der Wirtschaft große Befürchtungen aus. Dabei profitiert der öffentliche Dienst von der momentanen Praxis viel mehr.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Strahlt der Name Bosch mehr sozialen Anspruch aus, als das Unternehmen tatsächlich zeigt? Seit vier Jahren ist Bernd Happel (Name geändert) im Werk Feuerbach beschäftigt. Fünf befristete Arbeitsverträge hat der Hilfsarbeiter bisher unterschrieben. Eine Verlängerung schloss sich an die andere an. Doch im Sommer ist endgültig Feierabend, wenn der Betriebsrat nicht wieder einen Aufschub mit einem Ergänzungstarifvertrag erreicht.

 

Dann ist Happel arbeitslos – nicht allein: 50 bis 60 Kollegen, deren mehrfach erneuerte Befristungen 2018 ebenso auslaufen, geht es demnach ähnlich. Die Werksleitung würde lieber neue Leute befristet einstellen, kritisiert der Mittzwanziger. Der Betriebsrat denke über Aktionen nach, um dies zu verhindern. Für die Arbeitnehmer sind Befristungen tückisch: „Die Zukunftsängste gehen auf die Psyche“, sagt Happel. Darunter hätten er und seine Kollegen seit Jahren massiv zu leiden.

Gerade für solche Fälle plant die große Koalition eine drastische Einschränkung befristeter Arbeitsverträge. Fast 2,9 Millionen Beschäftigte bundesweit haben einen befristeten Arbeitsvertrag – dies entspricht einem Anteil von etwa acht Prozent (Stand 2016). Der Trend bei den Neueinstellungen weist steil nach oben: Im ersten Halbjahr 2016 waren laut dem Forschungsinstitut IAB der Bundesagentur für Arbeit 43 Prozent aller Neueinstellungen befristet. Allerdings liegt oft ein Sachgrund vor, etwa die Vertretung einer Person in Elternzeit oder projektbezogene Arbeit.

Union und SPD wollen speziell den Missbrauch mit sachgrundloser Beschäftigung einschränken. Die IAB-Forscher gehen dabei von 1,3 Millionen Verträgen aus – was einem Anteil von 3,8 Prozent entspricht. Und sie schätzen, dass die Koalitionspläne zu einem Rückgang der sachgrundlosen Befristungen um mindestens 400 000 führen. Der Effekt könnte also begrenzt sein.

Besser als ein komplettes Verbot

Dennoch prophezeit Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): Die sachgrundlose Befristung sei damit „praktisch tot“. Der Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände, Peer-Michael Dick, mag sich dieser Prognose nicht anschließen. Es bleibe ja noch eine erlaubte Quote von 2,5 Prozent der Belegschaft in Betrieben mit über 75 Beschäftigten und die Maximaldauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags von 18 statt bisher 24 Monaten. Soll heißen: Das ist besser als das von den Gewerkschaften verlangte Verbot.

Offen ist, wie die Unternehmen darauf reagieren werden. „Für aufstrebende Betriebe, die noch wachsen, ist das eine Blockade – die werden beim Personalaufbau vorsichtiger sein“, mutmaßt Dick. Viele könnten verstärkt in Zeitarbeit ausweichen – obwohl dies von Politik und Gewerkschaften doch auch nicht gewünscht werde. Als Beispiel verweist er auf den Automobilzulieferer Elring-Klinger, den Betrieb von Südwestmetall-Chef Stefan Wolf. Dort sind derzeit 270 Mitarbeiter sachgrundlos befristet eingestellt – zum vollen Metalltariflohn. Sie sind Wolfs „Puffer“, weil er keine Zeitarbeit nutzt. Allerdings würden 95 Prozent nach zwei Jahren unbefristet weiterbeschäftigt. Wird eine Grenze von 2,5 Prozent eingeführt, darf er nur noch 97 der 270 Mitarbeiter weiterbeschäftigen und muss sich um flexible Alternativen bemühen.

Spitzenreiter ist der Wissenschaftsbereich

„Sachgrundlose Beschäftigung ist keine Ausnutzung“, sagt Dick. In der Privatwirtschaft würden die meisten Betroffenen übernommen – in der Metall- und Elektroindustrie mehr als 80 Prozent. Am meisten ärgert er sich darüber, dass Kettenbefristungen vor allem im öffentlichen Sektor vorkämen, wo die Politik als Arbeitgeber die Verantwortung trage. Dort liege der Anteil der Befristungen höher als zehn Prozent – in der Privatwirtschaft unter sieben Prozent. Spitzenreiter sei der Wissenschaftsbereich mit gut 40 Prozent. In der Privatwirtschaft betrage die durchschnittliche Dauer einer Befristung 1,86 Jahre – im öffentlichen Dienst aber 4,3 Jahre.

Dick zürnt besonders über die Ausnahme, die die Politik dem öffentlichen Bereich geschaffen hat: Gemeint ist ein Passus im Teilzeit- und Befristungsgesetz, wonach ein Sachgrund vorliegt, wenn „der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind“. Ein öffentlicher Arbeitgeber kann sich den Befristungsgrund fast nach Gutdünken selbst setzen. Dick ist skeptisch, dass die große Koalition an der Stelle etwas ändert. „Da bin ich sehr gespannt, wie sich der Staat selbst beschränken will“, sagt er.

Andreas Stein, Chef des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Baden-Württemberg, widerspricht: „Die Annahme, der öffentliche Dienst könnte schalten und walten, wie er will, stimmt nicht.“ Die Rechtsprechung lege beim Sachgrund Haushaltsrecht strenge Maßstäbe an. Das Bundesarbeitsgericht habe diese Praxis klar begrenzt. Stein beklagt eine „Dramatisierung des Themas“. Die Hürden seien so hoch, dass von der sachgrundlosen Befristung nur noch im engen Rahmen Gebrauch gemacht werde. Aus seiner Sicht ist es aber bei Langzeitarbeitslosen oder unqualifizierten Arbeitnehmern ein guter Weg, die Eignung zu erkunden. „Da kommt man mit sechs Monaten Probezeit oft nicht hin.“

Der öffentliche Dienst kann nicht machen, was er will

Kritik an den Kommunen weist er zurück: Dort gebe es einen hohen Frauenanteil und damit einen „immens hohen Vertretungsbedarf aus familiären Gründen“. Hinzu kämen großzügige Regelungen im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes für Langzeitbeurlaubungen. Folglich gibt es auch zahlreiche Erfordernisse, um Arbeitsverträge des Personals zu begrenzen, das die Vertretung übernimmt – bis hin zu Kettenbefristungen. „Dies wird bei der Klage über viele Befristungen immer unter den Teppich gekehrt.“ Soll es großzügige Beurlaubungsregeln oder weniger Befristungen geben? „Da muss man sich schon entscheiden“, sagt Stein. Er rät aber auch, Kommunen und Länder auseinanderzuhalten – womit er vor allem die ausgeuferte Befristungspraxis bei den Lehrern meint.