Kleinstparteien sollen bei der Europawahl im Mai 2019 keine Chance mehr haben. Die große Koalition strebt die Einführung einer Sperrklausel von zwei Prozent der Stimmen an – und wirbt dafür bei Grünen und FDP.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die große Koalition in Berlin strebt nach Informationen unserer Zeitung eine Sperrklausel von zwei Prozent bei der nächsten Europawahl im Mai 2019 an. Dies bestätigte ein Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegenüber unserer Zeitung. Das Bundesinnenministerium hat dem Bundestag eine Formulierungshilfe für den Gesetzentwurf geschrieben und dabei auch die rechtlichen Grundlagen einer Sperrklausel ausgelotet, die es bei der EU-Wahl bisher in Deutschland nicht gibt. Laut Ministerium ist eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Bundestag nötig, um die Zwei-Prozent-Hürde zu verankern. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, verhandelt mit den Fraktionen von SPD, FDP und Grünen, um die nötigen Stimmen zu sichern.

 

Rechnerisch würde es reichen, wenn die Unionsfraktionen, die SPD sowie die Liberalen geschlossen für den Gesetzentwurf stimmten. Bislang haben sich die Fraktionsspitzen bei der Frage der Sperrklausel nicht öffentlich positioniert. Sie verweigern auf Nachfrage dieser Zeitung die Auskunft – offenbar aus Sorge vor Kritik. Wie in Berlin zu hören ist, ist aber mit der Unterstützung der Union, der SPD und Liberalen sicher zu rechnen. 2013 hatten auch die Grünen für die Einführung der Sperrklausel gestimmt.

Die EU erlaubt den Staaten Sperrklauseln zwischen zwei und fünf Prozent

Die EU hatte im Juli ein neues Wahlrecht beschlossen, wonach die Mitgliedstaaten eine Sperrklausel zwischen zwei und fünf Prozent einführen können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits zwei Mal eine Sperrklausel gekippt, die der Bundestag für Europawahlen beschlossen hatte. Beim ersten Mal lag die Hürde bei fünf Prozent, beim zweiten Mal lag sie bei drei Prozent. Vermutlich ist das zweimalige Scheitern in Karlsruhe ein Grund dafür, dass die Koalition nun eine Mindestschwelle anstrebt, die an der unteren Grenze dessen liegt, was das EU-Recht vorgibt. Die juristische Expertise der Bundesregierung ist zu dem Schluss gekommen, dass Karlsruhe jede Sperrklausel oberhalb der zwei Prozent wieder kassieren könnte. In Berlin heißt es, es sei riskant, den von Brüssel vorgegeben Rahmen von bis zu fünf Prozent voll auszuschöpfen.

In der Praxis spielt die Einführung einer Sperrklausel nur in Spanien und in Deutschland eine Rolle. Alle anderen Länder haben bereits eine Mindestschwelle. Oder ihnen stehen im Europaparlament nur so wenige Plätze zu, dass es eine faktische Sperrklausel gibt. In Luxemburg mit sechs Abgeordneten bedarf es weit mehr als zehn Prozent der Stimmen, um einen Abgeordnetenplatz zu erringen. Spanien hat sich ausbedungen, die Mindestschwelle erst bei der Europawahl 2024 anzuwenden.

Die Kleinstparteien werden sicherlich in Karlsruhe klagen

Es ist fest damit zu rechnen, dass Klein- und Kleinstparteien das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn der Bundestag wieder eine Sperrklausel beschließen sollte. Weil bei der letzten Europawahl in Deutschland keine Sperrklausel galt, sind Splitterparteien ins EU-Parlament eingezogen. Deutschland hat Anspruch auf 96 von 751 Plätzen im Parlament. Seit 2014 sind aus Deutschland auch Abgeordnete der Freien Wähler, der Piraten, der ÖDP sowie der Satiriker und Ex-Chefredakteur der „Titanic“, Martin Sonneborn dort vertreten. Auch der NPD-Abgeordnete Udo Voigt ist darunter. Während sich die Piratin Julia Reda, die beiden Freien Wähler sowie der ÖDP-Politiker Fraktionen anschlossen und konstruktiv mitarbeiteten, fiel der NPD-Mann durch Abwesenheit und Sonneborn durch weitgehende Abwesenheit und Spaßaktionen auf.

Die Befürworter einer Sperrklausel argumentieren, dass nur so eine Zersplitterung des Parlaments zu verhindern sei, die seine Funktionstüchtigkeit störe. Die Gegner einer Sperrklausel betonen, dass es undemokratisch sei, wenn Wählerstimmen unter den Tisch fallen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bei seinen Entscheidungen argumentiert, dass das EU-Parlament nicht mit dem Bundestag, bei dem eine Fünf-Prozent-Hürde gilt, zu vergleichen sei. Der Unterschied bestehe darin, dass es im EU-Parlament keine offiziellen Koalitionen von Fraktionen gebe, die eine Regierung tragen wie das im Bundestag der Fall sei. Karlsruhe hat durchblicken lassen, dass es eine Sperrklausel akzeptieren würde, wenn EU-Recht sie zuließe. Dafür haben EU-Parlament und EU-Ministerrat den Weg frei gemacht.