Rund drei Monate hat der neue Regierungschef Zeit, den Austritt Großbritanniens aus der EU zu fixieren. Einmal mehr betont er, dass er notfalls auch ohne Abkommen gehen will.

London - Mit einer kämpferischen Rede hat Boris Johnson seinen Posten als Großbritanniens neuer Premierminister angetreten. Nach seiner Ernennung durch Königin Elizabeth II. am Mittwoch versprach er vor dem Regierungssitz in der Downing Street 10, sein Land „nach drei Jahren unbegründeter Selbstzweifel“ aus der Europäischen Union zu führen und dafür in Brüssel „ein neues Abkommen, ein besseres Abkommen“ zu erstreiten. Die „Zweifler, Schwarzmaler und Pessimisten“, die ihm das nicht zutrauten, werde er eines Besseren belehren.

 

Der ehemalige britische Außenminister und frühere Londoner Bürgermeister Johnson sagte, sein Land werde die EU am 31. Oktober verlassen, „ohne Wenn und Aber“. Er sei zuversichtlich, dass in den verbleibenden 99 Tagen eine Einigung mit Brüssel erreichbar sei. Gleichzeitig werde sich Großbritannien aber auch auf einen Brexit ohne Abkommen vorbereiten. Nicht weil man das wolle, sondern weil die Vernunft es gebiete.

Johnson folgt Theresa May nach, die nach dem Referendum über einen Austritt Großbritanniens aus der EU im Jahr 2016 mit dem Versprechen angetreten war, den Brexit in die Tat umzusetzen. Doch drei mal wurde das von ihrer Regierung und der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen im britischen Unterhaus abgeschmettert, unter anderem wegen des großen Widerstands von Brexit-Hardlinern wie Johnson.

Größter Streitpunkt im Brexit-Abkommen ist der sogenannte Backstop

Auch im Regierungskabinett bleibt nun kein Stein auf dem anderen. Schatzkanzler Philip Hammond, Justizminister David Gauke und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart traten zurück. Auch die Minister für Verteidigung, Wirtschaft, Bildung, Verkehr, Kommunen und Wohnungsbau sowie internationalen Handel erklärten, dass sie der künftigen Regierung nicht angehören würden. Das galt auch für Außenminister Jeremy Hunt, der Johnson im Rennen um den Parteivorsitz der Tories unterlegen war. Er werde von nun an von den Hinterbänken im Parlament den Regierungschef voll unterstützen, schrieb er auf Twitter. Dort wird nun auch May Platz nehmen, wie sie zuvor bei ihrem letzten Auftritt als Regierungschefin im Unterhaus gesagt hatte.

Als neuen Schatzkanzler benannte Johnson den bisherigen Innenminister Sajid Javid. Ihm folgt auf seinem alten Posten die Abgeordnete Priti Patel nach.

Viele Mitglieder der bisherigen Regierung - und auch May selbst - hatten Johnsons Ankündigung, die EU notfalls auch ohne Austrittsabkommen zu verlassen, kritisiert. Ökonomen warnen für einen solchen Fall mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Turbulenzen. Johnson zufolge würde ein solcher „No-Deal-Brexit“ verschwindend geringe Kosten verursachen, wenn sich die Regierung nur ausreichend darauf vorbereite.

Eine Nachverhandlung des Brexit-Abkommens lehnen die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs und die Kommissionsspitze ab. Das bekräftigte auch Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier. Er betonte zudem, ein sogenannter No-Deal-Brexit werde niemals die Wahl der EU sein. „Aber wir sind vorbereitet.“

Größter Streitpunkt im Brexit-Abkommen ist der sogenannte Backstop. Dieser soll eine dauerhaft offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland garantieren. Doch in der derzeitigen Form würde er Großbritannien nach Meinung Johnsons und vieler Brexit-Hardliner dauerhaft an die EU binden.