Großbritannien hält einen Terroranschlag auf eigenem Boden für sehr wahrscheinlich, mehrere Anschläge sind in diesem Jahr bereits verhindert worden. Premier Cameron stockt deshalb den Geheimdienstapparat massiv auf.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Stuttgart - Die britische Regierung hält einen Terroranschlag auf das Vereinigte Königreich für „höchst wahrscheinlich“. Nach den IS-Attacken in Paris hat Premierminister David Cameron seinen Landsleuten eröffnet, es drohe ihnen „die gleiche Gefahr“. Cameron hat deshalb „Wachsamkeit ohne Panik“ gefordert. Allein dieses Jahr, enthüllte er am Montag, seien sieben Terrorattacken in Großbritannien vereitelt worden.

 

In einer ersten Reaktion auf die Pariser Ereignisse will Cameron die Geheimdienste seines Landes personell um 1900 Stellen aufstocken – eine Erhöhung um 15 Prozent. Die Secret-Service-Abteilungen MI5 und MI6 und die Lauschzentrale GCHQ sollen außerdem wesentlich umfassendere Überwachungs-Befugnisse erhalten. Dem Staat soll künftig erlaubt sein, das Online-Verhalten aller Bürger zu überwachen und entsprechende Informationen ein Jahr lang zu speichern. Geplant war diese Maßnahme schon vor den Anschlägen. Nun hofft die Regierung, dass sie ohne größeren Widerstand durchs Parlament geht.

Der IS soll „ausradiert“ werden

Die schwer bewaffnete Elitetruppe der Armee, die SAS, soll ab sofort für Einsätze auf Großbritanniens Straßen bereit stehen. Zusätzliche Grenzkontrollen und verschärfte Sicherheits-Maßnahmen in Häfen und Flughäfen wurden bereits am Samstag eingeführt. Auch weitere gelegentliche Drohnen-Einsätze im Nahen Osten „zur Selbstverteidigung“ will sich Cameron vorbehalten.

Man werde, versprach der Premier am Montag erneut, den IS und dessen Ideologie „ausradieren“. Den französischen Nachbarn versicherte Cameron die uneingeschränkte Solidarität seines Landes. „Das britische und das französische Volk halten zusammen“, erklärte er, „wie wir es so oft zuvor in der Geschichte getan haben, wenn uns das Böse die Stirn geboten hat.“  

Im militärischen Bereich hat der Schulterschluss allerdings Grenzen, fürs Erste. Reguläre britische Luftwaffen-Einsätze an der Seite der USA und Frankreichs über Syrien wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Rund 30 Tory-Abgeordnete sind gegen ein solches Mandat. Und die Labour-Opposition will keinen Syrien-Einsatz ohne UN-Einwilligung.

Die Marseillaise wird in Zeitungen abgedruckt

Schockiert und mit düsteren Vorahnungen hat Großbritannien auf die Mordnacht an der Seine, so nah der eigenen Küsten, reagiert. An Londons Trafalgar Square und anderswo in britischen Städten sind nächtliche Gedenkfeiern abgehalten worden. Zu Beginn der Woche flattern vielerorts Fahnen auf halbmast. Am Dienstag spielt die französische Fußball-Nationalmannschaft im Wembley-Stadion gegen England ein Freundschaftsspiel. Viele Zeitungen haben den Wortlaut der Marseillaise abgedruckt, damit heimische Zuschauer mitsingen können.

Kritik ist allerdings aus den Reihen der britischen Polizei laut geworden. In den letzten fünf Jahren hat die Regierung Cameron aus Spargründen 17 000 Polizeistellen gestrichen. Tausende weiterer Stellen sollen folgen. Mehr Geheimdienst-Agenten seien kein Ersatz für Polizisten auf Streife und Präsenz vor Ort, klagt die Polizei-Gewerkschaft.

Verschärften Untersuchungen müssen sich derweil die syrischen Flüchtlinge unterziehen, welche die britische Regierung jetzt aus Lagern in Syrien und dem Libanon ins Land holt. 1000 „besonders gefährdete“ Flüchtlinge, also vor allem Frauen und Kinder, will Cameron vor Jahresende einfliegen. Danach sollen es jedes Jahr 4000 sein. Den bis zu 6000 Migranten, die vor Calais festsitzen und nach England wollen, und anderen schon nach Europa vorgedrungenen Flüchtlingen soll hingegen kein Einlass gewährt werden.