Der britische Außenminister Boris Johnson scherzt über Theresa Mays Lederhose. Doch das Brexit-geplagte Inselvolk findet es gar nicht lustig, dass seine Premierministerin eine sexy „Leather Pants“ trägt – vor allem weil sie 1185 Euro kostet.

London - Oh my God. Theresa in „Lederhosen“! Nicht „Leather Pants“ wie es korrekt heißen müsste, sondern „Lederhosen“. Großbritanniens Außenminister Boris Johnson, selbst illustrer Träger einer undefinierbaren Haarpracht, hat ausgerechet das deutsche Wort für die Bekleidung seiner Chefin, der konservativen Premierministerin Theresa May, in den Mund genommen. Lederhosen – das erinnert mehr an Oktoberfest und bayerische Deftigkeit als an Haute Couture, Fashion Week und mondäne Eleganz.

 

Theresa Mays „Trousergate“

Seit Tagen kennt das vom Brexit und Populismus geplagte Inselvolk kein anderes Thema als „Trousergate“ – den Hosen-Skandal seiner Prime Minister. Für ein Fotoshooting hatte sich die 60-jährige Tory-Politikerin mit der aschgrau-blonden Dauerwelle schick gemacht und eine dunkelbraune lederne Hose der britischen Designerin Amanda Wakeley angezogen. Sittsam saß sie daheim auf ihrer Couch, den Arm aufgelehnt, die Beine übereinandergeschlagen, ein breites Lächeln im Gesicht. An ihren Beinen schlabberte die besagte Hose für 995 Pfund – umgerechnet 1185 Euro.

Nun sind 1185 Euro für eine Lederhose von excellenter Qualität, zumal von einer Star-Designerin, kein allzu horrender Preis. Doch „Theresa Mays Lederhosen sorgen für größere Aufregung als der Brexit“, titelt der „Sunday Morning Herold“. Überhaupt sind die Medien außer sich – vor Schadenfreude. Da bereitet die erste Frau im Staat die Briten auf einen rigiden Sparkurs vor, auf harte Zeiten und klamme Geldbeutel. Und sie selber schlüpft in einen sündhaft teurens Leder-Dress.

„Mit Trousergate kollidieren in Großbritannien Politik und Hosen“, schreibt die „New York Times“. Und die „BBC“ kommentiert: „Theresa Mays Lederhosen lösen politischen Aufruhr aus.“

Sexismus in der Politik

Natürlich geht es um Sexismus! Um die Frage: Dürfen Frauen in der Politik, was Männer ganz selbstverständlich tun? Dürfen sie sich mit teuren, edlen Roben schmücken? Es gibt nicht wenige Männer (und Frauen), die stehen libidinös auf Leder. Ob es eine Premierministerin in Leder sein muss, ist eine Geschmacksfrage.

Theresa Mays Style ist ein Mix aus extravagant und elegant. Die Tory-Politikerin hat eine Faible für Kleider in Rot, Lila und Grün. Auch vor Lederröcken, taillierten Kostümen und großflächig bedruckten Mänteln schreckt sie nicht zurück. Dazu kniehohe Lackstiefel, nietenbesetzte Slipper oder Ballerinas mit Tiger-, Leoparden- oder Zebra-Muster. Gewagt, aber stylish.

Die britische Boulevardpresse diskutiert seit ihrem Amtsantritt am 13. Juli 2016 hitzig den Modemut der 60-Jährigen. Nach einem tief ausgeschnittenem roten Kleid sorgt nun die Lederhose für Ärger.

„Kleider machen Leute“

Über Geschmack lässt sich streiten, über Politik und Mode nicht minder. Wenn Nicolas Sarkozy in Dior-Anzügen, Sarah Wagenknecht in einer Mischung aus Kostüm-Chic und Oxfam-Flair sowie Frank-Walter Steinmeier stets wie aus dem Ei gepellt daherkommen, dann ist das ein politisches Statement allererster Güte.

In seiner Novelle „Kleider machen Leute“ (1874) erzählt der Schweizer Dichter Gottfried Keller vom armen Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der wegen seiner eleganten Tracht für einen polnische Grafen gehalten wird. Zwar ist er weder adelig noch vermögend, dafür aber ein Mann mit Stil und Manieren. Und der schöne Schein zählt oftmals mehr als das wahre Sein.

Kleidung wärmt, schützt und schmückt nicht nur, sie sagt auch Intimes über ihren Träger aus. Wer wie Mao Tse-tung die nach ihm benannte Mao-Jacke oder wie Saddam Hussein während des Golfkrieges dauernd eine grüne Militäruniform trägt, drückt damit explizite seine politische Haltung aus.

Das Outfit von Politikern, so oberflächlich und unwichtig es auch erscheinen mag, übermittelt eine überaus wichtige Botschaft an ihre Adressaten – die Wähler, das Volk und die Politiker-Kaste. Das Polit-Geschäft ist wie der Catwalk – der Laufsteg – bei Modeschauen und Fashion Weeks – eine Bühne der Eitelkeit und Selbstdarstellung. Kleidung unterstreicht und bekräftigt dabei nonverbal die verbale politische Botschaft.

Andere Länder, andere Modesitten

Doch warum ausgerechnet Großbritannien? Warum regen sich die für ihre gediegene Landlord-Mode bekannten Briten so sehr über die viel zu schlabbrige Lederhose ihrer Premierministerin auf? „Wir sind so kosmopolitisch, das wir mehr Champagner trinken und mehr deutsche Autos kaufen als sonst jemand“, witzelt Boris Johnson. „Und unsere wunderbare Premierministerin trägt Lederhosen.“

Nach Richard Nixons Watergate (der Mutter als Polit-Skandale), Ronald Reagans Iran-Contra-Gate, Uwe Barschels Waterkant-Gate, Bill Clintons Monika-Gate und Hillary Clintons E-Mail-Gate nun also Theresa Mays Trousergate. Wobei der Hosen-Skandal mehr von einem pseudopolitischen Absurdistan hat als von einem handfesten Polit-Skandal.

François Hollande und das dänische Brillengestell

In Frankreich und Italien würden sündhaft teure Maßanzüge und Ledersneaker, wie sie Nicolas Sarkozy, François Fillon oder Silvio Berlusconi tragen, nie für ein derartiges Aufsehen sorgen wie in Deutschland oder Großbritannien. Dort ist die geschlechterspezifische Eleganz gesellschaftlich akzeptiert, weil dadurch die eigene Machtposition kommuniziert wird. Zumal wenn die Mode aus dem eigenen Land kommt und Spitzenpolitiker als kostenlose Modells dafür werben.

So hatten sich die Franzosen 2014 über das neue Brillengestell von Präsident François Hollande nicht deswegen echauffiert, weil es zu bieder war, sondern weil es aus Dänemark stammte.

Polit-Chic in Deutschland

„Brioni“-Kanzler und Turnschuh-Minister

AlsGerhard Schröderbei der Bundestagswahl 1998 den Kanzler der Einheit Helmut Kohl in seinen Sack-Anzügen aus den Amt fegte, trug er italienischen Edel-Chic. Als „Brioni-Kanzler“ und „Kanzler in Kaschmir“ ist der aus der niedersächsischen Provinz kommende SPD-Politiker in die bundesdeutsche Mode-Geschichte eingegangen. 3000 bis 5000 Mark für einen Anzug? Dazu eine dicke Zigarre im Mund? Die Republik erregte sich damals über die „neue Eitelkeit“ der politischen Klasse.

Joschka Fischer drückte seinen grünen Nonkonformismus bei seiner Vereidigung zum hessischen Umweltminister am 12. Dezember 1985 durch weiße Turnschuhe aus. Der „Turnschuh-Minister“ – ein Affront, womit der Ex-APO-Aktivist kundtat, dass er viel cooler ist als das ganze uniformierte Polit-Establishment. Als er 1999 Außenminister der rot-grünen Bundesregierung wurde, war aber auch Fischer längst in der First Class angekommen. Er kleidete und benahm sich als Chefdiplomat vom Feinsten.

Ursula von der Leyen und das Kopftuch

Kleider machen Politik. Das gilt auch für die eher graue Mode-Maus Ursula von der Leyen. Als die konservative und oft in biedere Hosenanzüge gekleidete Verteidigungsministerin Anfang Dezember Saudi-Arabien besuchte, trug sie keine Kopfbedeckung. „Ich setze mir kein Kopftuch auf“, bekundete sie ostentativ. Diesen Luxus, Hosenanzug ohne Kopftuch, können sich in dem wahhabitischen Königreich muslimische Frauen nicht leisten – eine ausländische Ministerin dagegen schon.

Die CDU-Politikerin sieht ihre ganz gewöhnliche Alltagskleidung in der streng islamischen Monarchie als Signal für die Rechte der Frauen. „Keine Frau in meiner Delegation muss die Abaya (das traditionelle islamische Kleidungsstück, meist ein schwarzes mantelartiges Übergewand aus Schafwolle oder Kamelhaar, das vom Hals bis zu den Füßen reicht, d. Red.) tragen. Seine Kleidung selbst wählen zu können, ist ein Recht, das Männern wie Frauen gleichermaßen zusteht.“

Angela Merkel und der Blazer

Gemessen an westlich-demokratischen Werten hat Ursula von der Leyen vollkommen Recht. Doch es ist noch gar nicht so lange her, dass Frauen, die Hosen trugen – wie die Schauspielerinnen Marlene Dietrich oder Greta Garbo – auch in Mitteleuropa als perverse, männerhassende und mutmaßlich lesbische Provokateure galten.

Doch spätestens mit Angela Merkel ist der Hosen-Chic für Politikerinnen zum Gold-Standard geworden. Merkels Einheits-Outfit – dunkle Hose und der immer gleich geschnittene Blaser in wechselnden Regenbogenfarben – gilt als angemessen, unspektakulär und dezent.

Dass der Dresscode der Kanzlerin ziemlich langweilig, bieder und uninteressant rüberkommt, ist wichtiger Bestandteil ihrer politischen Botschaft. Die 62-jährige CDU-Chefin will auch inmitten der größten Turbulenzen und des chaotischsten Stress als bierernst, berechnend und verlässlich gelten.

Diese Botschaft kommt an, wie ihre ziemlich stabilen und hohen Beliebtheitswerte beim Volk seit Jahren beweisen. Angela Merkel mit Prada-Täschchen, in Dior-Kostümchen und Missoni-Kleidchen? Das wäre nicht die Angela Merkel, die seit 2005 weltweit als Fels in der politischen Brandung geschätzt wird.

Alexander Dobrindt – die Polit-„Cinderella“

„Wir unterschätzen die Macht der Mode“, sagt der international gefragte Mode-Experte Joachim Schirrmacher. Die Kleidung von Politikern sei Teil ihrer Kommunikation und Rhetorik. Sie signalisiere Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wertesystem.

Hinzu kommt: Wer sich in Brüssel, Berlin, Paris oder London die Tage und Nächte um die Ohren hauen und Marathon-Meetings und -Verhandlungen absitzen muss, braucht Kleidung, die auch noch nach Stunden gut und knitterfrei sitzt. Und – nicht zu vergessen –, in der sich der Träger auch wohl fühlt.

Manche übetreiben es indes mit dem Nonkonformismus und modischen Egotrip ein wenig. Wie Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der mit goldenen Sneakers aufläuft. Ein CSU-Politiker als „Cinderella“ der Politik.

Der Chef der Grünen- Bundesfraktion Anton Hofreiter dagegen fühlt sich in Anzügen sichtlich unwohl. Der Biologe aus Bayern mit der blonden Fussel-Mähne liebt verwaschene Jeans und Fairtrade-Bioshirts anscheinend mehr als Zweireiher.

Das Äußere als Marke?

Allerdings sollte man die Macht der Mode nicht überschätzen, meint Schirrmacher. Das Potenzial über sein Äußeres als Marke wahrgenommen zu werden, sei begrenzt. „Wenn wir an beliebte Politiker wie einst Richard von Weizsäcker oder heute Joachim Gauck denken, zählt vor allem ihre Persönlichkeit.“

Kleider machen zwar Leute, aber ohne entsprechende intellektuelle Basis, rhetorische Qualitäten und politischen Instinkte wird auch aus einem schnieken Schönling noch kein großer Politiker.

„Cloes make the man“

Vielleicht hat sich Theresa May sich auch gar nichts dabei gedacht, als sie zum Foto-Shooting in ihre Leather Pants schlüpfte. Die Lederhose ist sicherlich bequem und angenehm zu tragen. Vielleicht wollte sie auch nur ihre Vorliebe für das rustikale Landleben der britischen High Society zum Ausdruck bringen. Was auch immer sie geritten hat, es wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.

Was wäre die Politik ohne Mode? Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (1835-1910) ist sich sicher: „Cloes make the man. Naked people have little or no influence on society“, „Kleider machen Leute. Nackte Menschen haben kaum oder gar keinen Einfluss auf die Gesellschaft.“