Zehntausende Franzosen demonstrieren in Paris für den angeschlagenen Präsidentschaftskandidaten François Fillon – damit gegen die Justiz, die ihn wegen Scheinarbeitspraktiken zur Rechenschaft ziehen will. In Paris muss man mittlerweile auf alles gefasst sein, analysiert Axel Veiel.

Paris - Der in einen Scheinarbeitsskandal verwickelte Präsidentschaftskandidat François Fillon hat an das Volk appelliert, ihm gegen die Justiz beizustehen. Zu Zehntausenden sind Gefolgsleute des früheren Premiers dem Aufruf gefolgt, haben am Sonntag in Paris für den von Untersuchungsrichtern bedrängten Konservativen demonstriert. Gewiss, das ursprüngliche Motto der Kundgebung, „Gegen den von der Richterschaft inszenierten Staatsstreich“, wurde ersetzt. „Rühr mein Votum nicht an“, lautete der neue Leitspruch. Der Adressat des Massenprotestes steht außer Frage: die Justiz.

 

Das Bild der sich auf dem Pariser Trocadéro-Platz drängenden Anhänger Fillons dürfte freilich das blamable Bild eines Kandidaten nicht auslöschen, der Frau und Kindern als Abgeordneter auf Parlamentskosten zu rund einer Million Euro Gehalt verholfen haben soll, ohne dass die angeblich Beschäftigten für ihn tätig geworden wären. Hausdurchsuchungen und polizeilichen Verhören soll am 15. März die Vernehmung Fillons durch den Untersuchungsrichter und die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens folgen.

Dem Druck der Parteifreunde ausgesetzt

Auch bürgt der Massenaufmarsch nicht dafür, dass der Konservative seine Kandidatur aufrechterhalten kann. In der Wählergunst auf Platz drei zurückgefallen, sieht sich Fillon wachsendem Druck der Parteifreunde ausgesetzt. In Scharen kündigen ihm selbst die Getreuesten die Gefolgschaft auf. Gut möglich, dass die Republikaner kurz vor Ablauf der Meldefrist am 17. März noch einen Ersatzkandidaten ins Rennen schicken. Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux, Ex-Premier und bei den Vorwahlen hinter Fillon auf Platz zwei, hat Bereitschaft signalisiert, in die Bresche zu springen. Dass Fillon unter diesen Umständen weitermacht, grenzt an Realitätsverlust.

Zurzeit ist es auch schwer, in der politische Landschaft nicht die Orientierung zu verlieren. Von gewaltigen Verwerfungen ist sie gezeichnet. Sozialisten und Konservative, die sich jahrzehntelang Macht und Pfründen zu teilen pflegten, laufen bei den Wahlen Gefahr, in der ersten Runde sang- und klanglos auszuscheiden. Von Staatschef François Hollande wie auch vom Spitzenkandidaten der Opposition enttäuscht, suchen rund 40 Prozent der Wähler ihr Heil in rechts- oder linkspopulistischen Gefilden, bekennen sich zur Chefin des Front National, Marine Le Pen, oder zum Linksaußen Jean-Luc Mélenchon.

Noch ist Frankreich nicht verloren

Dass der Reflex noch funktioniert, die Franzosen der in der Stichwahl erwarteten Le Pen den Weg verstellen, scheint nicht mehr sicher. Zumal Fillon ihr in die Hände arbeitet. Seine Botschaft, wonach sich die Eliten, unterstützt von Justiz und Medien, gegen das Volk verschworen haben, deckt sich mit dem, was Le Pen immer gesagt hat. Laut Umfragen darf sie im Stichwahlduell auf 40 bis 42 Prozent hoffen. Sollte sie siegen, Frankreich aus der EU führen, den Euro abschaffen, würde das nicht nur die Franzosen ins Elend stürzen. Das vereinte Europa wäre ebenso am Ende.

Noch ist Frankreich nicht verloren. Der parteilose Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der das Land auf sozialliberalem Weg in die Moderne führen will, hat laut Umfragen beste Chancen, sich in einer Stichwahl gegen Le Pen durchzusetzen. Gleiches gilt für Alain Juppé, sollte er Fillon als Spitzenkandidaten ablösen und in die Stichwahl vordringen. Beide gelten als überzeugte Europäer. Beide würden die Gräben der zerklüfteten französischen Gesellschaft nicht noch vertiefen.