Nach Iffezheim geht man, um spannende Pferderennen zu verfolgen, aber auch, um gesehen zu werden. Eindrücke eines stillen Beobachters.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Iffezheim - Die gelbe Startfahne geht nach oben: „In diesem Moment ist das Winterkönigin-Trial an der 1500-Meter-Marke gestartet. Attitude und Orkideh sind ein wenig hinter dem Feld abgesprungen. Breite Spitzenformation zunächst. Dynastie übernimmt das Kommando, Dynastie mit Amabelle an der Innenseite. Dahinter sehen wir Bailley zwischen den Pferden, dann Amabelle, Attitude, an der Außenseite Olorda, mit Anschluss Winnemark und Orkideh etwa fünf, sechs Längen zurück. So geht es durch den Schlussbogen. Bailley mit der Rennerfahrung führt vor Dynastie, dahinter Orloda, Amabelle. Winnemark macht Boden gut. Die Zielgerade ist jetzt erreicht, Bailley marschiert an der Spitze. Bailley mit dem Angriff von Dynastie, jetzt versucht Amabelle auf Touren zu kommen, an der Außenseite kommt Winnemark. Winnemark mit Bailley, an der Innenseite ist es Amabelle, Winnemark geht nach vorne, Winnemark mit Bailley an der Innenseite, aber Winnemark kommt, Winnemark wird gewinnen, Winnemark schafft es!“

 

Lennart Hammer-Hansen, 41 Jahre, 1,63 Meter, 55 Kilo, sitzt auf der Rennbahntribüne und nickt wohlwollend. „In Iffezheim ist es immer schwer zu gewinnen, weil alle Pferde in Topform herkommen.“ Er war hier 60- bis 70-mal Sieger, genau weiß er es nicht. Er kennt die Leute, begrüßt jeden Zweiten mit Handschlag und einem automatisierten „Grüß dich, und wie läuft’s?“. Er kennt die Innenansichten: die Kabine, wo schon die polierten Stiefel parat stehen, Rennhosen und Glanzleibchen in allen Farben und Mustern auf die Jockeys warten. Die Rennboxen, wo ein Reiter vor dem Start auf Fühlung mit dem Pferd geht. Ein Formel-eins-Fahrer braucht Monate, um ein Gefühl für seinen neuen Boliden zu bekommen. Ein Jockey hat zehn Kennenlernminuten.

Dann im lockeren Galopp vorbei an den Tribünen. Viele der Zuschauer gehen erst zum Wettbüro, wenn sie die Pferde im Lauf gesehen haben. An der Startbox, den Körper voll mit Adrenalin, fangen manche der Vollblüter an zu tänzeln. Das Rennen: „Man muss ständig Entscheidungen treffen“, sagt Hammer-Hansen. „Was tun, wenn nirgends eine Lücke frei ist? Wie krieg ich ein Pferd, dem die Puste ausgeht, möglichst schnell ins Ziel, ohne es auszuquetschen? Wie führe ich ein Speedpferd durch ein Bummelrennen?

Ray-Ban-Sonnenbrille und Porsche

Gut eine Viertelstunde brauchen die ausgepumpten, schweißglänzenden Tiere, um mit dem Puls runterzukommen. Nach einer Erfrischungsdusche ist ihr Tag gelaufen, während man einen Jockey meistens gleich für mehrere Rennen bucht. Wer gewinnt, wird von hochhackigen Hostessen mit Rotlippen geküsst und kriegt eine Glasvase als Pokal. Das ist Iffezheim, Große Rennwoche. Der Höhepunkt des Galopperjahres im Land – seit im Sommer 1858 beim ersten Spektakel dieser Art die Stute Amazone als Siegerin vom Rasen ging. Da sie die einzige Starterin war, kam der Triumph damals nicht ganz überraschend.

Seine Ray-Ban-Sonnenbrille nimmt Hammer-Hansen selten ab. An seinem Schlüsselbund baumelt ein Anhänger mit dem Porschepferdchen. An seinen harten Konsonanten hört man noch den Dänen heraus. Seine Figur würde auch zu einem 15-Jährigen passen. Seit Mai ist der Ausnahmejockey aus dem Sattel. Er hat alle Klassiker gewonnen, viermal das Derby. Er ist Triple-Crown-Sieger, so was wie der Grand Slam im Tennis. Die Goldene Peitsche von Baden-Baden steht auch in der Vitrine. Mehr als 1000 Siege kann er vorweisen. Das haben in der Geschichte des Galoppsports nur ganz wenige Jockeys geschafft.

Die bucklige Haltung der Reiter, ihre schlackernden Bewegungen, wenn auf der Zielgeraden alle ans Limit gehen müssen, das wirkt fast ulkig. Doch wer den vibrierenden Boden spürt, wenn die Pferde zwei Meter neben einem vorbeirasen, wer hört, wie feurig sie sind, wer ihr Muskelspiel verfolgt, kann sich die Leistung vorstellen, eins mit diesen Kraftbrocken zu werden. Warum macht der Gewinn bei einer Pferdewette viel glücklicher als sechs Richtige im Lotto? Weil man das Gefühl hat, dass die dunkelbraune Winnemark, wenn sie zu ihrem unwiderstehlich schönen Endspurt ansetzt, das auch für einen ganz persönlich macht. Trotz Peitsche. Männer mit Maßanzügen brüllen ihren Favoriten bis ins Ziel und können sich dann wie Schneekönige freuen, ruhige Bürger hält plötzlich nichts mehr auf ihren Plätzen.

Die Prinzessin und der kleine Lord

Nach Iffezheim geht man aber auch, um gesehen zu werden. Hier kann man sich gar nicht overdressen. Frauen tragen Kostüme, die auch prima für einen Maskenball geeignet wären. Vorzeigefamilien mit Prinzessin und kleinem Lord in Hemd, Pullunder und Lackslipper schlendern gut gelaunt über das weitläufige Gelände. Manche kommen in Jeans, Sweatshirt und Hut, manche im Fahrraddress. Ein Mann mit Fernglas um den Hals tritt aus dem Members Club und mischt sich mit aristokratischer Attitüde unter das Volk.

Die alte Dame mit roséfarbenem Strohhut wirkt auf der weiß gestrichenen Holztribüne wie aus der viktorianischen Zeit. Sie richtet sich ganz oben für den Renntag ein. Breitet auf einem mitgebrachten Klappstuhl zahllose Hefte und Papiere aus, dokumentiert gründlich jedes einzelne Rennen, kann dabei ihre Zehen nicht ruhig in den Sandalen halten. Der arme Mensch, der an diesem heißen Septembertag in der Montur des Iffezheimer Maskottchens steckt. Man glaubt, schon am schleppenden Gang den Gesichtsausdruck unter der Pferdemaske aus Polyester zu ahnen. Hammer-Hansen trifft einen Trainer: „Grüß dich, wie ist das Geläuf?“ Gut abgetrocknet.

Er war acht Jahre alt und eher Fußballfan, als er auf dem Weg von der Schule in einem Kopenhagener Vorort ein Pony auf der Weide stehen sah. Niemand in seiner Familie hatte jemals irgendetwas mit Pferden zu tun. „Aber mich hat es damals voll erwischt.“ Er schaute immer wieder, ob das Pony da war, ging schließlich zu seinem Besitzer. So fing es an. An den Wochenenden fegte er den Stall und mistete aus, bald saß er selbst im Sattel. Mit 16 begann er in Kopenhagen eine Lehre als Pferdewirt, die er dann in Iffezheim fertig machte – im Nachbarstall seiner späteren Schwiegereltern. „Es war ein vorgezeichneter Weg.“

Rheinlandladys im Rennfieber

Das kann er heute sagen. Doch oft stand er vor der Frage, ob er je wieder reiten könne oder alles aus sei. 1999: zwei Wirbelbrüche beim Training. 2002: schwerer Sturz in Mailand, wo er ein Jahr zuvor den Titel geholt hatte, „die Pferde fielen wie Dominosteine“. Er mittendrin, vier Wirbel gebrochen. Aber er kam zurück, heuerte beim Royal Hongkong Jockey Club an. 58-mal startete Hammer-Hansen auf den Geläufen von Hongkong und Singapur. Eine lukrative Sache: unter 40 000 Euro Preisgeld öffnet sich dort keine Startbox. „In Hongkong wird an zwei Renntagen mehr Umsatz gemacht als in Deutschland im ganzen Jahr.“ Zu den Rennen kommen 80 000 Leute und wetten wie verrückt.

2007: Auszeit. Hammer-Hansen wurde Linienbusfahrer in Kopenhagen wie schon sein Vater. „Mein Akku war leer. Ich wollte geregelte Arbeitszeiten, ein freies Wochenende und ein ganz normales Familienleben“, sagt er. „Der Job als Busfahrer hat meinem Kopf gutgetan. Es war das Beste, was ich für mich getan habe.“ Nach einem Jahr spürte er wieder diesen Biss in sich.

„Von wäm spröchste denn?“ – „Na, von däm Sissi.“ – „Wä?“ – „Däm Sissi.“ – „Kenn ech nit.“ – „Endoch, dat es so e kleene Stute.“ – „Säht mech janix.“ Zwei Rheinlandladys sind im Rennfieber. „Wie vill Pfärd loofe do jetz? Senn dat zehn?“ – „Nä, nor acht, zwee send doch jrod jestreche wohde.“ – „Semmer hee eejenslech södlech von Stuttjart?“ – „Jo, ech jlöv schonn.“ Der Mann neben den beiden zerknüllt ein paar Wettzettel und wirft sie auf den Boden. Dort sieht es schon aus wie nach einem Papierknäuel-Hagelsturm.

Spanferkelimbiss und Sektlounge

Hinter den Tribünen bei den Wetthäuschen, dem Spanferkelimbiss, dem Hutverkäufer, der Sekt-Lounge und dem Mercedes-Stand werden die Rennen live übertragen. Ein Paar unterhält sich bei einer Currywurst in feinstem Oxford-Englisch, vor sich das Programmheft. Da steht alles drin: wie man eine Platz-Zwilling-Wette richtig ausfüllt. Dass Adrie de Vries, der Winnemark zum Sieg ritt, schon 763 000 Euro an Preisgeldern gewonnen hat. Dass La Commune, eine Debütantin aus kleinem Stall, beim fünften Rennen wohl nur Außenseiterin ist. Und Citron Spirit, der Favorit im Hauptrennen, liebt weichen Boden.

Es gibt keine bessere Galopperrasse als Englisches Vollblut. „Schnell, aber sensibel“, sagt Lennart Hammer-Hansen. „Ein Knall, und die sind fertig mit den Nerven. Den Siegeswillen haben sie von alleine, aber man muss ihnen Ruhe und Sicherheit geben, Nervosität überträgt sich sofort auf das Tier wie ein Infekt.“ Er ist in seiner Karriere schon einige sagenhaft gute Sprinter geritten: Salve Regina – „eine große, breite Fuchsstute, ein tolles Pferd“. Calyxa – „ein echter Profi“. Soldier Hollow – „ein kleiner ausgeglichener Hengst mit unglaublichem Speed und Kampfgeist, er hat sich seine Kräfte immer aufgespart“.

2011 brach sich Hammer-Hansen bei einem Sturz beide Oberschenkel. Aber weil noch 47 Siege bis zur 1000er-Marke fehlten, biss er sich noch einmal durch, kam wieder zurück, gewann weiter. Er gilt als hervorragender Taktiker. Einer, der auf seine Chance warten kann, keine Hektik kriegt, wenn die Bude erst mal zu ist nach dem Start. „Kaum einer weiß, wie viel Kraft man braucht, um so ein 400-Kilo-Paket im Endspurt richtig zu führen. Es gerade zu stellen, wenn es schon ein wenig unregelmäßig läuft und dann zu schwanken beginnt vor Erschöpfung.“ Jockeys, sagt Hammer-Hansen, hätten nach den Boxern das härteste Trainingsprogramm aller Sportler.

Wertvoller Prachtbursche

„Als Profi hat man permanent sechs bis acht Kilo Untergewicht“, sagt er. 20 Jahre Dauerdiät. War er am Morgen vor einem Rennen noch zu schwer, joggte er zehn Kilometer im Schwitzanzug. Jetzt muss er nicht mehr. Im Mai verletzte er sich in der Startmaschine am Knie – und beendete seine Karriere. Den Biss hat er immer noch: jetzt als Trainer für den neu gegründeten Iffezheimer Rennstall NÖ7 von Lars Jensen. Bei ihm ist Hammer-Hansen vor 22 Jahren in die Lehre gegangen. Wenn die Reha gut läuft, steigt er im November wieder in den Sattel und beginnt richtig mit der Arbeit. Nächstes Frühjahr könnten dann schon zehn bis 15 Pferde in den Boxen stehen. Sein Ziel.

Und vielleicht ist irgendwann eines wie Frankel darunter, dem zurzeit teuersten Loverboy im Galopper-Business. Sein Wert wird auf 116 Millionen Euro taxiert. Vor zwei Jahren trat der Wunderhengst ungeschlagen als schnellstes Pferd der Welt ab. Seitdem stehen die Besitzer mit ihren Stuten Schlange, um etwas von seinem Erbgut abzubekommen. 150 000 Euro soll sein Besitzer, der Saudi-Prinz Khalid Abdullah, für einen erfolgreichen Natursprung von Frankel verlangen. Bei mehr als 100 Einsätzen im Jahr kommt da ganz schön was zusammen. Ein Prachtbursche.