Schauspiel ist kein Ponyhof. Davon erzählt clever der Franzose Olivier Assayas: Juliette Binoche spielt eine Diva, die mit dem Altern und der jungen Konkurrenz konfrontiert wird. Kristen Stewart darf an ihrer Seite weit über „Twilight“ hinauswachsen.

Stuttgart - Eigentlich ist alles ganz einfach! Da ist das Theater, auf dem die junge Schauspielerin Maria Enders die anspruchsvolle Rolle der jungen Sigrid in dem berühmten Drama „Maloja Snake“ und in der darauf folgenden Verfilmung so überzeugend interpretierte, dass sich darauf eine internationale Karriere gründen ließ, die souverän zwischen Theater und Arthaus-Kino zu pendeln verstand.

 

Jetzt soll diese Schauspielerin für den Autor des Stückes die Laudatio bei einer Preisverleihung halten, was sie auf nicht immer angenehme, vielleicht sogar heikle Weise mit ihrer Künstlerbiografie konfrontiert. Hat sie den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten? Doch auf dem Weg zur Preisverleihung kommt die Nachricht, dass der Autor Selbstmord begangen hat.

Bedenkzeit in den Bergen

Das folgende Treffen mit alten Freunden und Kollegen sollte im Zeichen der Trauer stattfinden, kreist jedoch eher um kaum verdeckte Eitelkeiten und buhlende Ambitionen. Ein forscher deutscher Jung-Starregisseur namens Klaus Diesterweg, großartig verkörpert von Lars Eidinger, versucht Maria zu überreden, an seiner Londoner Neu-Inszenierung von „Maloja Snake“ mitzuwirken.

Allerdings würde sie jetzt – dreißig Jahre später – nicht mehr die Rolle der jungen Verführerin Sigrid spielen, sondern diejenige der älteren Verführten Helena, die in den Selbstmord getrieben wird. Wäre das nicht ein künstlerischer Triumph? Maria zögert, erbittet Bedenkzeit, sagt dann doch zu und zieht sich mit ihrer halb so alten Assistentin Valentine in die einsame Bergwelt des Engadins zurück, um den Text zu proben.

Dabei kommt Valentine natürlich die Rolle der Sigrid zu – und mehr als einmal scheinen Konflikte der literarischen Vorlage direkt in die Realität der beiden Frauen zu münden: Die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt in „Die Wolken von Sils Maria“ mehr als einmal, zumal sich Valentine in ihrer Arbeit durch Maria nicht hinreichend gewürdigt sieht.

Ein vielfach gespiegelter Kampf

Als ultimativen Coup seiner Inszenierung hat sich der Regisseur Diesterweg dann die Besetzung der Sigrid mit dem Nachwuchsstar des aktuellen Blockbuster-Kinos Jo-Ann Ellis gedacht, die bisher weniger im Kino als durch ihre Youtube-Präsenz reüssiert hat. Um zu erfahren, womit hier zu rechnen ist, sehen sich Maria und Valentine ihr aktuelles 3-D-Fantasy-Spektakel im Kino an. Maria reagiert erwartbar bildungsbürgerlich bis kulturkritisch auf den Quatsch, während Valentine darin doch Tiefe und Komplexität erkennt.

Mit unerhörter Leichtigkeit und Souveränität gelingt es dem französischen Regisseur Olivier Assayas („Ende August, Anfang September“, „Carlos – Der Schakal“, „Die wilde Zeit“), seine Generationen-Trias als vielfach vernetzten und gespiegelten Kampf um kulturelle Deutungshoheit zwischen Hochkultur, Popkultur und Celebrity-Kultur zu entwerfen. Selbst in der Abgeschiedenheit des Engadins sind die neuen Medien stets präsent. Dauernd klingeln Mobiltelefone, ständig wird gegoogelt, auch Maria, die einmal von ihrer Verachtung für das Internet spricht, hat stets ein iPad zur Hand, wenn Unbekanntes ins Spiel kommt.

Skandalumwitterter Nachwuchs

Assayas, seines Zeichens erklärter Autorenfilmer, registriert solche Widersprüche, wertet sie aber nicht. Stattdessen zieht er lieber eine weitere Meta-Ebene in seinen Film ein: in einem Film, der auch davon handelt, wie für eine spektakuläre Theater-Inszenierung die Rollen besetzt werden, spielt der Film selbst mit den Biografien seiner Stars.

Assayas schrieb einst sein erstes Drehbuch für André Téchinés „Rendez-vous“, der der Durchbruch für die junge Juliette Binoche werden sollte. Der „Twilight“-Star Kristen Stewart darf selbstironisch oder auch nicht vom Reichtum des Kommerzkinos schwärmen, und Chloë Grace Moretz, die den skandalumwitterten Hollywood-Nachwuchs spielt, ist tatsächlich Nachwuchs („Kick-Ass“), während der ehemalige Nachwuchs Kristen Stewart mittlerweile wohl schon Richtung Arthaus tendiert. Der Schauspieler und Theaterregisseur Lars Eidinger schließlich spielt einen Theaterregisseur, und Hanns Zischler, nun ja, einen eitlen Fatzke, der die besten Jahre hinter sich hat.

Nebenher verbeugt sich Assayas nicht nur vor der Filmgeschichte, indem er an einen Bergfilm von Arnold Fanck über das titelgebende „Wolkenphänomen von Majola“ aus dem Jahre 1924 erinnert, sondern jongliert auch noch mit den Genres, indem er die „Youtube“-Videos von Jo-Ann Ellis und die Szene aus ihrem Fantasy-Blockbuster selbst inszeniert. Da ist viel postmoderne, auf das Mehr-Wissen des Zuschauers setzende Spielerei dabei, aber letztlich geht es sehr ernsthaft um den Wandel der Medienlandschaft, über das neu zu verhandelnde Verhältnis von Kunst und Kommerz und nicht zuletzt darum, großartigen Schauspielerinnen eine Bühne für ihre unterhaltsame Kunst zu bieten.

Die Wolken von Sils Maria. Frankreich, Schweiz, Deutschland 2014. Regie: Olivier Assayas. Mit Juliette Binoche, Kristen Stewart, Lars Eidinger. 124 Minuten. Ab 6 Jahren.