Ein im wahrsten Sinne des Wortes buntes Volk hat sich am Wochenende durch die Altstadt von Marbach (Kreis Ludwigsburg) bewegt und die Zeitreise ins 18. Jahrhundert sichtlich genossen.

Ludwigsburg: Sabine Armbruster (sar)

Von Weitem hört man Trommelwirbel und Flötentöne von der Schillerhöhe her. Dort, wo sonst das überlebensgroße Denkmal Schillers schweigend in Richtung Neckar blickt und nur Vogelgezwitscher und Hundegebell zu hören sind, zeigen stattliche Männer in prächtigen blauen und grünen Soldatenröcken, was es heißt, einem Herzog zu dienen.

 

Matthias Mechela von der Interessengemeinschaft historische Darstellungen des 18. Jahrhunderts, der einen Offizier der Infanterie mimt, hat seine Truppe gut im Griff: „Präsentiert das Gewehr, rechtsum!“, kommandiert er zackig, und alle gehorchen. Zum Empfang des Stadtvogts, im echten Leben der Marbacher Bürgermeister Jan Trost, wird extra eine Eskorte abgeordnet. Der ist nicht anzumerken, ob sie sich über die seltsame Kleidung des Stadtvogts wundert. In Jeans und Poloshirt wirkt er wie aus der Zeit gefallen. Denn auch auf der benachbarten Wiese haben sich in einem Lager aus schlichten weißen Zelten Handwerker und Marketender in historisch anmutenden Gewändern niedergelassen.

Das 18. Jahrhundert wird großzügig interpretiert

Etwa 80 Mitglieder der Interessengemeinschaft sind aus ganz Deutschland zum 18.-Jahrhundert-Fest nach Marbach gereist. Allerdings ist Mechela nicht entgangen, dass sich auch andere Kostümierte darunter gemischt haben: „Die Kleidung von den Leuten dort drüben gab es erst fünfzig oder sechzig Jahre später, in napoleonischer Zeit. Das macht das Bild kaputt“, kritisiert er.

Fürs Klöppeln braucht man Geduld, gute Augen und geschickte Finger. Foto: Werner Kuhnle

Das reine 18. Jahrhundert ist jedoch auch am Samstag und Sonntag nicht in der Marbacher Altstadt zu finden. Beim 200 Personen umfassenden, von Trommeln und Flötentönen begleiteten Zug der Gewandeten von der Schillerhöhe auf den Burgplatz mischen sich Menschen in prächtigen Rokokokostümen unter die in grobes Leinen gekleideten einfachen Bürger, doch unter den langen Röcken lugen nicht selten bequeme Turnschuhe hervor.

Laute Kritik am Adel

Vor allem die in edlen Brokat Gehüllten sind es, die den Unmut eines Mannes in der Marktstraße hervorrufen: „Geht zurück nach Ludwigsburg, verlasst unser Dorf!“, ruft er – ungeachtet dessen, dass Marbach damals schon Stadt war – mit dröhnender Stimme und schimpft, dass der Adel das Geld für den Bau eines Schlosses verprasse, während das einfache Volk sich nicht einmal mehr Kartoffeln leisten könne.

Gleich doppelt besetzt: Die Rolle des Herzogs. Foto: Werner Kuhnle

Der Bauherr des Schlosses, Herzog Eberhard Ludwig, kommt auch bei einer Theaterszene auf dem Burgplatz nicht gut weg – egal, ob als greinendes Kleinkind oder als Landesherr, der sich um seine Mätresse Wilhelmine von Grävenitz kümmert und die Regierungsgeschäfte vernachlässigt. Das Publikum ist begeistert von der unterhaltsamen Darstellung.

Handwerker und Gaukler beleben die Szenerie

Wer sich weniger für Komödianten als für altes Handwerk interessiert, kommt bei dem Fest ebenfalls auf seine Kosten. Zwei Spitzenklöpplerinnen sind zu beobachten, auch ein Turmuhrmacher, ein Schmied, ein Buchbinder und eine Pergament-Manufaktur sind ebenso vertreten wie der Meisterkurs Blasinstrumentenbau an der Ludwigsburger Oskar-Walcker-Schule. Im Burgkeller können Erwachsene und Kinder altes Spielzeug ausprobieren, außerdem kann die junge Generation in einem Zelt Märchen lauschen oder einen Hindernisparcours mit dem Steckenpferd absolvieren. Auch Zauberkünstler und Jongleure locken viele Schaulustige an.

Hunderte Besucher aus der Region frönen der Lust am Verkleiden. Auch die Inhaber der Geschäfte in der Marktstraße, von der Apotheke bis zum Antiquariat, sind kostümiert, der Treffpunkt Q wird zur Quartiersschänke.

Das Fest hätte fast abgesagt werden müssen

Am besucherstarken Samstag und Sonntag ist dann auch der Stadtvogt standesgemäß gekleidet. Von der Burgmauer herab begrüßt er in wohlgesetzten Worten das Volk und erinnert an den Wiederaufbau der Stadt, nachdem diese 1693 von den Franzosen in Brand gesteckt worden war. Das hat sich glücklicherweise geändert: Die Gäste aus der französischen Partnerstadt L’Isle Adam sind am Wochenende in völlig friedlicher Mission nach Marbach gekommen. Stadtvogt Trost vergisst auch nicht zu erwähnen, dass das Fest heuer um ein Haar dem allzu schmalen Stadtsäckel zum Opfer gefallen wäre – wären nicht Sponsoren und der Stadtmarketingverein zur Rettung herbeigeeilt.

Dessen Mitglieder versuchen nun, mit dem Verkauf bunter Erinnerungsbänder das Geld wieder hereinzuholen. Wäre das doch nur so einfach wie bei dem Zauberkünstler, der blanke Münzen hinter den Ohren der nichts ahnenden Zuschauer hervorholt. Die vom Offizier am Freitag verlesene Anordnung von Herzog Carl Eugen, die Wirtschaften hätten aus Anlass des Festes den Regimentsmitgliedern und deren Begleitzug ständig Einlass zu gewähren und kostenlos Speise und Trank zu bieten, wurde freilich nicht umgesetzt. Dafür gab es aber weder die bei Nichtbefolgung angedrohten Geldstrafen noch den Entzug der Schankerlaubnis.