Berlins Geschichte ist reich an Bauskandalen. Doch die Peinlichkeiten und Pannen, die sich Politiker und Manager beim neuen Flughafen leisten, übertreffen alles. Warum der Airport zu einem der teuersten Bauvorhaben der Republik wurde.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Berlins Geschichte ist reich an Bauskandalen. Doch die Peinlichkeiten und Pannen, die sich Politiker und Manager beim neuen Flughafen leisten, übertreffen alles. Zum vierten Mal ist jetzt der zuletzt für Oktober 2013 geplante Eröffnungstermin geplatzt. Als „heftig, fast grauenhaft“ bezeichnet sogar der oberste Technikchef Horst Amann hörbar verzweifelt inzwischen die zahlreichen Probleme. Einen neuen Starttermin will der Bauexperte nicht nennen – ein Offenbarungseid nach gut sechs Jahren Bauzeit. Wie konnte das passieren? Eine Spurensuche.

 

Das Projekt Wenigstens aus der Ferne sieht der Hauptstadtflughafen mit dem Kürzel BER so aus, als könnte gleich der erste Flieger starten. Ein Gelände, so groß wie 2000 Sportplätze. Zwei fertige Startbahnen, 4000 und 3600 Meter lang. Dazwischen drei Piere in U-Form mit 1400 Meter Laufwegen und 37 Ausgängen zu den Fliegern, meist über Passagierbrücken. Und mittendrin im U das gläserne, mehr als eine Milliarde Euro teure Abfertigungsgebäude.

Bei Berlins neuem Tor zur Welt in Schönefeld wurde geklotzt, nicht gekleckert. Das 10 000 Tonnen schwere, säulengestützte Dach wird vom Schriftzug „Flughafen Berlin Brandenburg Willy Brandt“ gekrönt. Allein dieser Glaspalast ist 220 Meter breit, 180 Meter tief und 32 Meter hoch. Das ganze Berliner Olympiastadion könnte darin verschwinden. Auf den sechs Stockwerken soll künftig das Herz des Airports schlagen. Bis zu 70 000 Reisende täglich könnten hier unterwegs sein. In der mit poliertem Stein ausgelegten Eingangshalle gibt es acht Inseln für den Check-in mit 94 holzverkleideten Schaltern. In den Untergeschossen: der Bahnhof mit sechs bis zu 400 Meter langen Gleisen, die Ankunftsebene mit acht Gepäckbändern sowie Läden und Gastronomie. In den Etagen darüber: Abflug- und Warteräume für abfliegende Reisende, Sicherheitskontrollen, Lounges, ein zentraler „Marktplatz“ mit noch mehr Geschäften und eine Aussichtsterrasse.

Die Baumängel Ausmaße und Komplexität des Milliardenprojekts überfordern offenbar Planer, Bauherren und Aufseher. Zum Beispiel bei einer elementaren Voraussetzung jedes Bauwerks: dem Brandschutz. Die vollautomatische Feuerschutz- und Entrauchungsanlage des Terminals ist mit 19 000 Brandmeldern, 50 000 Sprinklern, großen Luftklappen und aufwendiger Computersteuerung die angeblich größte weltweit. Doch das hilft wenig, wenn Software hakt und die Anlagen anders ausgelegt sind, als die Baugenehmigung vorschreibt. Die Bauherren und die zuständigen Firmen Bosch und Siemens haben die Probleme bis heute nicht in den Griff bekommen. Während Siemens Anfragen zu den Problemen schlicht ignoriert, setzt sich der Bosch-Konzern, der die Brandmeldeanlage gebaut hat, zur Wehr. „Die Anlagen, Rauchmelder und die Steuerung funktionieren inzwischen genau entsprechend den technischen Anforderungen“, sagt ein Sprecher; Bosch habe seine Aufgabe erfüllt.

Das Problem bestehe aber darin, dass die Vorgaben vom Bauherren immer wieder geändert würden. Mit jeder Änderung aber sind neue Anpassungen, Tests und Nachweise nötig, die Zeit und Geld kosten. Zudem soll der Betrieb vollautomatisch und integriert funktionieren, die Rauchmelder also im Notfall sofort Sprinkler-, Entrauchungs- und Belüftungsanlagen aktivieren, für die maßgeblich Siemens zuständig ist. Diese Integration klappt aber bis jetzt nicht richtig.

Das Bauamt des Kreises Dahme-Spreewald hat die Anlagen bisher nicht abgenommen, weil die verlangten Unterlagen, Tests und Nachweise fehlen. Eine richtige Entscheidung: wenn im Brandfall giftige Dämpfe nicht sofort nach draußen und frische Luft nach innen befördert werden, können Gebäude binnen Minuten zur Todesfalle werden, wie die Katastrophe im Flughafen Düsseldorf vor Jahren zeigte. Danach wurden die Sicherheitsauflagen deutlich verschärft. Diese Auflagen erfüllt der BER bis heute nicht. So drohen Umbauten und Teilabrisse. Decken in fertig gestellten Bereichen werden wieder geöffnet werden müssen, um die Kanalführung zu verbessern; die Sanierung könnte nochmals Jahre dauern. Damit werden die noch auf 4,3 Milliarden Euro veranschlagten Kosten weiter steigen.

Aber die Mängelliste ist noch länger. Die kilometerlangen Kabelschächte im Terminal sind viel zu klein dimensioniert und müssen aufwendig erweitert werden. Rolltreppen sind teils zu kurz, und in den mit fast 13 000 Scheiben verglasten Terminal dringt bereits Feuchtigkeit. Für die Kühlung der Computeranlage müssen zusätzliche Einrichtungen gebaut werden. Und auch bei den unterirdischen Tankanlagen für die Flugzeuge gibt es Probleme.

Die Planungs- und Kontrollmängel Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, die Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, hat das Debakel maßgeblich mit zu verantworten. Der Vorsitzende, Berlins Regierungschef Klaus Wowereit, will deshalb sein Amt abgeben. Der langjährige Flughafenchef Rainer Schwarz hat jeden Rückhalt verloren; Manfred Körtgen, Technikchef, musste bereits im vorigen Jahr gehen. Die BER-Blamage hatte auch für die langjährige Planungsfirma PG BBI Folgen. Dem Generalplaner und Objektüberwacher wurde vorigen Mai gekündigt. Hinter der PG stehen die renommierten Architektenfirmen J.S.K. International Architekten und Ingenieure GmbH sowie der gmp Generalplanungsgesellschaft mbH (Gerkan, Mark und Partner), die Renommierbauten wie den Berliner Hauptbahnhof geschaffen haben. Den Planern werden vom neuen Technikchef Amann schwere Vorwürfe gemacht. Die Risiken auf der Baustelle seien unterschätzt worden, die Pläne für den Brandschutz fehlerhaft; auf der Baustelle habe es unsachgemäße Arbeiten gegeben, die Bauüberwachung sei schlecht koordiniert worden.

Der Vorwurf trifft allerdings auch die Flughafengesellschaft selbst, die schon vor Jahren bei der PG BBI Generalplanung und Projektüberwachung in eine Hand legte. Eine solche Doppelbeauftragung sei falsch und rechtswidrig, weil die Planer so de facto ihre eigenen Arbeiten überwachten, kritisierten Juristen schon damals. Trotzdem duldete der Aufsichtsrat die Praxis.

Damit nicht genug. Schon 2007 warnten Experten wie der Airline-Verband BARIG, dass beim damals noch auf drei Milliarden Euro veranschlagten Bau Zeit- und Kostenplan nicht zu schaffen seien. Die Flughafengesellschaft entschied seinerzeit, die schon abgeschlossene Ausschreibung des Terminalbaus für einen Generalunternehmer aufzuheben und die Gewerke einzeln zu vergeben (was zu neuen technischen Herausforderungen führte, die Unternehmen wie Bosch und Siemens zu schaffen machen). Damit wollte man Kosten sparen. Die Bewerber hatten mindestens eine Milliarde Euro veranschlagt; das Budget der Berliner sah nur 650 Millionen Euro vor. Inzwischen steht fest, dass der Terminal am Ende weit über eine Milliarde Euro kosten wird. Den Grund dafür sehen Experten wie Michael Knipper vom Hauptverband der Bauindustrie in der Abkehr von den Generalunternehmern; Knipper spricht von einem „schweren Fehler“.

Das Versagen der Politiker Seit gut 20 Jahren sind die wechselnden Regierungen im Bund und den zwei Ländern maßgeblich für die Fehlentwicklungen verantwortlich. So wollte der Senat unter Eberhard Diepgen (CDU) einen Mega-Airport bauen. Dann scheiterte der damalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) mit dem Plan, den BER als ersten Flughafen privat planen, finanzieren, bauen und betreiben zu lassen. Der Staat übernahm nach jahrelangem Zeitverlust und hohen Kosten den Bau schließlich in Eigenregie.

Auch bei der Standortentscheidung versagte die Politik. Das Raumordnungsverfahren des Brandenburger Umweltministeriums empfahl den stadtfern gelegenen ehemaligen Flugplatz Sperenberg als besten Standort. Berlin aber setzte die mit Abstand am schlechtesten bewertete Variante durch, den Ausbau des stadtnahen Flughafens Schönefeld. Für viele Hauptstädter sind zwar die Wege etwas kürzer, dafür aber trifft der Fluglärm viel mehr Bürger und hat eine teure Klagewelle ausgelöst, die bereits zur Einschränkung der geplanten lukrativen Nachtflüge im Frachtgeschäft führte. Der erweiterte Lärmschutz für 14 000 Wohnungen wird weitere 300 Millionen Euro kosten. Zudem wird in Schönefeld die weitere Expansion kaum durchsetzbar sein, obwohl der für 27 Millionen Passagiere ausgelegte Airport schon bei der Eröffnung ausgelastet sein wird. 2012 waren bereits rund 25 Millionen Fluggäste auf den beiden vorhandenen Berliner Flugplätzen unterwegs. Der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa warnt in einer Studie, dass der Airport zu klein geplant sei und pro Jahr 190 Millionen Euro Verlust einfliegen werde. Nur Erweiterungen könnten das Projekt noch rentabel machen. Kostenpunkt: 3,3 Milliarden Euro.