Das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, Planungen wie etwa beim Straßenbau zu beschleunigen, stößt auf Kritik beim Landes-Naturschutzverband. Der Dachverband sieht seine Mitwirkungsmöglichkeiten eingeschränkt. Dies sei mit der Politik des Gehörtwerdens nicht vereinbar.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Landesnaturschutzverband kritisiert Grün-Rot und lobt Stefan Mappus – das würde man so nicht unbedingt erwarten. Den derzeit Regierenden fühlen sich die ehrenamtlichen Ökologen schließlich näher als dem früheren CDU-Ministerpräsidenten. Genau diese Konstellation aber gibt es derzeit, und das auch noch im Zusammenhang mit der von Winfried Kretschmann propagierten „Politik des Gehörtwerdens“. Dessen Koalition beschneide die Mitwirkungsrechte der Natur- und Umweltschutzverbände, beklagt der Dachverband. Anerkennend registriert er hingegen, dass eine schon drei Jahre zurückliegende Initiative von Mappus für eine frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit bei Großprojekten nun tatsächlich umgesetzt werde.

 

Hintergrund ist eine wenig beachtete, derzeit laufende Gesetzesnovelle: überarbeitet werden das Landesverwaltungsverfahrensgesetz, kurz LVwVfG, und das Straßengesetz Baden-Württemberg. Im Dezember hat das Kabinett den Entwurf beschlossen, kürzlich endete die Anhörung der Verbände, nun geht das Gesetz ins parlamentarische Verfahren. Die Änderungen beträfen im Wesentlichen das Planfeststellungsrecht, berichtet das federführende Innenministerium von Reinhold Gall (SPD). Hier würden Vorschriften aus Fachgesetzen des Bundes in das allgemeine Verfahrensrecht des Landes übernommen. „Simultangesetzgebung“ lautet der Fachbegriff dafür.

Natürschützer klagen: weniger Zeit für Stellungnahmen

Was trocken-technisch klingt, hat für die Natur- und Umweltschutzverbände ganz konkrete Folgen. Im Zuge der Beschleunigung von Verfahren, unter anderem für den Straßenbau, werden ihre Mitwirkungsmöglichkeiten eingeschränkt. Für die Abgabe von Stellungnahmen sollen sie künftig, entgegen der bisherigen Praxis, über die geltenden sechs Wochen hinaus keine Fristverlängerung mehr erhalten. Nicht fristgerecht vorgebrachte Argumente, so der zweite Punkt, dürfen künftig nicht mehr berücksichtigt werden.

Für die meist ehrenamtlich tätigen Natur- und Umweltschützer, die oft umfangreiche Unterlagen wälzen müssten, sei das eine erhebliche Einschränkung, rügt die LNV-Geschäftsführerin Anke Trube. Bisher hätten sie meistens einen Aufschub erhalten, und verspätet eingegangene Argumente seien selbstverständlich noch gehört worden.

Vorwurf: Politik des Gehörtwerdens bleibt auf der Strecke

Das neue Gesetz verhindere die Verbesserung von Planungen, wenn Hinweise der Naturschützer ignoriert werden müssten. Dies sei „mit der Politik des Gehörtwerdens nicht vereinbar!, heißt es in der Stellungnahme des Dachverbandes. Darin wird zugleich gerügt, dass es anstelle des Planfeststellungsverfahrens eine einfachere Plangenehmigung geben solle, wenn Rechte anderer „nur unwesentlich“ betroffen seien. Außerhalb ihres Fachbereichs könnten Behörden dies kaum beurteilen, moniert der LNV; oft würden sie nicht erkennen, wenn Natur- und Umweltgüter betroffen seien. Lob spenden die Umweltschützer hingegen der Absicht, die Beteiligung der Öffentlichkeit bei großen Bauvorhaben zu erweitern. Die Behörde sollen künftig darauf hinwirken, dass die Projektträger noch vor dem offiziellen Antrag die Bürger einbeziehen; verpflichtend wird dies allerdings nicht.

In der LNV-Stellungnahme begrüßt der Landeschef Reiner Ehret ausdrücklich, dass damit eine Bundesratsinitiative von Stefan Mappus aus dem Jahr 2011 umgesetzt werde. Kurz vor der Landtagswahl hatten der Regierungschef und der damalige Innenminister Heribert Rech (CDU) damit auf die eskalierten Proteste gegen Stuttgart 21 reagiert, insbesondere auf den verhängnisvollen „schwarzen Donnerstag“ im Schlossgarten.

Die Bürger müssten rechtzeitig informiert werden und ihre Meinung bereits dann einbringen können, wenn die Planung noch nicht endgültig feststehe, argumentierten damals Mappus und Rech – auch als Lehre aus der Schlichtung mit Heiner Geißler. Dies werde die Akzeptanz von Großprojekten steigern, erwarteten sie. Inhaltlich will sich Rechs Nachfolger Gall noch nicht zur Kritik des Landesnaturschutzverbandes äußern. Die Reaktionen auf die Novelle würden derzeit ausgewertet und dann mit anderen Ressorts abgestimmt. Große Änderungen, signalisierte das Innenressort, seien freilich nicht mehr zu erwarten: Es gehe schließlich darum, Bundes- in Landesrecht umzusetzen.

Gall: Land muss Bundesregeln umsetzen

Auf Bundesebene wurden die Mitwirkungsrechte schon seit 1991 nach und nach reduziert, beginnend nach der Wende in den ostdeutschen Ländern; dort sollte vor allem der Verkehrswegebau zügig vorangehen. In den Jahren 2006 und 2013 wurden entsprechende Gesetze zur Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung in Berlin verabschiedet. Würde das Land vom gemeinsamen Vorgehen abweichen, erläutert Galls Sprecher, könnte der Bund die Regeln jederzeit auch im Südwesten durchsetzen.