Die bundespolitische Wetterlage macht den lokalen Erststimmenpakt wirkungslos – zumindest für den grünen Politprofi Özdemir. Allenfalls SPD-Neuling Schäfstoß profitiert.

Stuttgart - Es war in der Geschichte der Bundestagswahlen in Stuttgart ein einmaliger Vorgang – und wenn man das reine Ergebnis betrachtet, ist der Versuch kläglich gescheitert. Der grün-rote Erststimmenpakt für Cem Özdemir im Wahlkreis Stuttgart I und für Nicolas Schäfstoß im Wahlkreis Stuttgart II hat beiden Bewerbern bei Weitem nicht so viel Stimmen zusätzlich eingebracht, dass sie den Wiedereinzug der CDU-Platzhirsche Stefan Kaufmann und Karin Maag ins Berliner Parlament verhindern konnten. Und während Özdemir, der mit dem Pakt ein Direktmandat ergattern sollte, und die Grünen mit ziemlich leeren Händen dastehen, zieht der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc ein zufriedenes Fazit: „Unser Kandidat Nicolas Schäfstoß hat ein mehr als respektables Ergebnis erreicht, die SPD ist wieder zweitstärkste Kraft in der Stadt – das ist insgesamt doch ein erfreuliches Fazit.“

 

Hier Özdemirs Niederlage, dort Percs Zufriedenheit – bei den erstmals seit vielen erfolgreichen Wahlabenden in Stuttgart wieder einmal gebeutelten Grünen und auch bei der SPD wird es nun intern wohl zu Debatten kommen über den Schachzug, der den politischen Gegner von der CDU nicht mattsetzte, aber die eigenen Kandidatinnen Ute Vogt (SPD) und Birgitt Bender (Grüne) zu Bauernopfern machte. Wobei Ute Vogt dank der guten Platzierung auf der Landesliste erneut im Bundestag sitzt, während Birgitt Bender nach elf Jahren um ihr Mandat zittern muss, weil der elfte Listenplatz nicht ausreichen könnte.

Die Ereignisse des Wahltags können Sie hier nachlesen. Reaktionen der Stuttgarter Bundestagskandidaten im Rathaus zeigen wir im Video.

Als gegen 18.45 Uhr die ersten Erststimmenergebnisse aus den Wahllokalen an die Wand im Großen Sitzungssaal projiziert werden, wird deutlich, dass der Genosse Trend an diesem Wahlsonntag im christdemokratischen Gewand daherkommt. Die CDU-Bewerber Stefan Kaufmann und Karin Maag liegen bereits deutlich jenseits der 40-Prozent-Marke, die Konkurrenz von der SPD und den Grünen deutlich abgeschlagen. Am Ende wird Maag mehr Erststimmen auf sich vereinen als die Kandidaten von Rot und Grün zusammen, Kaufmann erreicht diese Marke knapp nicht: der bundespolitische Boom verwandelte den Pakt, Perc spricht am Abend von einem Agreement, in eine lokale Fußnote.

SPD-Kandidat Schäfstoß ist zufrieden mit seinem Ergebnis

Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Grünen in Erst- und Zweitstimme weit hinter den Ergebnissen liegen, die sie bei den vergangenen Wahlen von Sieg zu Sieg trugen und zur stärksten politischen Kraft in der Landeshauptstadt machten. Der Erststimmenpakt sollte vor allem bei Özdemir mögliche Stimmenverluste von S-21-Gegnern ausgleichen, die mit dem moderaten Kurs von Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht zufrieden sind und zu den Kandidaten der S-21-Netzwerker oder zu den Linken abwandern könnten. Diese Art der Wählerwanderung wird es aber wohl nur begrenzt gegeben haben – wahlentscheidend war sie nicht, eher haben wohl bürgerliche Wähler den Grünen den Rücken gekehrt und wieder CDU gewählt.

Während Birgitt Bender kurz vor 20 Uhr den vorläufigen Trost von OB Fritz Kuhn entgegennahm, steckten Schäfstoß und Perc zufrieden die Köpfe zusammen. „Ich bin stolz auf dieses Ergebnis“, sagte der Kandidat, der im Wahlkreis Stuttgart II zwar deutlich hinter Maag, aber ebenso klar vor Bender ins Ziel kam. Gegen den Trend im Land, wo die SPD das 2009er Ergebnis noch unterbot, habe er einen Zugewinn bei Erst- und Zweitstimmen. Schäfstoß habe als „unbekannter Kandidat aus dem Stand ein Ergebnis wie die etablierte Abgeordnete Ute Kumpf 2009 erreicht“, lobte Perc. Kumpf hatte dort seit 1998 dreimal das Direktmandat gewonnen. „Wir geben den Wahlkreis nicht auf“, kündigte Schäfstoß forsch an. „Den kann man holen.“ In vier Jahren ist die nächste Gelegenheit – ob mit oder ohne Erststimmenpakt.