Grün-Schwarz nach dem Ampelknall Auf schwankendem Grund

Manuel Hagel ist der neue starke Mann der CDU im Land. Das von Thomas Strobl (hinten links) und Winfried Kretschmann geschmiedete Bündnis unter grüner Führung dürfte bald der Vergangenheit angehören. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Die vorgezogene Bundestagswahl bleibt nicht ohne Einfluss auf das politische Geschehen in Baden-Württemberg. Dem Land stehen jetzt anderthalb Jahre Dauerwahlkampf bevor. Regierungschef Winfried Kretschmann hofft auf ein Amtsende in Frieden. Doch in der grün-schwarzen Koalition gärt es.

Nach dem Aus für die Berliner Ampel schöpfen die Grünen im Südwesten Hoffnung, das Ministerpräsidentenamt auch ohne Winfried Kretschmann verteidigen zu können. Politik ist ein schnelllebiges Geschäft, vielleicht, so die Erwartung, dreht sich bis zur Landtagswahl im März 2026 ja noch das Meinungsklima. Denn eine von Friedrich Merz (CDU) geführte Bundesregierung sieht sich vor dieselben weltpolitischen und wirtschaftlichen Probleme gestellt, die schon dem Ampelbündnis um Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Garaus machten. Merz mag allenfalls davon profitieren, dass die Untergangsgesänge der Wirtschaftsverbände leiser werden, wenn einer der Ihren im Kanzleramt sitzt. Ein Akteur aus den Reihen der Grünen formulierte dieser Tage in vorweg genommener Schadenfreude: „Das Gift, das Merz und Söder mit ihren populistischen Sprüchen verstreut haben, müssen sie dann selber schlucken.“

 

So etwas, sagt Hagel, wolle er nicht noch einmal erleben.

Seit Monaten stigmatisiert die Union, vorneweg die CSU mit ihrem Chef Markus Söder, die Grünen als Partei von Verzicht und Verbot. Mit Erfolg, wie die jüngsten Wahlen zeigen. Selbst die Grünen im Südwesten treten jetzt wieder klein mit Hut auf, beobachtet einer ihrer führenden Köpfe. Die Christdemokraten jedoch zeigen, so lautet der Befund, „breite Brust“ – so wie sie dies einst gewohnt waren, ehe Winfried Kretschmann der CDU in freundlicher Umarmung die Luft abdrückte. Unvergessen sind die Bilder von den Koalitionsverhandlungen 2021. Wortlos und mit eingezogenem Kopf schlichen der damalige CDU-Landeschef Thomas Strobl und sein Generalsekretär Manuel Hagel ins Stuttgarter Haus der Architekten, dem Ort der Bündnisgespräche. Unter Schmerzen erinnert sich Hagel, der Strobl inzwischen als Landesparteichef beiseite geräumt hat, auf das lange Warten am Telefon auf die Koalitionsentscheidung Kretschmanns. So etwas, schwor sich Hagel hinterher, wolle er nicht noch einmal erleben.

Die Landes-CDU setzt darauf, dass das „Ampel-Chaos“ lange genug in den Köpfen der Wähler nachwirkt, um bei der Landtagswahl noch in Erinnerung zu sein. Immerhin gehörte der designierte Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir als Bundesagrarminister der Ampel an. Er ist Teil des Scheiterns. Dieser Hinweis ist den Christdemokraten wichtig. Damit wachen sie morgens auf und wiegen sich abends in den Schlaf. „Die Ampel hat Deutschland geschadet“, befand Hagel unmittelbar nach dem Knall in Berlin.

Bisher hatte der 36-Jährige darauf vertrauen können, auf der Welle des Ampel-Verdrusses ins Staatsministerium zu surfen. Unermüdlich reist er umher, kein Trachtenumzug und kein Bierzelt ist vor ihm sicher. Hagel organisiert perfekt sein Auftreten. Jedes Foto ist ein Fest. Jüngst gab es schöne Bilder aus Rom zu sehen: von der Generalaudienz auf dem Petersplatz. Der Ministerpräsidenten-Aspirant durfte dem Papst die Hand reichen. Die christliche Rahmung seines Tuns ist ihm wichtig. Zum Start der Fasnacht-Fasching-Karnevals-Saison tauchte er dekorativ geschmückt bei der Martinisitzung in Markdorf am Bodensee auf.

„Das Heimatverbundene soll Verwurzelung signalisieren“, bemerkt Andreas Stoch, der SPD-Fraktionschef im Landtag. Hagel bediene mit solchen Auftritten die Vergangenheitssehnsucht in unsicherer Zeit. „Er vermittelt das Ideal einer heilen Welt.“ Cem Özdemir von den Grünen hingegen erreiche im konservativen Lager nicht die Reichweite, die Winfried Kretschmann zu eigen sei. Tatsächlich knüpft Hagel in Rhetorik und Themenwahl an die Tradition der CDU als ländlich geprägte Partei an. Übrigens besucht er auch mittelständische Betriebe. Dies zu erwähnen, ist seinen Leuten wichtig.

Hagel preist die Liebe zur Wurst

Am Grünen-Bashing beteiligt sich Hagel nur dosiert, obwohl es in der Landes-CDU bestens ankommt. Eine satte Zweidrittelmehrheit, sagt ein CDU-Insider, strebe von den Grünen weg. Auf Parteitreffen redet Hagel schon mal mit Schmackes. Er preist die Liebe zur Wurst und bekundet seinen persönlichen Widerwillen gegen das Gendern. Im Landtag aber klingt das so: Der Klimaschutz sei nur zu bewältigen, sagte er vergangenen Woche bei der Generaldebatte über den Landesetat, „wenn wir auf unsere Ingenieure vertrauen – und nicht auf irgendwelche Ideologen“. Die Grünen auf den Bänken vor dem Rednerpult durften sich einen Reim darauf machen, wen er mit Ideologen meinte. „Wir sollten uns darauf konzentrieren“, sagte Hagel weiter, „dass wir in die Welt nicht Moral exportieren, sondern Ideen und Maschinen.“ Damit liegt der Christdemokrat auf der Linie des Ministerpräsidenten. Tenor: Dem Klimawandel ist mit technischen Mitteln zu begegnen, Verhaltensänderungen sind den Menschen nicht zuzumuten.

Der Konservativismus-Forscher Thomas Biebricher, Professor an der Universität Frankfurt, hat unlängst in der Zeitschrift „Merkur“ einen erstaunlichen Rollenwechsel von CDU und Grünen konstatiert. Er nennt die Konservativen Fantasten und die Grünen, jedenfalls in der Klimapolitik, die neuen Realisten. Biebricher schreibt, die traditionelle Technokratie der Konservativen habe sich in einen „Technological fix“ verwandelt: Einst hätten Konservative vor den Gefahren eines utopischen Denkens, vor „wirklichkeitsfremden Wolkenkuckucksheimen“ gewarnt. Nun seien sie es, die einen „ungedeckten Wechsel auf die Zukunft ausstellen“. Gegen die Menschheitsherausforderung des Klimawandels hätten sie „wenig außer der vagen Hoffnung auf Technik“ anzubieten. Sollte sich die Zuversicht zerschlagen, bleibe immer noch „Geo-Engineering“. Dann schieße man – anstelle weniger Fleisch essen, mehr Bahn fahren oder Windräder aufzustellen – Schwefelpartikel in die Atmosphäre, um die Sonnenstrahlen abzulenken.

Nicht alle CDU-Strategen im Land zeigen sich erfreut über die Aggressivität ihrer CSU-Freunde gegen die Öko-Partei. Sie bewerten Söders Agieren als den Versuch, seinen Konkurrenten Merz am Nasenring durch die Manege zu führen. Aber auch Merz redet über eine Koalition mit den Grünen nicht viel anders als über einen Grippeinfekt: besser meiden.

Jenseits der Schulen ist die Landespolitik ein behagliches Geschäft

Ministerpräsident Kretschmann grenzt seine grün-schwarze Koalition so gut als möglich von den Berliner Verhältnissen ab. Zuletzt gelang ihm das nicht mehr, wie die Umfragen zeigen. Die CDU verhält sich zunehmend renitent. Um nochmals den SPD-Vormann Stoch zu zitieren: „An jeder Stelle, wo es um Grünen-Projekte geht, ist die CDU seitwärts unterwegs – oder blockiert sogar.“ In der Verkehrspolitik zum Beispiel sind sich die Koalitionäre fremd. „Die CDU verteidigt jeden Parkplatz in den Innenstädten“, frotzelt ein Grüner. Selbst der angebliche Schulkompromiss rund um die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums ist eine Schimäre. Der Werkrealschulabschluss fällt weg, was kommt, bleibt offen. Die Grünen zielen auf ein zweigliedriges Schulsystem, CDU-Landeschef Hagel sichert den Realschulen die Existenz zu. Für die Verlierer gibt es die Restschule.

Jenseits der Bildung ist die Landespolitik ein behagliches Geschäft. Im Bund werden die großen Verteilungskonflikte ausgetragen: Steuern, Sozialkassen, neuerdings stehen wieder die existenziellen Fragen von Krieg und Frieden, Freiheit und Unterwerfung auf der Tagesordnung. Die Landesregierung hingegen verwaltet. Jüngste Streitfragen zwischen Grünen und CDU handelten von der Finanzierung von kommunalen Radfahrkoordinatoren oder von der Lückenschließung im Nationalpark Schwarzwald. In der Migrationspolitik gelingt es der CDU nur noch mit Mühe, den harten Kurs Kretschmanns und die noch härtere Rhetorik Özdemirs zu übertreffen. Die Christdemokraten sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, sich in dieser Frage an die AfD zu schmiegen.

CDU-Leute im Land sagen freilich, wenn sie wollten, könnten sie mit den Grünen deutlich strenger umgehen. Doch die Wähler wollten keinen Streit – siehe Ampel. Deshalb halte man die Füße still. Exemplarisch sei das inner-grüne Debakel um das Gleichbehandlungsgesetz genannt, das Kretschmanns Kanzleichef Florian Stegmann in einer Form in die Tonne trat, die die Grünen-Fraktion nicht hinnehmen konnte. Jetzt wartet die CDU ab, was die Grünen vorlegen.

Nicht jede Streitfrage lässt die CDU eskalieren

Im Sommer antwortete Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz im Radio auf die Frage, welchen Christdemokraten er auf eine einsame Insel mitnehmen würde: Manuel Hagel. Inzwischen sind von den Grünen andere Töne zu vernehmen. Einer beschreibt den CDU-Landeschef als „Handlungsreisenden“, der viel von Grundsätzen rede, aber keine habe. Umgekehrt malen Christdemokraten die grünen Hoffnungsträger Özdemir als Gescheiterten aus. Über alledem schwebt der Ministerpräsident. Er hofft, seine Amtszeit in Frieden zu beschließen.

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