Streit um Wahlrechtsreform: Grüne und CDU suchen einen Weg, wie der Koalitionsvertrag zu erfüllen sein könnte, der eine Reform vorsieht. Die Aussichten sind trübe.

Stuttgart - Es ist die erste Arbeitssitzung nach dem Krisengipfel: Am Dienstag trifft sich jene Untergruppe des Koalitionsausschusses in Stuttgart, welche vergangene Woche von Grün-Schwarz eingesetzt worden war. Zuvor hatte die CDU-Fraktion ihr Veto gegen die Reform des Landtagswahlrechts eingelegt. Das Projekt ist im Koalitionsvertrag vereinbart und wird von den Grünen wie auch von CDU-Landeschef Thomas Strobl eingefordert. Dass die Gespräche jemals zu einer Wahlrechtsänderung führen werden, ist angesichts der Vorbehalte in der CDU-Fraktion zweifelhaft. „Ich erwarte, dass die CDU sagt, wie sie das Thema umzusetzen gedenkt“, verlangt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Sein Ziel sei eine ernsthafte Debatte in der Sache und die Einigung über die weitere Vorgehensweise.

 

Grundsätzlich sind drei Reformmodelle denkbar. Die Grünen legten der CDU einen Vorschlag mit Datum vom 9. Dezember vor, der die 50 Zweitmandate für den Landtag über Parteilisten vergibt – unter Beibehaltung des Einstimmenwahlrechts. Das geltende Wahlrecht, das nach Artikel 28 der Landesverfassung die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet, sieht einen anderen, hier verkürzt dargestellten Mechanismus vor: Aus den 70 Wahlkreisen gelangt jeweils ein direkt gewählter Abgeordneter ins Parlament. Die 50 infrage stehenden Zweitmandate gehen an die „Lucky Loser“: Das sind jene Kandidaten, die zwar nicht das Direktmandat eroberten, für ihre Partei aber besonders erfolgreich waren, also in ihrem Wahlkreis ein im Vergleich zu Kandidaten derselben Partei in anderen Wahlkreisen gutes Prozentergebnis erzielten. Dass der Landtag derzeit nicht 120, sondern 143 Abgeordnete umfasst, liegt an den Überhang- und Ausgleichsmandaten.

Nicht automatisch Ausdruck von Machtspielen

Bei der Landtagswahl gelangten seitens der CDU 20 Abgeordnete über ein Zweitmandat ins Parlament. Bei einem vergleichbaren Wahlergebnis in drei Jahren wären diese Abgeordnete, legt man den Vorschlag der Grünen zugrunde, auf einen aussichtsreichen Listenplatz angewiesen, um den sie sich auf einem Parteitag bemühen müssten. Dabei würden voraussehbar etliche Mandatsinhaber auf der Strecke bleiben – einfach deshalb, weil die CDU mit der Liste ja den Frauenanteil in der Fraktion nach oben katapultieren möchte. Vielleicht mehr noch deshalb, weil über die Liste auch allerhand Parteiprominenz einen sicheren Weg ins Parlament fände. Bitter konstatiert ein CDU-Abgeordneter: „Von den ersten zehn bis fünf Plätzen kann ich genau sagen, wer die bekommt.“ Das ist ein wesentlicher Grund für den offenen Widerstand in der CDU-Fraktion, ein Widerstand, an dem auch Abgeordnete aus anderen Fraktionen lebhaften Anteil nehmen. Allerdings muss eine Liste nicht automatisch der Ausdruck von Machtspielen auf Parteitagen sein. Listen können auch politische Professionalität verbürgen, weil sie fähige Leute absichern.

Die CDU-Abgeordnete Marion Gentges führt gegen den Vorschlag verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld. Sie verweist auf den Kommentar zur Landesverfassung von Klaus Braun. Eine – so der Fachterminus – gebundene Landesliste nennt Braun unzulässig, „es sei denn, es handle sich nur um eine geringe Zahl von Abgeordnetensitzen, die auf diesem Wege besetzt werden“. Von einer geringen Zahl, so Gentges , könne nicht die Rede sein bei 70 von insgesamt 143 Mandaten. Damit trete das Prinzip der Persönlichkeitswahl gegenüber der Verhältniswahl zurück. Der Grünen-Vorschlag bedürfe einer verfassungsändernden Mehrheit. Die Juristen der Grünen bestreiten diese Interpretation. Selbst nach der strengen Verfassungsauslegung durch den Braun-Kommentar bedürfe es keiner Verfassungsänderung. In dieser Sichtweise werden die 50 Zweitmandate zu den 70 Direktmandaten in Beziehung gesetzt, womit das Kriterium erfüllt sei, nur eine „geringe Zahl“ von Abgeordnetensitzen werde über eine Liste besetzt.

Ein zweites, von den Grünen als Alternative angebotenes Modell für die Wahlrechtsreform wäre ein Zweistimmenwahlrecht, wie es im Bund gilt. Ein drittes Modell liefe darauf hinaus, eine „kleine Liste“ im Umfang von zehn bis 20 Parlamentsmandaten einzuführen. Sofern diese Mandate „on the top“ zu den 120 Regelmandaten hinzuträten, winkten sowohl Grünen-Fraktionschef Schwarz wie auch sein CDU-Kollege Wolfgang Reinhart bereits ab. Eine Vergrößerung des Parlaments halten sie der Öffentlichkeit für nicht vermittelbar.