Wie es kommt, dass ein ranghoher Manager lieber seine veganen Ideale mit einer Supermarktkette verwirklicht. Jan Bredack war erst das eine, jetzt ist er das andere. Mehr Geld brachte ihm der Wandel nicht – aber er ist zufriedener.

Berlin - Es gab eine Zeit, da kaufte sich Jan Bredack eine neue Breitling, wie sich andere ein Taschenbuch kaufen. Er trug Anzug und Maßschuhe, fuhr alle paar Monate ein neues Auto und seiner Frau schenkte er zum Geburtstag einen spontanen New-York-Trip für ein paar Tausend Euro. Ansonsten hatte er mit ihr und den drei Kindern nicht viel zu tun.

 

Heute trägt Bredack lockere Kleidung, seine Füße stecken in sohlenfreundlichen Zehenschuhen – auch an Tagen, an denen er sich zum Gespräch mit der Journalistin aus Stuttgart aus einem Investorentreffen davonschleicht. Seine Ehe ist Vergangenheit. Wenn er ein Auto braucht, nimmt er den VW-Bus der Firma. Und seine E-Mails unterzeichnet er mit „veganzliebe Grüße“.

Die fundamentale Veränderung dauert gerade einmal fünf Jahre

Zwischen dem einen Bredack und dem anderen liegen nur fünf Jahre – und die Geschichte der fundamentalen Veränderung eines Menschen. Alles beginnt kurz nach der Wende. Bredack, Sohn „linientreuer DDR-Bürger“ und mit einem Notendurchschnitt von 1,8 nach eigenen Aussagen in seinem Jahrgang schlechtester Absolvent einer Eliteschule, hat gerade seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker mit Abitur absolviert – im Arbeiter-und- Bauern-Staat wäre ihm damit ein gesellschaftlicher Ehrenplatz sicher gewesen. Im Westen ist der Beruf nicht mehr als durchschnittlich und keineswegs Garant für Aufstieg und Wohlstand.

Bredack bewirbt sich beim Stuttgarter Daimler-Konzern und beginnt eine steile Karriere: Er macht seinen Meister und studiert, während er nachts Rufbereitschaft hat. Er wird von einem Standort zum nächsten gereicht und nimmt seinen Weg nach oben. Irgendwann baut er den Lkw-Kundendienst auf und leitet ihn auch. Bredack macht sich so gut, dass ihn Daimler mit einem Masterstudiengang an der Schweizer Eliteuni Sankt Gallen belohnt. Danach steigt er zum Leiter Vertrieb und Service Nutzfahrzeuge Deutschland auf, verantwortet ein Budget von drei Milliarden Euro und hat 100 Mitarbeiter unter sich. Bredack ist gerade einmal 30 Jahre alt – und „mit Abstand der jüngste in so einer Position“.

Das Ehepaar verdient eine Million zusätzlich zum Daimler-Salär

Nebenbei verschafft er seiner Frau, die sich im Familiendomizil mit Pool im tiefsten Berliner Osten mit zwei Kindern zu langweilen beginnt, Beschäftigung, indem er ihr einen Musicalkartenvertrieb im Internet aufbaut. Bredacks sind damit die Ersten, werden mit gleich mehreren Internetadressen, die sie als scheinbar unabhängige Anbieter gestalten, schnell zum Monopolisten und setzen vom heimischen Wohnzimmer aus zusätzlich zum fürstlichen Daimler-Gehalt mehr als eine Million Euro um. Und da über die Internetseiten viele Gutscheine gekauft werden, die dann aber keiner einlöst, bleibt eine Menge bei Bredacks hängen. „Ich hatte immer eine sechsstellige Summe auf dem Girokonto“, erzählt er. Das war normal.

Doch Bredacks polierte Welt fängt an, stumpfe Stellen zu bekommen. Er ist nach einem guten Jahrzehnt im Konzern ausgebrannt, starrt manchmal drei Stunden an die Decke und ist nicht mehr in der Lage, eine E-Mail zu verfassen. Konsequenzen zieht aber nicht er, sondern der Konzern: Bredack wird zu einer Therapie vergattert und fliegt dafür regelmäßig nach München. „Sie sind ein ganz schönes Arschloch“, ist ein Teil der Diagnose seiner Psychologin, die ihm seine Scheinwelt deutlich macht. Bredack wird klar, dass seine Macht nur geliehen ist, und er mit den vier Leuten, die mit ihm im Haus wohnen, eigentlich nichts zu tun hat. Die Gedanken, die in seinem Kopf mahlen, nimmt er mit zum Triathlon-Training. „Da war ja niemand, mit dem ich reden konnte“, sagt er heute. „Ich habe mein ganzes Leben dem Konstrukt Daimler gewidmet.“ Dass er zu Hause auszieht, sagt er seinen Kindern bei einem Eishockeyspiel – „ich hatte noch nicht mal die Größe, das meiner Frau selbst zu sagen.“ Dann setzt er sich ins Auto und fährt tagelang ziellos durch Europa.

Der Weg in die Selbstständigkeit führt über Tatarstan

Schnell steht der Entschluss, bei Daimler auszuscheiden und sich selbstständig zu machen, doch der Konzern gibt ihm eine Chance, die zu interessant ist, um Nein zu sagen: Bredack, der seit der zweiten Klasse Russisch gelernt hat und die Sprache fließend beherrscht, soll in Tatarstan das erste russische Nutzfahrzeugwerk und den dortigen Vertrieb für den Konzern aufbauen. Daimler gründet mit Kamaz das Joint Venture Mercedes-Benz Trucks Vostok, und Bredack wird technischer Direktor.

Inzwischen ist eine neue Frau in Bredacks Leben getreten. Sie meidet Fleisch und Fisch und bringt den ausgebrannten Daimler-Manager ins Grübeln, „wie viel Leid mit tierischen Produkten verbunden ist“: Bredack wird nicht nur Vegetarier, sondern Veganer (siehe Kasten) und bleibt es auch. Für diese Ernährungsform einzukaufen stellt sich allerdings als schwierig heraus, und so bezahlt Bredack mit seinem in Tatarstan verdienten Geld in Deutschland zwei Mitarbeiter, die für ihn die Gründung einer Supermarktkette für vegane Produkte vorbereiten. Mitte September 2011 verlässt er Russland vorübergehend – offiziell, um in Deutschland eine adäquate Schule für seinen autistisch veranlagten Sohn zu suchen. Zwölf Tage später eröffnet die erste Veganz-Filiale in der Schivelbeiner Straße in Berlin-Prenzlauer Berg.

Daimler erfährt vom Geschäftserfolg und bietet die Trennung an

Bredack gerät mit der zeitgeistigen Neugründung in die Schlagzeilen, wovon auch Daimler Wind kriegt und eine Trennung vorschlägt. Das entspricht zwar nicht Bredacks Plänen – er will seinen bis Februar 2013 laufenden Vertrag in Russland eigentlich erfüllen. Aber er willigt ein. „Jedes Mal, wenn ich zu Abfindungsverhandlungen kam, war das Angebot ein bisschen niedriger und der Stapel an Zeitungsausschnitten ein bisschen höher“, erzählt er.

„Heute denke ich: ‚Wow! Was ein Leben!‘, wenn ich daran zurückdenke. Aber es kommt mir nicht mehr real vor.“ Und irgendwie klingt es auch nicht, als würde Bredack von sich selbst berichten, wenn er seine Geschichte erzählt.

Heute gibt es vier Filialen in Berlin, Frankfurt und Hamburg

Heute gibt es bereits vier Veganz-Filialen, und der 41-Jährige rühmt sich, die weltweit einzige Supermarktkette für vegane Produkte zu betreiben. Weitere Filialen sind noch in diesem Jahr geplant. Gleich eine Kette zu gründen, war nicht die Ursprungsidee. Doch es zeigte sich schnell, dass ein einziger Laden nicht funktionieren würde. Lehrgeld zahlte Bredack in den ersten Wochen nach der Eröffnung in Prenzlauer Berg, weil die Lager viel zu voll waren. Und auch die Bistros im Ladenbereich selbst betreiben zu wollen erwies sich als teure Schnapsidee. Im ersten Jahr schloss Veganz mit 260 000 Euro Verlust ab. Jetzt betreibt ein Partner die Bistros, und die neuen Läden sollen im Franchisesystem eröffnet werden. Und auch vom Plan, alleiniger Eigner zu sein, hat sich Bredack verabschiedet: Nachdem er mit der Finanzierung über Genussscheine und Bankdarlehen (sein Vermögen hatte er zwischenzeitlich an der Börse verloren) an Grenzen stieß, beteiligte er im vergangenen Jahr einen großen Pflanzenkosthersteller aus der Eifel mit 25 Prozent an Veganz. Und gerade laufen Verhandlungen, weitere 25 Prozent an Investoren zu veräußern – die Auswahl, beteuert Bredack, sei groß.

Nach einer Aussteigerkarriere klingt das alles nicht. Trotzdem findet Bredack, mittlerweile fünffacher Vater und wieder Single, dass er jetzt ein völlig anderes Leben führt. „Der Unterschied“, sagt er, „ist der Sinn in dem, was ich jetzt tue.“ Seinem alten Leben trauere er nicht nach – nur größere Summen auf dem Girokonto hätte er schon manchmal gerne, um eine Warenlieferung auszulösen, sagt er. Ihn befriedige jetzt, wenn die Menschen um ihn herum zufrieden sind. 50 Mitarbeiter, die er besser bezahle als sonst im Einzelhandel üblich, hat Veganz. Eine davon kennt Bredack schon sehr lange. Es ist seine erste Frau.