Gründer sind von ihren Ideen begeistert – doch die Welt der Wirtschaft ist ihnen häufig fremd. In Heidelberg haben sie für das Überleben in der schnellen, aggressiven Welt des Risikokapitals trainiert.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Sechs Minuten für ein Lebenswerk, das ist nicht viel Zeit. Und so galoppiert der IT-Experte aus Italien ein wenig hastig durch seinen Vortrag, in dem er zeigen will, wie die „Dinge“ draußen in der Produktion nahtlos mit der weiten Welt des Internets verbunden werden können. Dies ist zurzeit weltweit die Schlüsselfrage für die Industrie: Wie können die Maschinen und Sensoren, die über Jahrzehnte nach ihrer eigenen Software- und Programmierlogik entwickelt wurden mit dem weltweiten Netz verbunden werden? Industrie 4.0 heißt das im Schlagwort. Das italienische Team des Präsentators hat ein Programm ausgetüftelt, das in Minutenschnelle die alte mit der neuen IT-Welt verknüpfen soll.

 

Und wie es nun mal so ist, wenn der Einsatz hoch und die Zeit knapp ist, streikt zum Start gleich einmal der Beamer. Der Ingenieur hat auch ein paar zu viele Linien, Kreise und Pfeile in seine Präsentation gepackt. Die Idee scheint genial – leicht zu verstehen ist sie nicht. Nach sechs Minuten geht der Daumen der Start-up-Scouts im Publikum herunter. „Sie werden scheitern“, sagt einer. Die Firma in Italien würde nämlich gerne das Geheimnis ihrer Software hüten. „Auf einer solchen Basis wird keine Firma Interesse haben, mit ihnen Geschäfte zu machen“, bekräftigt ein zweiter Beobachter im Publikum. „Sie sind doch kein IBM“, kommt vom Kritiker Nummer eins im Nachschuss noch eine Spitze hinterher.

Die baden-württembergische Innovationsagentur MFG hat wie in den vergangenen zehn Jahren Gründer und Investoren in das gepflegte Ambiente der Heidelberger Villa Bosch geladen. In bester Halbhöhenlage überblickt das Gebäude am Rande eines alten Parks das Neckartal. Bis hin zu den sensorgesteuerten Toilettentüren ist hier alles vom Feinsten. Auf dem roten Teppich, der ins Grüne führt, steht ein Zitat von Albert Einstein: „Das Wichtigste ist, dass man nicht aufhört zu fragen.“ Gekauft hat das ehemalige Rundfunkgebäude Klaus Tschira, einer der Gründer von SAP und lange Jahre Chef des Aufsichtsrats. SAP ist eine der größten deutschen Gründergeschichten der vergangenen Jahrzehnte.

Stress im gepflegten Ambiente

So schön also kann Erfolg sein. Doch selbst für die Raucherpausen wagt sich kaum einer der Gründer in den Park. Noch beim Mittagessen hämmern viele nervös die letzten Verbesserungen in den Laptop. Das Zeitlimit wird bei den Präsentationen streng überwacht. Nur Minuten gibt es für ein Projekt, in dem Jahre an Leidenschaft, Herzblut und harter Arbeit stecken. Das ist ungewohnt. Das Spektrum der zwei Dutzend in Heidelberg vorgestellten Ideen aus ganz Europa geht über die Informationstechnologie hinaus. Zwei junge Frauen aus den Niederlanden zeigen etwa eine Produktionstechnik, die es erlaubt, Eislutscher in jeder beliebigen Form herzustellen. Ein Maschinenbauingenieur vom Bodensee präsentiert eine Vakuum-Formmaschine, die Teile in Miniserien produzieren kann. Es geht nicht gleich um Finanzierungsdeals, sondern darum, in eine für viele Gründer fremde Welt hineinzuschnuppern.

„Wer hier auftritt, ist von seiner Idee begeistert – und muss lernen, dass man die Welt doch nicht so leicht aus den Angeln hebt“, sagt Alexandra Rudl von der MFG, die dort für die Talent- und Innovationsförderung zuständig ist. Rudl erzählt von einem aus der Wissenschaft stammenden Gründer, der gestöhnt habe, dass es für die vertiefende Darstellung seiner Idee eigentlich eine Semestervorlesung brauche.

Die Gründer die ganz allein vor einer großen Leinwand ihre Geschäftsidee präsentieren, haben schon ein hartes Training hinter sich. Am Vortag durften sie einen Probelauf machen. Kaum eine Präsentation hat die Trockenübung unbeschadet überstanden. Zu lang, zu technisch, zu wenig konkret bei den Geschäftsperspektiven, so lautete häufig das Urteil der Fachjury. In der modernen Gründerwelt gibt es eben kein stilles Kämmerlein für Tüftler. Investoren sind ungeduldig, sie sind von der Internetökonomie gewöhnt, dass sich das Rad schnell dreht.

Deutschland muss sich an den Internet-Kapitalismus gewöhnen

Doch was im kalifornischen Palo Alto Alltag ist, das braucht in Deutschland noch ein bisschen Anlauf. Auch deutsche Investoren zieren sich vor zu viel Risiko, wie etwa die Statistik des Bundesverbands Deutscher Kapitalgesellschaften belegt (siehe Grafik). Das Heidelberger Forum ist typisch für Dutzende in den vergangenen Jahren in Deutschland entstandene Plattformen, wo Gründer mit der harten Business-Praxis angelsächsischer Provenienz konfrontiert werden. Diese Kultur, in der sich Härte mit Schnelligkeit und einer hohen Bereitschaft zur Vernetzung verbindet, ist einer der Schlüssel zur US-Dominanz in der Internetökonomie.

Julie Meyer, Erfolgsfrau aus den USA, bläut den behutsamen Europäern in ihrem Heidelberger Motivationsreferat die nötige Prise Wahnsinn ein. „Wenn sie die Welt verändern wollen, dann können sie kein normales Leben führen“, sagt sie – und zeigt ein großes Dia mit einem wild entschlossen die Faust ballenden Kleinkind. So müsse er in die Welt blicken, der wahre Gründer! Das Wort von der 100-Stunden-Woche, kommt der Mittvierzigerin, die über Nacht aus Washington eingeflogen ist und sich trotzdem kein Fitzelchen Müdigkeit anmerken lässt, locker von den Lippen. Ariadne Capital heißt der von ihr gegründete Fonds, den sie von London aus verwaltet und der kleinen Davids dabei helfen soll, „mit den Goliaths zu tanzen“, wie sie formuliert. „Unternehmer unterstützen Unternehmer“, heißt das Firmenmotto. Die meisten Investoren bei Ariadne Capital haben selbst schon gegründet und sind mit Internetfirmen reich geworden.

Die Angelsachsen haben den von Meyer erwähnten Tanz von David mit Goliath perfektioniert: Kleine Unternehmen werden mit hohem Risiko hochgepusht, werden selber groß oder von Goliaths geschluckt, die sich so frische Ideen einkaufen. In dem Spiel kann man sehr schnell, sehr viel Geld verdienen. „Business Angels“, also „Engel fürs Geschäft“, heißen solche Investoren auf Englisch. Doch Heilige sind sie nicht.

Inzwischen sucht man auch in Europa nach kreativen Anlagen

Es gebe in Europa mindestens so viel Geld, das nach kreativen Anlagemöglichkeiten suche wie in den USA, sagt Meyer. Die Europäer müssten nur die Macht der Selbstvermarktung entdecken: „Palo Alto hat so lange wiederholt, dass man das einzig wahre Mekka für IT-Innovationen sei, bis die ganze Welt das glaubte.“ Die 20 jungen Unternehmer, die in Heidelberg versammelt sind, müssen da noch üben – so wie ganz IT-Deutschland noch für die neue, atemlose Gründerwelt trainiert.

„Das war schon eine kalte Dusche“, sagt Wolfgang Clauss über die erste Business-Kurzpräsentation seines Lebens. „Pitch“ heißt das auf Englisch – und das klingt nicht umsonst schärfer als das in Deutschland übliche Wort „Präsentation“. Vor sechzehn Jahren hat er ein IT-Unternehmen namens Ondics gegründet und ist nach einem Zwischenspiel als Softwarespezialist im Bankenbereich dorthin zurückgekehrt, um mit einer völlig umgebauten Firma neu durchzustarten. Unter dem Projektnamen Siwiat hat er eine zigarettengroße, blaue Plastikbox im Angebot, deren Elektronik es erlaubt, etwa die Daten von Temperatur- und Klimasensoren in einer Fabrikhalle mit der Unternehmens-IT und dem Internet zu verbinden. Clauss liegt damit perfekt im Trend. Und dennoch hatte er vor der Präsentation eine kurze Nacht.

Beim Probelauf einen Tag zuvor hatten die Juroren mit ihrem Feedback nicht hinter dem Berg gehalten. „Da kamen viele Fragen aus der Praxis“, sagt Clauss. Geschäftsmodell oder erzielbare Preise wurden gnadenlos seziert. „Ich war viel zu technisch und detailversessen“, sagt der Entwickler. Potenzielle Investoren interessieren nur zackig präsentierte Fakten. „Wir haben gedacht, wir hätten die Welt neu erfunden – und jetzt stellen sich harte Fragen“, sagt Clauss. „Wie genau wollen Sie mit dem Produkt Geld verdienen?“, das war eine davon. „Geld allein ist für mich kein Wert“, sagt Clauss. Doch für die Investoren, die auf Start-ups setzen, ist das die Messlatte. Er komme aus einem Umfeld, wo man die Dinge umsichtig angehe, sagt der IT-Entwickler: „Jetzt bin ich in einem anderen Universum.“

Immerhin: in der Pause werden ihm die Visitenkarten aus der Hand gerissen, und ein Teilnehmer vermittelt ihm an Ort und Stelle einen „Superkontakt“ zu einem Sensorhersteller, wie Clauss es formuliert. Was für einen Vortrag vor Investoren vielleicht ein Nachteil ist, nämlich dass Clauss die Sprache des Technikers spricht, ist in der Industrie 4.0 ein Vorteil. Noch weiß er nicht, wie genau er einen Investor beteiligen will. Am Ende wird es um die Kontrolle gehen: Für schnelles Geld wollen Risikokapitalgeber ganz schnell viel Einfluss.

Für das Überlebenstraining im Umgang mit ihnen sorgt am Ende der Tagung ein so genannter „Fail Workshop“, eine „Werkstatt des Scheiterns“. Gründer aus Deutschland, Belgien und Großbritannien erzählen davon, wie sie sich im kapitalistischen Dschungel verirrt haben. Der Brite Mark Turrell referiert, locker in Jeans und T-Shirt, wie die Geldgeber der von ihm gegründeten Firma für Innovationsmanagement nach dem Börsengang die Macht übernahmen – und ihn selbst mit Hilfe fadenscheiniger Vorwürfe hinauskatapultierten. „Leg dich ja nicht mit Anwälten an. Schließe lieber einen Vergleich“, lautet Turrells Rat nach seinen Erfahrungen im Haifischbecken des Londoner Finanzmarkts. „Scheitern gehört zum Unternehmertum“, sagt er so munter, wie das wohl nur risikofreudige Angelsachsen können.

Während Turrells deutscher Podiumspartner bemängelt, dass man in Deutschland schon den Erfolg beweisen und Verkaufszahlen vorlegen müsse, bevor man mit Investoren überhaupt reden dürfe, sieht der heute in Berlin lebende Brite einen radikalen Wandel. Zumindest die deutsche Hauptstadt könne bei Schnelligkeit und Aggressivität mit New York oder London mithalten: „Vor vier, fünf Jahren gab es in Berlin praktisch nichts – aber aus dem Nichts ist eine eindrucksvolle Startrampe entstanden.“ Allein im vergangenen Jahr seien dort Hunderte von Millionen Euro Risikokapital in Start-ups investiert worden: „Es gibt da geradezu eine Welle des Unternehmertums.“ Auch in Deutschland, so scheint es, beginnt man im Haifischbecken mitzuschwimmen.