Die Brüder Andreas und Michael Haufler haben in ihrem vor zehn Jahren gegründeten Startup Scireum den Geist der Anfangszeit erhalten. Sie helfen Produktkataloge zu erschließen und haben mit Memoio eine Art auf Firmen zugeschnittenes Whatsapp lanciert.

Rems-Murr-Kreis - Niedlich, sympathisch, dynamisch, und omnipräsent begrüßt er sein Umfeld, der kleine Roboter ‚Skip‘. Auf Kaffeetassen, Postern und Stickern sorgt der kleine Raketenmann allenthalben für heitere Stimmung und signalisiert: Digitalisierung macht nicht nur Spaß, mit den richtigen Algorithmen ist sie zudem äußerst hilfreich. Blitzschnell liefert das Scireum Männchen die jeweils richtige Antwort und erspart insbesondere bei globalen Unternehmen ewiges Suchen nach der richtigen Schraube, dem maximalen Durchmesser eines Bohrhammers in Beton, Holz oder Metall und mehr.

 

Wer bei der Scireum GmbH ankommt, ist von der Größe des Gebäudes an der Eisenbahnstraße in Remshalden beeindruckt und kommt nicht auf die Idee, es hier mit einem Startup zu tun zu haben. 29 Menschen arbeiten heute für das Unternehmen. Im Inneren trifft der Besucher jedoch sogleich auf die charakteristische Agilität und Hierarchielosigkeit heutiger Neugründungen.

Startup-Geist und Mittelstandsdenken kombiniert

„Start-ups sind der Mittelstand von morgen. Das stimmt“, sagt Michael Haufler (38), von Haus aus gelernter Vertriebs- und Marketingexperte und viele Jahre bei der Gebr. Lotter KG, technischer Großhändler für Sanitär Heizung Klima in Ludwigsburg. Haufler weiß, wovon er spricht und ist nicht zuletzt deshalb auch im Vorstand von Startup Stuttgart. Dort will er seine Erfahrungen bei Politik und etablierten Unternehmen verankern.

Im Oktober 2008 wagten die beiden Brüder Andreas und Michael Haufler den Startschuss in einem 32 Quadratmeter Büro im Zweimannbetrieb. Michael, der ältere von beiden, kündigte im jungen Alter von 27 Jahren seinen sicheren und gut dotieren Posten in der Geschäftsleitung als Betriebswirtschaftler mit Schwerpunkt Marketing und eCommerce. „Ohne Netz und doppelten Boden“, sagt er und begründet seinen Entschluss: „Ich war immer jemand, der entscheiden und dafür auch Verantwortung übernehmen will.“ Bruder Andreas, heute 36 Jahre, hatte gerade sein Studium der Softwaretechnik an der Universität Stuttgart mit Abschluss 1,1 und als Jahrgangsbester beendet. Die Studiengebühren wurden ihm daraufhin erlassen und für die beste Diplomarbeit gab’s noch eine Auszeichnung vom Informatikforum Stuttgart, InfoS.

Ein deutscher Ingenieur kann alles – in Australien jedenfalls

Den Schritt in die Selbständigkeit beschleunigte auch sein Aufenthalt in Australien kurz vor Studienende: „Hey, Andy, Du bist ein deutscher Ingenieur. Du kannst alles machen“, bescheinigte man ihm dort. Der Rektor der Bond Universität sagte zu den Studenten: Behauptet nicht, der Himmel sei das Ende. Es gibt Fußspuren auf dem Mond. Das habe ihn weiter angespornt in seinen Ambitionen. Dass er studieren wollte, war ihm rasch klar – auch die Richtung.

Nach dem Auslandssemester hatte er noch ein Semester zu studieren. Eine Zeitlang dachte er ans Promovieren, doch der Wunsch nach Praxis im Berufsleben siegte. „Ich wollte gleich etwas machen, womit ich Leute begeistern kann“, sagt er. „Als die Gründung konkret wurde, haben wir nicht darüber geredet, wann wir uns de Porsche kaufen oder wann wir Millionäre sein wollen. Unser oberstes Ziel war, die Kunden mit unserer Software zu begeistern“, bekräftigt Bruder Michael.

Die Gründung von Scireum geschah also voller Überzeugung und mit Leidenschaft. Immer wieder hatte Michael davor seinen Bruder mit Problemen seines Arbeitsgebers konfrontiert und gefragt, wie eine gute Lösung aussehen könnte. „Ich sagte dann immer: kein Problem“, erinnert der sich. Doch oft musste er feststellen, dass er mit seinen akademischen Weisheiten nicht wirklich weiter kam. „Das ging immer hin und her zwischen uns beiden. Irgendwann kamen wir zum Schluss: Na ja, man muss da einfacher rangehen.“

Scireum bietet Individualität – aber auf einer Plattform

Scireum ist eine Wortkombination aus den lateinischen Begriffen scire wie wissen und horreum wie Speicher. „Früher ging es wirklich darum, einen Weg zu finden, wie man Wissen speichern kann“, erklären sie die Namensschöpfung. „Unterdessen aber ist unser Schwerpunkt, Märkte, Unternehmen und Menschen zu verbinden.“ Die Anfangsidee, wie man für die Handelsunternehmen ihre Kataloge digitalisieren könne und zwar so, dass sie bei einem großen Unternehmen mit beispielsweise 80 Standorten synchron sind, wurde schnell umgesetzt und wird seither immer weiter ausgebaut.

Dann kam ein Gedanke, der ins Softwareprodukt Oxomi mündete. „Individualität erkannten wir als unabdingbar, aber dennoch auf einer Plattform.“ Deshalb riefen sie ihre Kunden mit Weltkonzernen wie Bosch, Metabo, Siemens und viele Mittelständler dazu auf, ihre Kataloge selbst einzustellen, „Unsere Kunden wissen selbst am besten, wann es einen neuen Produktkatalog gibt.“

Mit Oxomi können die Hersteller die Daten einstellen und die Händler können diese Daten abonnieren. Dazwischen gibt es ein Partnermanagement. „Das kann man sich vorstellen wie ein Xing, LinkedIn oder Facbook – wo man eine Partnerschaft anfragen muss“, sagt der Diplominformatiker Andreas Haufler. „Wir haben heute 280 Großhändler auf der Plattform und rund 1.500 Hersteller, die Daten liefern. Das ist mittlerweile richtig groß geworden „Wir haben drei Branchen unter Vertrag: PVH (Produktionsverbindungshandel), also Bohrmaschinen, Werkbänke oder Betriebseinrichtungen, SHK (Sanitär, Heizung, Klima) und den Elektrogroßhandel.“

Der Durchbruch für Scireum kam vier Jahre nach der Gründung

Wer nun meine, die Gründung von Scireum sei ein Selbstläufer gewesen, irre gewaltig. „Unser Preismodell beispielsweise haben wir fünfmal angepasst, bis wir es hatten“, erinnern sie sich. Bis zum ersten Kunden war es ein steiniger Weg. „Wir haben massenhaft Absagen erhalten, führende Hersteller sagten uns ins Gesicht: ‚Wir werden uns nie an diesem System beteiligen. Das sind heute alles Kunden“, schmunzeln die Brüder rückblickend. „Wenn man das von so großen Konzernen ins Gesicht gesagt bekommt, muss man schon ein dickes Fell haben, wir machen es trotzdem. Und wir haben natürlich permanent das System verbessert. Haben da ganz viel Leidenschaft reingesteckt. Das war ein wichtiger Grund dafür, dass wir’s geschafft haben“, erklären sie.

Sie sagten sich, irgendwann werde es eine Zahl geben, so dass sich das Ganze bezahlt mache.“ Das Jahr 2012 brachte dann den Durchbruch, also vier Jahre nach Gründung. „Da kamen Wochen, in denen wir nicht mehr nachkamen mit Neubestellungen.“

„Wir verbinden Menschen, Unternehmen und Märkte“. Ihren Leitspruch nennen sie im Gespräch immer wieder. „Das ist das, was wir auch wirklich geschafft haben“, freuen sie sich. Mit Fug und Recht beschreiben sie sich auf ihrer Plattform als „junges und hochqualifiziertes Team“. Ihr Anliegen: Optimale eCommerce Plattformen und Handelsinformationssysteme entwickeln.

Memoio statt Bürokratie – schnell und präzise

Die Frage, mit der sich Scireum aufgrund ihrer Erfahrungen mit ihren Kunden intensiv beschäftigte, lautete: Wie kann ich unternehmensübergreifend effizient und schnell kommunizieren. „Mit Memoio ist es uns gelungen, die Konversation aufgabenspezifisch zu bündeln, effizient zu gestalten und alle B2B Kontakte zu jeder Zeit nachvollziehbar parat zu haben.“

Was Memoio leistet, kann kein WhatsApp oder anderer Messenger-Dienst. Letztere bilden Endlos-Unterhaltungen ab, sind insbesondere im Geschäftsleben absolut ungeeignet. Michael gibt ein Beispiel: „Man stelle sich das für Großhändler mit sechs parallel laufenden Aufträgen beim gleichen Kunden vor. Jetzt schreibt der Kunde in WhatsApp: ‚Der Lkw kommt nicht‘. Stellt sich die Frage: auf welcher der sechs Baustellen?“

Der Kontext ist entscheidend. Deswegen bündelt Memoio Nachrichten in Konversationen. „Es ist eine in sich geschlossene Unterhaltung, zu der ich bei Bedarf auch noch jemanden dazuholen kann, wenn es dessen Bereich betrifft.“ Das System kann noch vieles mehr, ist zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Baubranche. Positiv komme das Siegel „made in Germany“ dazu – auch die Daten liegen alle in Stuttgarter Rechenzentren. „Die Daten bleiben also im Ländle“, sagen die beiden Geschäftsführer.

Persönlich für den Kunden präsent sein

Den Startschuss zu Memoio gab wieder Michaels früherer Arbeitgeber Lotter, Kunde der ersten Stunde und bis heute dabei. Als Fachhändler vor Ort wolle man dem Kunden gegenüber als Menschen sichtbar bleiben, nicht zum anonymen Online-Händler werden. „Memoio ist modern, aber kommt beim Menschen an. Für den Sachbearbeiter, bei dem eine Anfrage reinkommt, haben wir damit ein mächtiges, einfach bedienbares Instrument geschaffen, das wir ständig noch weiter optimieren und ergänzen“, freut sich der technische Geschäftsführer über die neue Plattform. Memoio, das zunächst als Start-up im Start-up begann, ist inzwischen wieder in das Dach unter Scireum integriert.

Auch Bestandslisten, die elektronisch falsch hinterlegt sind, lassen sich so aktuell halten. Binnen fünf Minuten können Unternehmen wie Lotter seine Kunden informieren, falls sie etwas bestellt haben, das doch nicht lieferbar ist. „Das Schöne ist, dass hinter dem Kanal echte Menschen sitzen“, beschreibt Michael den kundenbindenden Aspekt.

Bescheiden in einer Ecke des Konferenzzimmers in Remshalden stehen einige Pokale, die die Scireum GmbH über die Jahre in Empfang nehmen konnte. „Das Tolle am Technology Fast 50 Award von Deloitte ist, dass es da um harte Fakten geht, nämlich um die Wachstumsrate eines Unternehmens“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer. „Wir haben das komplett mit Eigenkapital gestemmt, darauf sind wir wirklich stolz.“

Gründertipps von Andreas und Michael Haufler

An welchem Ort kommen Ihnen die besten Ideen?

Andreas: Ich fahre extrem gerne in die Berge – das erweitert den Geist. Bei wunderbarer Natur und Ruhe fallen die Alltagsgedanken beiseite, die Ideen kommen von allein.

Wie wappnet man sich gegen den Schock, wenn die tolle Idee mit der bitteren Realität konfrontiert wird?

Michael: Ist es immer ein Schock? Wir empfinden es als unglaublich spannenden Prozess. Dass unsere Ideen nicht immer eins-zu-eins am Markt umgesetzt werden, ist uns völlig klar. Wie aus einer Ursprungsidee ein marktreifes Produkt wird, ist für uns immer wieder eine tolle Erfahrung.

Aus welchem Scheitern haben Sie das meiste gelernt?

Michael: Wirklich gescheitert sind wir in den letzten Jahren nicht. Wir haben viele Fehler gemacht und ich mache jeden Tag Fehler. Wir scheitern nicht an unseren Fehlern, wir lernen aus ihnen. Das Fehlermachen gehört bei uns zur Unternehmenskultur.

Was ist der größte Irrtum, wenn man glaubt, kreativ sein zu wollen?

Andreas: Kreativität ist nicht planbar und Kreativität braucht Freiräume. Alles andere versuchen wir bei Scireum möglichst gut zu strukturieren.

Wann haben Sie selbst mal zu jemandem „das geht nicht“ gesagt?

Michael: Das sagen wir ganz oft. Das Entscheidende ist, zu begründen, warum es nicht geht. Gegenüber Kunden wie Mitarbeitern. Was uns auch ganz wichtig ist: Wir sind ehrlich zum Kunden, sagen ihm, was möglich ist und was nicht.

Welcher Erfinder in der Geschichte wären Sie gerne gewesen?

Andreas: Sehr inspirierend finde ich die Person Alan Key. Er hat im Forschungszentrum Xerox Parc in Palo Alto, Kalifornien gearbeitet. Unter seiner Federführung wurden extrem viele Dinge erfunden, die verrückt und zugleich selbstverständlich sind, Dinge wie Maus, Laptop, alle Windows basierten Betriebssysteme sowie die gesamte grafische Darstellung.