Der technische Fortschritt entfacht die Debatte wieder: Ist die neue Rapssorte aus dem Labor gentechnisch verändert oder modern gezüchtet? Die Behörde ist sich nicht ganz sicher, die Wissenschaftsakademien wehren sich gegen ein pauschales Anbauverbot.

Stuttgart - Die Akademien der Wissenschaften Deutschlands wehren sich gegen ein bundesweites Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichnen sie die Pläne der Landwirtschaftsminister der Länder als akute Bedrohung der Forschungsfreiheit. „Die für die Risikobeurteilung von gentechnisch veränderten Organismen unerlässlichen Freilandversuche werden durch pauschale Anbauverbote in Deutschland unmöglich“, heißt es in der Stellungnahme der Akademien, die mehrere Tausend Forscher vertreten. Sie empfehlen stattdessen „wissenschaftsbasierte Einzelfallprüfungen“, damit die Chance zur Erforschung und Weiterentwicklung der grünen Gentechnik bewahrt bliebe. Der internationale Trend zum vermehrten Anbau gentechnisch veränderter Organismen sei klar erkennbar, stehe jedoch im Gegensatz zur politisch-rechtlich bedingten Situation in Deutschland, heißt es.

 

Das Anbauverbot ist nicht die einzige Debatte über gentechnisch veränderte Pflanzen, in der sich Befürworter und Gegner erbittert gegenüberstehen. Bei einer Anhörung im Bundeslandwirtschaftsministerium Ende Januar gab es keine Annäherung, welche grundsätzliche Ausrichtung die Forschung im Bereich der grünen Gentechnik in Deutschland demnächst haben soll. Geht es nach den Umweltverbänden, sollen die Gelder nicht mehr in die Entwicklung neuer Pflanzen für den Acker fließen, sondern fast ausschließlich Risikoforschung finanzieren. Die Organisationen lehnen auch die Übernahme des Schweizer Modells ab. Die Eidgenossen haben in Reckenholz in der Nähe von Zürich eine streng bewachte und überwachte Versuchsfläche für neu entwickelte Pflanzen eingerichtet.

Andere Länder verfolgen andere Strategien. Bis 2020 will China 3,5 Milliarden Dollar in grüne Gentechnik investieren und etwa 50 Gene in Pflanzen und Tiere einsetzen. Die meisten deutschen Forscher haben Konsequenzen gezogen. Sie arbeiten ganz oder überwiegend im Ausland, vor allem in den USA und Kanada. Die wenigen verbliebenen Wissenschaftler forschen in industriefinanzierten Projekten, die spätestens im Gewächshaus enden. Ihre Teams bestehen häufig aus Doktoranden aus Drittweltländern.

Für Gentechnik gibt es verschiedene Kriterien

Wie kompliziert die Situation geworden ist, zeigt ein Bewilligungsbescheid des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 5. Februar. Das Amt musste entscheiden, ob eine neue Rapssorte des kalifornischen Unternehmens Cibus in Deutschland unter das Gentechnikgesetz fällt. Cibus setzt Gentechnik anders ein, als es bisher geschah. Bei der ersten Generation haben Pflanzendesigner ein Gen für eine bestimmte Eigenschaft aus dem Erbgut einer Pflanze oder eines Bakteriums ausgeschnitten und es als zusätzliches Element in die DNA einer anderen Pflanze eingebaut. Dank des fremden Gens produzierte Mais auf diese Art und Weise plötzlich ein Insektengift.

In der neuen Generation ist der Einsatz von Gentechnik eher als Werkzeug zu verstehen. Die Pflanzenzüchter bei Cibus nutzen spezialisierte DNA-Abschnitte, die sie in die Zellen der Pflanzen einführen. Dort erledigen sie die gewünschten Veränderungen an der DNA (Mutationen), werden aber nicht eingebaut. Die Pflanzendesigner können ihre Werkzeuge für diese Bastelarbeit am Erbgut der Pflanze mittlerweile präzise führen. Das Prinzip – nämlich die Erzeugung von Mutationen – wird seit Jahrzehnten auch in der konventionellen Züchtung verwendet. Ganz legal, obwohl die Mutationen teilweise unter drastischen Bedingungen durch intensive Strahlung oder mit Chemikalien entstehen. Auf diese Ähnlichkeit der Methoden beruft sich das Amt und stufte den Cibus-Raps nicht als gentechnisches Produkt ein. Die Veränderungen im Rapserbgut seien „von den durch zufällige natürliche oder chemische Prozesse hervorgerufenen Mutationen nicht zu unterscheiden“, heißt es mit Bezug auf das Gentechnikgesetz.

Diese Entscheidung hilft der US-Firma aber nicht weiter. Denn das Amt stellt fest: „Sollte die Europäische Kommission zu einer abweichenden Beurteilung gelangen, verliert der Bescheid seine Wirksamkeit.“ Das ist durchaus vorstellbar. Denn für die Einstufung der Pflanzen existieren verschiedene Kriterien. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace zählt den Cibus-Raps eindeutig zur Gentechnik. Sie beruft sich auf die 14 Jahre alte EU-Richtlinie 2001/18. Sie beschreibt, dass „alle Verfahren, bei denen genetisches Material im Labor aufbereitet und in Zellen eingeführt wird, als gentechnische Verfahren angesehen werden müssen“. Rein rechtlich gesehen eröffnet sich damit ein Problem: Falls ein widerrechtlicher Anbau des Cibus-Raps jemals vor Gericht behandelt werden sollte, ließe sich die Pflanze mit gewöhnlicher Analytik kaum von einer normalen Rapspflanze unterscheiden.

Was ist noch natürlich?

Der Antrag von Cibus ist kein Einzelfall, er markiert eher den Anfang einer neuen Entwicklung. Ob die Minister ein bundesweites Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen beschließen oder die Entscheidung Ländersache bleibt: Der Frieden zieht dadurch nicht auf den Feldern ein. Der Streit darüber, wie Gentechnik definiert werden soll, befeuert eine Debatte neu, die mittlerweile fast 20 Jahre dauert. Sie wird umso nötiger, je mehr die festen Strukturen bröckeln, was wir nach unserer Einschätzung als natürlich empfinden und was wir als Gentechnik ablehnen wollen.

Die Grenzziehung ist schwierig. Auch bei konventionellen Züchtungsmethoden werden in der Pflanze zahlreiche Gene verändert. In den USA wurden bereits Apfel- und Kartoffelsorten für den Anbau zugelassen, bei denen Wissenschaftler Gen-Fragmente aus Wildsorten mit etablierten Sorten kombiniert haben oder sie ein- und ausschalteten. Diese neuen Pflanzen besitzen ein Erbgut, wie es auch durch gewöhnliche Züchtung entstehen könnte.

Die deutschen Akademien haben sich in dieser Frage festgelegt: Einen Regelungsansatz im Gesetz, der spezifisch an das Züchtungsverfahren anknüpft, bezeichnen sie als „verfehlt“, weil weder praktikabel noch zweckmäßig. Ihre Empfehlung: „Für die Risikobewertung neuer Pflanzenzüchtungen sollten die spezifischen Eigenschaften der Züchtungsprodukte im Mittelpunkt stehen und weniger die Methoden, mit denen sie erzeugt wurden.“