Die Grünen schwächeln vor der Bundestagswahl – und fragen einander ratlos, weshalb eigentlich. Man kann es aber auch machen wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann: Der sagt, er ignoriere die schlechten Umfragen einfach.

Stuttgart - So lustlos wie lahm dümpelt der Bundestagswahlkampf vor sich hin, wenigstens in einer Hinsicht aber goutiert ihn Winfried Kretschmann (Grüne) dann doch. „Es kommen mehr Leute“, antwortet er auf die Frage, was bei seinem ersten Wahlkampf als Ministerpräsident denn anders sei als zuvor. Dabei lächelt er ganz profitlich. Ansonsten jedoch zeigt er sich nicht gerade beglückt über den Verlauf der Kampagne.

 

Gerade mal noch bei knapp über zehn Prozent halten sich die Grünen derzeit bundesweit in den Umfragen; am Mittwoch wurde erstmals eine Prognose veröffentlicht, die die Partei bei unter zehn Prozent sieht. Das ist – gemessen an den Zahlen während der Euphorie der Machterlangung in Baden-Württemberg – ein Absturz. Deutlich über 20 Prozent notierte die Bundespartei damals – vorbei. Die Grünen sind kein Selbstläufer mehr.

Weshalb das so ist, darüber herrscht allenthalben Ratlosigkeit. Auch der Ministerpräsident flüchtet sich bei der ersten Regierungspressekonferenz nach der Sommerpause in gängige Floskeln. Sätze, die man halt so runterspult, wenn es nicht so läuft wie erhofft. Umfragen seien Umfragen, „von guten lasse ich mich beflügeln, schlechte ignoriere ich“. Auf tiefere Einsichten verzichtet er: Selbstkritik kommt vor Wahlgängen in den eigenen Reihen nicht gut an. Stattdessen sagt Kretschmann, er sei doch kein Sozialforschungsinstitut. Erst komme der Wahlkampf, dann der Wahlgang, schließlich folgten die politischen Analysen.

Ein paar Erklärungsansätze gibt es indes durchaus. Die Pädophilie-Debatte verschreckt wertgebundene Wähler, die Wahrnehmung als mittelstandsfeindliche Steuererhöhungspartei schadet den Grünen im wirtschaftsbürgerlichen Milieu – auch wenn Kretschmann kontert, das Steuerkonzept seiner Partei entlaste 90 Prozent der Bürger, lasse sieben Prozent unberührt und belaste lediglich drei Prozent. Eine Bemerkung, auf welche die FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger flugs mit dem Hinweis reagiert, wer 42 Milliarden Euro Mehreinnahmen einplane, der könne das nicht nur von den oberen drei Prozent holen. „Der greift tief in die Taschen der Mittelschicht.“

Hohe Mobilisierung beim Machtwechsel 2011

Vielleicht ist es aber auch so, dass die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wie schon vor vier Jahren erfolgreich praktizierte Strategie der Demobilisierung – ob nun asymmetrisch nur der rot-grünen Parteigänger oder symmetrisch unter Einschluss der CDU-Anhänger – am Verfall der Umfragewerte der Grünen ihren Anteil hat. Der Machtwechsel in Baden-Württemberg vor zwei Jahren jedenfalls kam in einer hoch politisierten und emotionalisierten Stimmung innerhalb der Wählerschaft zustande. Davon profitierte zwar auch die damalige Regierungspartei CDU, mehr noch aber die Opposition. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima und Stuttgart 21 unter besonderer Berücksichtigung des „schwarzen Donnerstags“ spielten ganz besonders den Grünen in die Hände. Der Bundestagswahlkampf aber leidet an inhaltlicher Auszehrung, obwohl es doch wahrhaft Schicksalsthemen gäbe – wie etwa die anhaltende Finanz- und Staatsschuldenkrise. Doch aus unterschiedlichen Gründen halten die großen Parteien und insbesondere die Kanzlerin gerade diesen konfliktbeladenen Stoff aus dem Wahlkampf heraus. Stattdessen gibt es Diskussionen über den von der Grünen-Politikerin Renate Künast angestoßenen „Veggie Day“, worüber sich dann wiederum Kretschmann echauffiert. Die Grünen wegen Künasts Plädoyer für Fleischloses der „Verbieteritis“ zu bezichtigen, halte er „für den größten Blödsinn“, brummelt Kretschmann. Schließlich sei er schon als Kind so sozialisiert worden, „dass man am Freitag kein Fleisch ist“. Ähnlich bewertet er das Trara, das um Verkehrsminister Winfried Hermanns (Grüne) ressortinterne Aufforderung gemacht wird, die Beamten sollten doch die Treppe nehmen statt mit dem Aufzug zu fahren. Das fördere die Gesundheit und spare Energie. Mit Gängelung habe das nichts zu tun, findet Kretschmann. „Das wird doch nicht kontrolliert; wem’s Spaß macht, kann drei Mal mit dem Aufzug rauf- und runterfahren.“

Verschreckt vom Aufschrei der Kulturlobby

Nicht gerade wahlentscheidend für die Bundestagswahl, aber doch ein Vorgang, der die Nervosität der Grünen beleuchtet, ist das Schlingern Kretschmanns bei der Reform der Musikhochschulen im Land. Unter dem Druck der gut vernetzten und lautstarken Kulturlobby – ein für die Grünen wichtiges Wählerreservoir – rückte der Ministerpräsident unlängst von seiner Kunstministerin Theresia Bauer (Grüne) ab und versprach beim Besuch in Mannheim Remedur. Er habe unterschätzt, welchen Widerstand die Pläne auslösen, sagt Kretschmann nun. Die Eckpunkte für das Einsparkonzept, das ursprünglich auf den Landesrechnungshof zurückgeht, bleiben zwar bestehen: 500 Studienplätze sollen wegfallen, vier bis fünf Millionen Euro eingespart werden. Zugleich werde es aber Änderungen geben. Was das bedeutet, sagt Kretschmann nicht. Auch geht er nicht auf den Vorhalt ein, seine Ministerin beschädigt zu haben. Er räumte jedoch ein, dass der Koalitionspartner SPD nicht unterrichtet wurde. „Daraus ziehen wir Lehren.“ Und er kündigt eine zeitnahe Entscheidung an – bald nach der Bundestagswahl.