Freiburg ist landesweit die Hochburg der Grünen. Die Partei ist dort aus der Protestbewegung gegen die Atomkraft entstanden. Sie repräsentieren ein neues bürgerliches Lebensgefühl. Die Stadt hat den Ruf eines widerständigen gallischen Dorfes.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Es war ein grünes Freudenfest, als die Wahlergebnisse der baden-württembergischen Landtagswahl vom 27. März 2011 auf den Monitoren des Freiburger Wahlamtes erschienen: 42 Prozent für Bündnis90/Die Grünen im Stadtgebiet – stärkste Partei, weit vor SPD (23,7 Prozent) und CDU (22,3 Prozent). Das zeigt auch der Baden-Württemberg-Atlas der Stuttgarter Zeitung (www.bwatlas.de). In der 220 000 Einwohner zählenden Großstadt treffen sich zwei Wahlkreise – und beide Direktmandate gingen an die Grünen. Freiburg I zieht sich in den Osten bis weit hinauf in den Schwarzwald, ein Wahlkreis, der einmal für die CDU maßgeschneidert wurde. Doch in diesem „Filbinger-Wahlkreis“ siegte der Ökolandwirt Reinhold Pix mit 34,5 Prozent. Den Wahlkreis Freiburg II im Westen den und eingemeindeten Ortschaften am Tuniberg, gewann MdL Edith Sitzmann mit 39,9 Prozent der Stimmen.

 

Die Grünen stellen in Freiburg den Oberbürgermeister Dieter Salomon (seit 2002), und sind mit elf von 48 Sitzen die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Im Bundestagswahlkreis Freiburg 281 hat sich die über die Landesliste gewählte Abgeordnete Kerstin Andreae seit 2002 auf 20,9 Prozent der Erststimmen im Jahr 2013 hochgearbeitet. In der grün-roten Landesregierung sitzen mit Silke Krebs (Staatsministerin) und Alexander Bonde (Landwirtschaft und Verbraucher) zwei Freiburger Grüne, Edith Sitzmann führt die Fraktion im Landtag an.

Der Markenkern der Partei ist ein Lebensgefühl

Dass – in einer vorwiegend katholischen, traditionell eher konservativ und liberal wählenden Region – die Grünen so stark sind, liegt immer noch daran, dass eine Wiege der im Januar 1980 in Karlsruhe gegründeten Partei in Südbaden stand: Im erfolgreichen Protest der Kaiserstühler Landbevölkerung und vieler Studierenden aus Freiburg vor 41 Jahren gegen das geplante Kernkraftwerk in Wyhl am Rhein, 35 Kilometer weiter nordwestlich, entstanden sowohl die politischen und organisatorischen Grundlagen für die grüne Partei, als auch ihr Markenkern: Ein Lebensgefühl, das nicht nur den Umweltschutz, sondern die Energiewende und den Ausstieg aus der Kernkraft geradezu als weltanschauliche Notwendigkeit propagierte.

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Die Erfahrung, mit einem Massenprotest Veränderungen erzwingen zu können und der ganz praktische Tatendrang von Solar- und Windpionieren bescherten Freiburg den Rang einer „Ökohauptstadt“. Früher und flächendeckender als anderswo entstanden Solarfirmen, Bioläden, Bürgerinitiativen, ein Ökoinstitut und ein Netz von Radwegen. Ein Umweltticket für den Nahverkehr, Solarmodule auf dem Stadion des Fußballbundesligisten SC Freiburg, eine Solarsiedlung und Windräder auf den Hausbergen, gegen den Widerstand der Teufel-CDU abgetrotzt, festigten und verbreiteten den Ruf eines widerständigen gallischen Dorfes inmitten des schwarzen Imperiums.

Die grüne Färbung Freiburgs ist real und nachhaltig

Vieles davon ist Mythos und heute auch Marketing, doch die grüne Färbung Freiburgs ist real und nachhaltig. Sie prägt Kultur und Politik der Stadt. Das Öko-Bürgertum wohnt gerne in den traditionellen Villenvierteln, aber auch im ökologisch-architektonischen Biotop „Vauban“, dem ehemaligen Kasernengelände, benannt nach dem Festungsbaumeister des Sonnenkönigs Louis XIV. Die CDU rangiert dort mit 3,8 Prozent noch weit hinter den Linken (7,2 Prozent). Die Grünen bekamen 72,7 Prozent der Stimmen von 3100 Wahlberechtigten. Das grüne Neubürgertum speist sich auch aus dem Zuzug von Akademikern, die nach dem Studium an der Universität oder an einer anderen Hochschule in der schönen Stadt blieben. Uni und Uniklinik sind mit zusammengerechnet über 30 000 Arbeitsplätzen die größten Arbeitgeber nach der katholischen Kirche. Die 1120 von schwäbischen Fürsten gegründete Stadt zwischen Schwarzwald und Kaiserstuhl liegt in naher und mittlerer Distanz zu Frankreich, den Schweizer Skigebieten und der Mittelmeerküste Norditaliens.