Als Wolfgang Schuster (CDU) noch den Chefsessel im Rathaus inne hatte, fiel es den Grünen leicht, aus einer Art Oppositionsrolle heraus das eigene Profil zu schärfen. Heute brauchen sie oft schwarze Hilfe, um grüne Projekte umzusetzen. Mancher an der Parteibasis sieht das mit Befremden.

Stuttgart - Die Grünen im Rathaus sehen sich als Stabilitätsfaktor in unsicheren politischen Zeiten. Der Elan vergangener Jahre, als es der Fraktion im bürgerlich-dominierten Gemeinderat und unter einem CDU-Oberbürgermeister aus einer Art Oppositionsrolle heraus gelang, vielfach eigene politische Akzente zu setzen, ist freilich abhanden gekommen. Das hat auch damit zu tun, dass in Fritz Kuhn seit fünf Jahren ein Parteifreund im Rathaus regiert, der stets bemüht ist, die eigenen Meriten in den Vordergrund zu stellen. „Ich“ lautet eines seiner Lieblingswörter. Eines haben die Grünen den anderen größeren Ratsfraktionen zumindest voraus: Ihr OB-Kandidat für 2020 dürfte feststehen. Kuhn, der in zwei Jahren seinen 65. Geburtstag feiert, darf dank der noch unter der grün-roten Landesregierung beschlossenen Anhebung der Altersgrenze auf 67 nochmals ran – wenn er denn will. Und daran zweifeln seine Parteifreunde keineswegs.

 

Im Rathaus wird kolportiert, Kuhn beobachte das Kandidatenfeld der politischen Konkurrenz sehr genau. Mögliche CDU-Aspiranten wie den Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann oder Fraktionschef Alexander Kotz, aber auch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Körner fürchte er nicht. Allenfalls CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann sähe er im Moment als ernsthafte Gefahr. Doch Eisenmanns Neigung, das Ministeramt gegen den möglichen Chefsessel im Rathaus einzutauschen, soll sich mittlerweile in Grenzen halten. Angesichts eigener schlechter Umfragewerte dürfte der Stuttgarter Rathauschef aber auch das Schicksal seines Parteifreunds und früheren Freiburger OBs Dieter Salomon bei seiner Entscheidung ins Kalkül ziehen: Der prominente Grünen-Realo war im Mai bei der OB-Wahl nach zwei Amtsperioden dem parteilosen Außenseiter Martin Horn unterlegen. Und natürlich wird Kuhn auch das Abschneiden der Grünen bei der Kommunalwahl im Mai 2019 beobachten, bevor er sich erklärt. Falls er sich je doch fürs Aufhören entscheidet, wird die langjährige Ratsfraktionschefin und heutige Landtagspräsidentin Muhterem Aras in Parteikreisen als aussichtsreiche Ersatzkandidatin gehandelt.

Ökosoziale Mehrheit erweist sich häufig als instabil

Das Regieren dürfte für Kuhn in einer zweiten Amtsperiode jedenfalls nicht einfacher werden. Schon jetzt existiert die sogenannte ökosoziale Mehrheit, die der OB bei seinem Amtsantritt vorgefunden hat und die sich bei der letzten Kommunalwahl 2014 hauchdünn behauptete, oft nur auf dem Papier. Mal ist es die SPD, die gemeinsam mit CDU, Freien Wählern und der FDP die Grünen etwa bei der umstrittenen Bebauung des Gebiets Schafhaus in Mühlhausen oder bei der Einrichtung einer Busspur in der Wagenburgstraße vor sich her treibt. Mal ist es die heterogene Fraktionsgemeinschaft aus SÖS, Linken, Piraten und Studenten, die radikale Lösungsansätze propagiert und wenig Bereitschaft zum politischen Kompromiss zeigt. Grünen-Sprecher Andreas Winter, der die Fraktion seit 2015 gemeinsam mit seiner Kollegin Anna Deparnay-Grunenberg führt, hält dagegen: Man habe mit SPD und SÖS/Linke-plus das Konzept der autofreien Innenstadt, das Verbot von Zirkustieren, das Wohnraum-Zweckentfremdungsverbot oder den Verzicht auf den Einsatz des umstrittenen Herbizids Glyphosat auf den Weg gebracht, sagt er.

Doch häufig braucht es eben doch die CDU, um grünen Ideen mit schwarzer Unterstützung zur Mehrheit zu verhelfen. Dann heißt es für die Grünen: Kröten schlucken. Etwa beim interfraktionellen Bündnis für Mobilität und Luftreinhaltung: Neben der großen VVS-Tarifreform und einer Pilot-E-Buslinie zwischen Bad Cannstatt und dem Cityring sieht das Konzept auf Initiative der CDU auch die Untersuchung des Baus eines Ostheimer Tunnels vor. Auch bei den Haushaltsberatungen arbeiten Grün und Schwarz meist eng zusammen – was an der Parteibasis nicht jeder goutiert. „Wir müssen aufpassen, dass unser Profil nicht verwässert wird und wir nicht als grün-lackierte CDU wahrgenommen werden“, sagt ein altgedientes Parteimitglied. Die grün-schwarze Regierungskoalition unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann taugt da manchem weniger als Vorbild denn als abschreckendes Beispiel. Fraktionschef Winter sieht diese Gefahr jedoch nicht: „Wir müssen klar machen, wofür wir stehen, und unsere Erfolge herausstreichen.“

Grüne müssen Bürgermeister gegen Angriffe der politischen Konkurrenz verteidigen

Aktuell sind die Grünen, früher meist im Angriffsmodus, in der Defensive, seit ihr jahrelanger Frontmann und heutiger Bürgermeister Werner Wölfle im Zuge der Klinikumsaffäre von der politischen Konkurrenz beschuldigt wird, frühzeitig von der Misswirtschaft beim Geschäft mit ausländischen Patienten gewusst zu haben. Bewiesen ist das nicht, ein Akteneinsichtsausschuss soll nun die damaligen Vorgänge klären. Ob Wölfle, dem die Vorwürfe nach Angaben von Vertrauten schwer zu schaffen machen, im kommenden Jahr nochmals für den Posten des Sozialbürgermeisters kandidiert, ist ungewiss, zumal die anderen Fraktionen bereits vor Abschluss der Untersuchung angedeutet haben, ihn nicht wiederwählen zu wollen. Allerdings: Ein Nachfolger aus den eigenen Reihen drängt sich bisher nicht auf – aus der Ratsfraktion schon gar nicht.

Unabhängig vom Ausgang der Kommunalwahl werden mindestens zwei amtierende Stadträte der neuen Grünen-Fraktion nicht mehr angehören. Für Jochen Stopper, seit Ende 2016 als Berater für die Landtagsfraktion der Grünen tätig, ist nach zwei Amtsperioden Schluss. Er war 2015 dem amtierenden Fraktionschef Winter bei der Neubesetzung der Fraktionsspitze nur knapp unterlegen. Und auch der Lehrer Benjamin Lauber, 2011 als Nachfolger für den auf die Bürgermeisterbank gewechselten Werner Wölfle ins Gremium nachgerückt, will sich künftig ganz dem eigenen beruflichen Fortkommen widmen.

Offen ist auch noch, ob Winters Co-Sprecherin Deparnay-Grunenberg bei der Kandidatennominierung im November erneut antritt: Die Stadträtin mit der doppelten Staatsbürgerschaft, die 2017 schon einmal bei ihrer Kandidatur für die französische Nationalversammlung gescheitert war, zieht es ins Europaparlament. Die Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz stehen allerdings dem Vernehmen nach nicht sonderlich gut.