Nach der CDU haben auch die Grünen dem grün-schwarzen Koalitionsvertrag mit großer Mehrheit zugestimmt. Wer jedoch in der ersten Reiher der Ministerriege stehen wird, blieb weiter offen.

Leinfelden-Echterdingen - Für Winfried Kretschmann war es ein besonderer Ort. In der Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen wurden vor 37 Jahren die baden-württembergischen Grünen gegründet und Kretschmann war dabei. Ein Jahr später zogen die Grünen mit 5,3 Prozent in den Landtag ein. „Ein kleiner Wermutstropfen war dabei“, erinnert sich Kretschmann. „Die CDU hatte 53 Prozent“. Heute ist er der direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Nürtingen, zu dem Leinfelden-Echterdingen gehört, die Grünen sind die stärkste Fraktion im Landtag und Winfried Kretschmann wird aller Voraussicht nach am 12. Mai zum Ministerpräsidenten gewählt. In der Filderhalle haben die Grünen erneut Geschichte geschrieben. Sie haben mit großer Mehrheit dem Koalitionsvertrag mit der CDU zugestimmt und damit den Weg zur ersten Koalition zwischen Grünen und CDU unter grüner Führung frei gemacht. 221 Delegierte gaben ihre Stimme ab, 202 sagten ja zu Grün-Schwarz, 14 lehnten das Bündnis ab, fünf enthielten sich.

 

Abstimmung Formsache

Die geheime Abstimmung war nach der etwa zweistündigen Aussprache eigentlich Formsache. Außer von den Vertretern der Grünen Jugend gab es so gut wie keine Kritik. Die Sprecher des Parteinachwuchses beklagten, dass die Kennzeichnungspflicht für Polizisten auch mit dem neuen Koalitionspartner nicht kommt, oder dass Cannabiskonsumenten nach wie vor kriminalisiert würden. Heftig stellt sich die Grüne Jugend gegen die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten für Flüchtlinge.

Die meisten anderen Redner traten entschieden für das neue Bündnis ein, wenn auch nicht alle mit der Verve eines Boris Palmer. Der Tübinger Oberbürgermeister trat im rotgepunkteten Radlertrikot auf (der gleichen Kluft, in der ihn einst der CDU-Landtagspräsident aus dem Plenarsaal verwiesen hatte). Palmer warb nicht um Zustimmung er warb „um Begeisterung, dass wir mit Kretschmann und diesem Koalitionsvertrag weiter regieren können“.

Die Erfolgsgeschichte der Grünen in Baden-Württemberg nehmen die Bundespolitiker der Partei als Ansporn. Der aus Bad Urach stammende Bundesvorsitzende Cem Özdemir jedenfalls will sich „dafür einsetzen, dass auch bei der Bundestagswahl mehr Leute, die grün ticken, leben und einkaufen auch bei Grün das Kreuz machen“. Er lobte die Kompromiss- und Gesprächsbereitschaft der Südwestgrünen. „Keiner hat Grün-Schwarz angestrebt, oder gewünscht“. Anders als die FDP hätten sich die Grünen der Verantwortung nicht entzogen, sagte der Bundesvorsitzende. „Bei denen kommt als erstes die Partei“, stichelte Cem Özdemir in Richtung der Liberalen. Dem pflichtete Winfried Kretschmann bei. „Die FDP hat leider verweigert, Verantwortung zu übernehmen“, erinnerte er seine Parteifreunde an die Ausgangssituation für die grün-schwarzen Verhandlungen.

Gleichzeitig zollte er der SPD Respekt. Deren Parteichef Nils Schmid habe schon am Wahlabend einer „Koalition der großen Wahlverlierer eine Absage erteilt“ und darauf hingewiesen, dass die Wähler Kretschmann als Ministerpräsidenten wollten.

Kretschmann erinnerte an die schwierigen Verhandlungen: „Wir haben uns nichts geschenkt“. Insgesamt 138 Grüne hätten am Zustandekommen der neuen Koalition mitgearbeitet. Wie alle Unterhändler, die beim Parteitag das Wort ergriffen, verteidigte auch Kretschmann den Kompromiss in der Bildung. „Das war die Grundlage dafür, dass es überhaupt zu der Koalition kam“, betonte Kretschmann. Der Vertrag hat den Grünen einiges abverlangt. Der Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand erinnerte seine Parteifreunde daran, was erreicht und was abgewehrt worden sei. Die Regelung zur Windkraft hat Bestand. Das Familienbild wird im Koalitionsvertrag neu definiert, über gelebte Verantwortung, „unabhängig von der konkreten Form des Zusammenlebens“. Die Reform des Landtagswahlrechts rückt näher. Für Kretschmann geht es jetzt „um die Fortsetzung unserer Reformarbeit“.

Lob und Anerkennung für Bonde

Durch die Bank bedauerten die Delegierten, dass das Ministerium für den ländlichen Raum von den Grünen an die CDU übergeht. Der scheidende Minister Alexander Bonde wurde mit reichlich Zuspruch, Lob und Beifall bedacht. Bonde selbst hatte vor wenigen Tagen nach Bekanntwerden einer Affäre mit einer Parteifreundin erklärt, er werde für ein Ministeramt nicht zur Verfügung stehen. Den Parteitag nutzte der Politstratege zu einer Abschiedsinszenierung in eigener Sache und rief den Delegierten seine Verdienste in Erinnerung. Beide Koalitionsverträge habe er mit verhandelt, auf seine Bilanz als Minister sei er stolz: „Ich habe alles gegeben, meine Teil zu den grünen Erfolgen beizutragen“, erklärte er. Er sei gerne bereit, auch in der zweiten Reihe mitzuarbeiten. „Wenn Ihr mich braucht, ihr findet mich zuhause im Schwarzwald“, kündigte er an. Das Publikum quittierte den Auftritt mit großem Applaus.

Ministerriege noch offen

Wer künftig in der ersten Reihe steht, ist nach wie vor offen. Am Rande des Parteitags verdichteten sich die Hinweise, dass Edith Sitzmann den Fraktionsvorsitz aufgeben und das Finanzministerium übernehmen wird. Offiziell bestätigt wurde die Personalie genau so wenig, wie das Raunen, dass der Ravensburger Abgeordnete Manfred Lucha Sozialminister werden soll. Er gab sich beim Parteitag aber auffallend gut gelaunt. Als gesetzt gelten auf grüner Seite die bisherigen Minister Winfried Hermann, Franz Untersteller und Theresia Bauer. Die Verzögerungen bei der Bekanntgabe der Kabinettsliste gehen den Grünen zufolge auf das Konto der CDU. Dort gebe es „ein Hauen und Stechen um die Posten der Staatssekretäre“, wollten grüne Parteigrößen wissen. Der künftige Regierungschef Kretschmann jedenfalls kündigte an: „Ich werde wieder ein starkes Team präsentieren, da könnt Ihr mal ganz sicher sein“. Und zwar „spätestens Dienstag“. Für Montag ist die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags geplant. Eventuell könnte schon dann die Ministerliste präsentiert werden.