Die Sammelabschiebung nach Afghanistan bringt Grüne und CDU in Baden-Württemberg mächtig gegeneinander auf. Der Koalitionsausschuss soll nun Klärung bringen.

Stuttgart - Wie nahe die Abschiebeaktion den Grünen geht, erlebt der Koalitionspartner am Mittwochmorgen am Rand der Plenarsitzung. „Der Uli Sckerl“, erzählt ein Christdemokrat über den Grünen-Fraktionsvize, „war geradezu körperlich erregt.“ Mit der Sammelabschiebung treffe man einen Nerv der Grünen. Wohl wahr. Wenige Tage vor Weihnachten stehen die Zeichen in der Koalition auf Sturm, und führende Vertreter machen aus ihrem Zorn über den Partner kein Hehl.

 

„Verstehen kann ich es nicht, wie der Innenminister und der Landesvorsitzende einer Partei mit dem C im Parteinamen zehn Tage vor Weihnachten einen Christen nach Kabul abschiebt“, blaffte Sckerl in die Mikrofone. Und sein Parteifreund, Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand, sprach gar vom „humanitären Offenbarungseid“, der sich so nicht wiederholen dürfe. Der Generalsekretär der Landes-CDU wiederum, Manuel Hagel, hält dies für eine „Entgleisung“ und fordert nun von Hildenbrand eine Entschuldigung: „Dieses Verhalten geht gar nicht, und darüber müssen wir in einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses reden.“ Am kommenden Dienstag soll die Runde tagen.

Strobl: „Liebevoller Umgang“

Was ist geschehen? Dass in dem Flugzeug, das in der Nacht auf Donnerstag 34 abgelehnte Asylbewerber von Frankfurt in die afghanische Hauptstadt Kabul flog, auch fünf Flüchtlinge aus Baden-Württemberg saßen, wurmt die Grünen schon gewaltig. Viele ihnen nahe stehende Flüchtlingshelfer versuchen solche Abschiebungen zu verhindern. Hinzu kommt, dass die Behörden beinahe einen zum Christentum konvertierten Afghanen abgeschoben hätten, dem in seiner islamisch geprägten Heimat Gefahr droht: Erst auf Druck der beiden christlichen Kirchen wurde der Mann noch auf der Fahrt nach Frankfurt aus dem Bus geholt.

Hatte Innenminister Thomas Strobl (CDU) nicht auf dem Schirm, dass dieser in Gefahr ist? Das bestreitet er vehement. „Juristisch war der Fall nicht zu beanstanden“, sagte er unserer Zeitung. Wie es überhaupt bei keinem Flüchtling aus Baden-Württemberg eine Gerichtsentscheidung gegeben habe, die die Rechtmäßigkeit der Rückführung in Frage gestellt habe. Warum ließ er die Abschiebung dann stoppen? „Ich pflege einen liebevollen Umgang mit dem Koalitionspartner, um wenn der ein wirklich ernstes Anliegen hat, komme ich ihm entgegen – auch entgegen meiner eigenen Überzeugung“, sagt Strobl.

Gericht hat entschieden

Entscheiden also künftig die Kirchen über Abschiebungen? Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat nach Informationen unserer Zeitung noch am Mittwoch die Abschiebung des Flüchtlings bestätigt. Es kam zur Überzeugung, dass dessen Hinwendung zum Christentum „nicht aus innerer Überzeugung, sondern allein aus prozesstaktischen Gründen“ erfolgte. Die Konversion zum christlichen Glauben werde von Asylbewerbern in letzter Zeit „vermehrt“ geltend gemacht.

Kopfschütteln beim Koalitionspartner erntet derweil Grünen-Landeschef Hildenbrand mit seiner Forderung, dass künftig der Koalitionsausschuss über jeden einzelnen Abschiebefall befindet. „Das ist abwegig“, sagt CDU-Fraktionsvize Winfried Mack und verweist darauf, dass Abschiebungen „reines Regierungshandeln“ sei. Strobl sagt: „Wir sollten diejenigen entscheiden lassen, die dafür die Kompetenz haben, nämlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie die Gerichte.“

Opposition spricht von Chaos

Für die Opposition hört sich das Stimmengewirr an wie „blankes Chaos“. SPD und FDP haben deshalb eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt: „Angesichts der von grüner Seite vorgetragenen Angriffe auf den Innenminister, die in einer geplanten Einschränkung seiner Handlungsbefugnisse gipfeln, ist eine Klärung der Frage, wer zukünftig in Baden-Württemberg über Abschiebungen entscheidet, mehr als geboten“, erklärte FDP-Fraktionsvize Timm Kern.

Die beiden Chefs der Regierungsfraktionen versuchen derweil den Ball flach zu halten. „Bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber handelt es sich um exekutives Handeln“, erklärt CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Das sei angekündigt und nun vollzogen worden: „Einen Koalitionsstreit sehe ich dadurch nicht ausgelöst.“ Auch sein Grünen-Kollege Andreas Schwarz will kein Öl ins Feuer gießen, sondern beschränkt sich auf den Appell an die Bundesbehörden, die sich ständig wandelnde Sicherheitslage in Afghanistan zu beachten. Allerdings plädiert er für einen neuen Umgang inerhalb der Koalition: „Nach meinem Empfinden muss man sensible Themen in der Koalition besprechen.“ Die Fraktion müsse frühzeitig eingebunden werden.

Unter der Oberfläche jedenfalls brodelt es. Führende Grüne, die nicht genannt werden wollen, sprechen von einer erheblichen Belastung für die Koalition: „Das geht an die Grundfesten“, sagt einer. Nun will man eine vernünftige Grundlage für die Zukunft finden. Übers Wochenende will man sich beraten. Das wird auch nötig sein, denn die Zukunft der Abschiebungen ist nahe: „Es wird weitere Rückführungen nach Afghanistan geben“, teilt das Innenministerium mit. Regierungssprecher Rudi Hoogvliet sagt: „Es wird Zeit, dass Weihnachten wird.“