Es komme kommt nicht darauf an, was einer glaubt, sondern ob er sich an das Grundgesetz hält, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir im StZ-Interview.

Berlin – - Kein heiliges Buch darf nach Ansicht des Stuttgarter Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir über dem Grundgesetz stehen. Das Grundgesetz gebe in der deutschen Zuwanderungsgesellschaft die Spielregeln für alle vor.
Herr Özdemir, darf ich Ihnen ein Zitat vorlesen?
Ja, gerne.
„Das Schlimmste, was im ordnungsliebenden Deutschland passieren kann, ist, dass wir auf berechtigte Fragen der Bürger keine Antworten geben.“
Das Zitat kenne ich. Es stammt ja von mir.
OB Palmer sagt, er gebe Antworten auf diese berechtigten Fragen. Warum fällt trotzdem die halbe Partei über ihn her?
Ich falle nicht über ihn her, sondern sage, dass vieles von dem, was Boris Palmer sagt, gar nicht der Realität der Partei entspricht. Bündnis 90/Die Grünen haben auf dem letzten Parteitag in Halle beschlossen, dass nicht jeder, der zu uns kommt, hierbleiben kann. Wir haben schon vor Jahren Abstand von der Forderung nach völlig offenen Grenzen genommen. Wir verteidigen aber das Grundrecht auf Asyl und wollen ein Einwanderungsgesetz. Ich habe auch gesagt, was Migranten tun müssen, damit sie Teil dieser Gesellschaft werden.
Was wäre das zum Beispiel?
Wer ein Problem mit Frauen hat, kann gleich wieder gehen. Alle anderen sind herzlich willkommen. Palmer beschreibt, wie manches vielleicht früher mal bei uns Grünen war. Aber das ist eben nicht mehr so. Winfried Kretschmann hat beim ersten Asylpaket vieles bei der großen Koalition durchgesetzt, was immer unsere Anliegen waren. Dafür hat er – was uns enorm schwerfiel – den Kompromiss bei den sicheren Herkunftsstaaten akzeptiert, um die es damals ging. Palmer sagt, wir sollten Kompromisse eingehen. Ich sage: Das machen wir doch längst.
Zurück zu den Erwartungen, die Sie an die Flüchtlinge stellen. Welche Rolle spielt dabei das Grundgesetz?
Die Verfassung spielt die zentrale Rolle. Es kommt nicht darauf an, was Sie oder ich oder sonst jemand glaubt. Es kommt darauf an, dass wir gemeinsame Spielregeln haben – nämlich genau die, die das Grundgesetz nennt, also beispielsweise die Meinungsfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Tradition eines säkularen Staatsverständnisses. Wenn ich sage, dass kein heiliges Buch – egal, ob es Bibel oder Koran heißt – über dem Grundgesetz steht, heißt das nicht, dass ich die Religionen aus dem öffentlichen Raum verbannen will. Es geht mir nicht um die Laizität, wie sie Frankreich kennt, sondern darum, dass niemand unter Verweis auf eine religiöse Norm sich dem Zusammenleben verweigert, wie es das Grundgesetz mit seinen zentralen Werten und Rechten beschreibt.