Beim Grünen-Parteitag in Berlin reklamiert Cem Özdemir den Liberalismus für die eigene Partei. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann mahnt Zusammenhalt an.

Berlin - Der Satz klingt so selbstbewusst, so optimistisch. „Zukunft ist, was wir draus machen“, heißt das Motto des Grünen-Parteitags, das in riesigen Buchstaben an der Hallenwand in der Berliner „Arena“ prangt. Fürs erste allerdings können die Grünen wohl nicht so richtig zupacken, also nicht in der Bundesregierung „was draus machen“.

 

Jamaika ist bekanntlich nicht zustande gekommen, derzeit scheint eine Neuauflage der Großen Koalition wahrscheinlich. Kommt es wieder zu Schwarz Rot, landen die Grünen die vierte Legislaturperiode in Folge in der Opposition. Und wie schon von 2013 bis 2017, stellen sie auch heute die kleinste Fraktion im Bundestag. So richtig rosig sieht im Moment also die Zukunft nicht aus, aus der die Grünen etwas machen wollen.

Verzagt klingt Grünen Chef Cem Özdemir aber kein bisschen, als er an diesem Samstag die Abgesandten der Parteibasis auf die Zukunft einstimmt. Seine Rede ist eine Kampfansage an die FDP - an die Partei, die am späten Abend des 19. November die Jamaika Sondierungen verlassen hatte. Özdemir macht deutlich, dass er diese Entscheidung von FDP Chef Christian Lindner für verantwortungslos hält. Demokratie, so Özdemir, lebe vom Kompromiss der verschiedenen politischen Kräfte.

Die FDP müsse spüren, dass ihr Verhalten Konsequenzen habe

„Wenn Lindner Kompromisse für Demütigung hält, dann fehlt ihm die Demut vor den großen Aufgaben“, ruft Özdemir in den Saal und bekommt dafür kräftigen Applaus seiner Parteifreunde. Der wächst sich zu tosendem Jubel aus, als Özdemir die Männerriege der FDP, die Lindners, Kubickis, Buschmanns und wie sie alle heißen, als „testosterongesteuerte Alphamännchen“ verspottet. Es sei albern, wenn die Liberalen nun sagten, dass Jamaika wegen Angela Merkel nicht gelungen sei: „ Die sollten nicht starke Frauen dafür verantwortlich machen, dass sie gescheitert sind. Die sind an sich selbst gescheitert“.

Viele Start-up-Gründer, viele Unternehmer und Handwerker, so Özdemir, fragten sich nun, warum die FDP vor Jamaika geflohen sei. Im ländlichen Raum müssten weiter viele auf schnelles Internet warten, weil die in der Jamaikasondierung beschlossenen Ausbaupläne Makulatur seien. Diesen Bürgern, sagt Özdemir, müssten die Grünen als Verbündete zur Seite stehen. Die FDP müsse spüren, dass ihr Verhalten Konsequenzen habe. Es gebe nur eine liberale Partei in Deutschland - und das sei eben nicht die FDP, das seien allein die Grünen.

Partei steht vor der Aufgabe, ihren Standort zu bestimmen

Auch Winfried Kretschmann wirft in seiner Parteitagsrede die Frage auf, ob die FDP wirklich liberal sei. „Leben und leben lassen, etwas bekommen und etwas geben“: Das sei der Kern liberalen Denkens, ruft der Ministerpräsident von Baden-Württemberg den Delegierten zu. Deshalb sei er noch immer verstört, dass die FDP Jamaika habe scheitern lassen. Denn das Bündnis aus Union, FDP und Grünen sei allemal besser als das, was jetzt komme: Neuwahlen oder abermals die Große Koalition. Gebe es nicht schon genug Spaltung und Kontroversen in Europa? Mehr davon könne niemand wollen, meint Kretschmann. Vielmehr gehe es darum, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Umso wichtiger sei zu verhindern, dass die FDP in Richtung Österreich, also in Richtung der rechtspopulistischen FPÖ, entwickele: „Schließlich regieren wir in zwei Ländern mit denen“, in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein.

Der Realo Özdemir und der Ober—Realissimo Kretschmann sind sich also einig, was die Grünen aus der Zukunft machen sollen. Aber welchen Rückhalt haben sie dafür? An diesem Samstag treten nicht nur Özdemir und Kretschmann ans Rednerpult in der „Arena“. Auch Fraktionschef Toni Hofreiter zieht eine Bilanz des Jamaika Scheiterns. Und der Vertreter der Parteilinken erntet stürmischen Applaus, als er sagt, dass die Grünen die einzig wirklich linke Kraft im deutschen Parteienspektrum seien.

Klar liberal oder klar links: die Grünen stehen also vor der Aufgabe, ihren Standort zu bestimmen. Einfach, so viel steht fest, wird das nicht. Denn wie gesagt: die kleinste Fraktion im Bundestag ist die der Grünen. Und bei einigen Landtagswahlen der letzten Zeit – sei es im Saarland, in Nordrhein-Westfalen oder in Niedersachsen – hat die Partei stark an Rückhalt verloren.