Ministerpräsident Kretschmann hält zu Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer – trotz dessen verbaler Eskapaden. Dicke Luft herrscht bei den Grünen in Tübingen, denn nicht alle sind für Palmer als OB-Kandidat im Jahr 2022.

Tübingen/Stuttgart - Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält den in seiner Partei umstrittenen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer weiterhin für höhere politische Ämter geeignet. Auf eine entsprechende Frage sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart: „Sicher, soviel ich weiß, will er wieder OB von Tübingen werden.“ Der Grünen-Politiker erläuterte, er habe Palmer nie abgeschrieben. „Ich war noch nie unversöhnt mit ihm. Ich habe öfter ärgerliche Debatten mit ihm.“ Palmer hatte Ende vergangener Woche gesagt, er hoffe auf eine „Versöhnung“ mit den Grünen.

 

Die Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand hatten Palmer im Mai den Parteiaustritt nahegelegt - wegen dessen umstrittenen Äußerungen über ältere Menschen in der Corona-Pandemie („Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“). Man werde Palmer bei einer möglichen erneuten Kandidatur für den OB-Posten nicht mehr unterstützen, hieß es bei den Grünen in Bund, Land und Stadt.

Die Gefolgschaft aufgekündigt hatte Palmer damals auch der Vorstand des Tübinger Stadtverbands. Und die Ablehnung nun zunächst erneuert. „Für uns Tübinger Grüne ist vor allem wichtig, dass Boris Palmer nicht mehr grüner OB-Kandidat 2022 wird“, hatte der Sprecher des Vorstands am Montag mitgeteilt. Am Dienstag hingegen betonte der Stadtvorstand: „Dieser Satz ist so nicht beschlossen oder autorisiert worden.“ Die Positionierung des Stadtvorstands im Frühjahr 2020 sei mehrheitlich gewesen, Boris Palmer nicht zu unterstützen. Aber letztlich müsse die Entscheidung von den Mitgliedern getroffen werden.

Christoph Joachim fordert Mitgliederbefragung

Der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen im Tübinger Gemeinderat, Christoph Joachim, fordert eine Mitgliederbefragung der Grünen in der Universitätsstadt zu der Frage, wer von den Grünen als OB-Kandidat oder Kandidatin unterstützt werden soll. „Eine Findungskommission, wie sie in Teilen des Vorstands angedacht wurde, kommt nicht infrage“, sagte Joachim am Dienstag. Das Thema wolle er am Dienstabend bei der Jahreshauptversammlung des grünen Stadtverbandes vorbringen.

Joachim selbst hatte Palmer im Frühjahr nach dessen Äußerungen über die Senioren kritisiert und vorgeschlagen, für die Wahl im Jahr 2022 einen anderen Grünen-Kandidaten gegen Palmer ins Rennen zu schicken. Jetzt sieht er das anders. „Die Bewährungsstrafe habe ich ihm erlassen, weil er jetzt Empathie zeigt für die vulnerablen Gruppen“, sagte Joachim. Damit ist der sogenannte Tübinger Weg gemeint, mit dem Palmer in den Medien zu lesen ist. Tübingen hatte Anfang September regelmäßige Corona-Tests für das Personal in Alten- und Pflegeheimen eingeführt. Mit diesem Schutzkonzept sollte das tödliche Eindringen des Virus in die Einrichtungen verhindert werden. Das Konzept ging letztlich aber nicht auf.