Grünen-Spitzenfrau „Es geht um inhaltliche Veränderungen“
Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner fordert inhaltliche Veränderungen von ihrer Partei – und macht für den Bundestagswahlkampf eine Kampfansage, die keine sein soll.
Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner fordert inhaltliche Veränderungen von ihrer Partei – und macht für den Bundestagswahlkampf eine Kampfansage, die keine sein soll.
Die Grünen stehen vor der Aufarbeitung des Europawahl-Debakels. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete, Franziska Brantner, fordert inhaltliche Veränderungen und denkt schon an die Bundestagswahl.
Frau Brantner, die Europawahl sitzt den Grünen in den Knochen. Der Bundestagswahlkampf steht bevor. Welche Konsequenzen muss Ihre Partei ziehen?
Wir dürfen und werden nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir haben unsere Politik so auszurichten, dass die Menschen uns wieder zutrauen Probleme zu lösen und dafür müssen wir besser zuhören.
Wie soll das funktionieren in einer zerstrittenen Ampel-Koalition?
Die gesamte Regierung muss zeigen, dass sie Probleme pragmatisch angeht. Die Interpretationen unseres Ergebnisses gehen auseinander: Wurden wir abgestraft für zu viel Klimaschutz oder sind viele nicht wählen gegangen oder haben Volt gewählt, weil wir hier enttäuschten? Debattieren wir über „weniger oder mehr“, haben wir schon verloren. Es muss um besseren Klimaschutz gehen, ihn so auszugestalten, dass die Menschen ihn ohne Sorgen umsetzen und trotzdem einen Unterschied machen können. Klimaschutz als Wettlauf um die besten Ideen, Technologien, Innovationen, bei dem man sich gerne und stolz beteiligt.
Das klingt sehr verkopft, braucht es nicht einfachere Botschaften, um die Menschen wieder zu erreichen?
Klar ist Politik auch eine Kunst der Kommunikation. Erfolge, wie zum Beispiel beim Ausbau der Erneuerbaren, müssen wir besser feiern. Aber es geht nicht nur darum, besser zu erklären, sondern auch zu begeistern und um inhaltliche Veränderungen.
Die Grünen haben aber in Baden-Württemberg nicht nur bei ihren Kernwählern verloren, sondern darüber hinaus.
Unser Anspruch muss bleiben, Politik für das ganze Land zu machen. Gerade in Baden-Württemberg sind ländliche Räume das Fundament unserer Lebensqualität. Sie tragen eine große Verantwortung für die Energiewende. Wir haben bereits verbessert, dass Kommunen für Windkraft mehr Gewerbesteuer bekommen. Darauf sollten wir aufbauen, damit sie noch stärker profitieren. Und klar ist: Mobilität wird da weitgehend individualisiert bleiben, deswegen sind wir nicht gegen das Auto, sondern gegen fossile Brennstoffe.
Das Thema Migration hat eine große Rolle im Wahlkampf gespielt. Kein Thema, mit dem die Grünen punkten.
Als Grüne haben wir in der Bundesregierung die EU-Asylpolitik mitgestaltet und beschlossen, nachdem es jahrelang nicht voranging, und gleichzeitig die Arbeitsmarktintegration verbessert. Leider kam in der Bevölkerung häufig an, dass das nicht mit, sondern trotz der Grünen klappte. Und wir müssen Islamismus hart bekämpfen. Er widerspricht allem, wofür wir Grüne stehen.
Besonders bitter war der Verlust bei den jungen Wählern. Ihre Analyse?
Es war ein Fehler während Corona, dass hier die Schulen noch geschlossen waren, während sie europaweit wieder offen waren. Viele sehen: wir erben eine kaputte Infrastruktur, keine sichere Rente, haben keinen bezahlbaren Wohnraum. Darauf braucht es stärkere Antworten. Die Grünen scheinen nicht mehr so hip wie früher – das hat mit uns zu tun, aber auch mit Desinformationskampagnen. Wir schulden der Jugend auch Perspektiven, die eine sichere, friedliche Zukunft sich vorstellen lässt.
Führende Grüne wie Winfried Kretschmann haben zu Beginn der Energiekrise vor Wohlstandsverlusten gewarnt, aber keine Lösungen angeboten.
Nein, gerade wir Grüne in Baden-Württemberg setzen uns seit jeher für unseren starken Wirtschaftsstandort und eine starke öffentliche Daseinsvorsorge ein. Es braucht ein gutes und unbürokratisches Auffangnetz in der Not, aber vor allem Strukturen für Chancengerechtigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten: Gute Bildung, genug verlässliche Kitaplätze, gute Gesundheitsversorgung, bezahlbarer Wohnraum, funktionierende digitale Infrastruktur, agile Verwaltung.
Braucht es personelle Konsequenzen?
Die Debatten jetzt an einer Person fest zu machen hilft nicht weiter. In allen Landesverbänden stehen aber Debatten über die Listen für die Bundestagswahl an.
Werden Sie bei der Bundestagswahl wieder Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg wie 2021?
Ich habe vor, in Baden-Württemberg weiter anzutreten und würde das auch gern wieder an der Spitze tun.
Inzwischen kommt mit Ricarda Lang aber auch die Bundesvorsitzende aus Baden-Württemberg. Konkurrieren Sie?
Wir haben ein gutes Verhältnis und werden sicher einen guten Weg finden.
Und die Nummer zwei auf der Liste? Alle gehen davon aus, dass Cem Özdemir nicht zur Bundestagswahl antritt, sondern Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026 wird.
Das wird sicher bald beantwortet sein.
Werden die Grünen einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin stellen?
Diese Entscheidung werden wir zum richtigen Zeitpunkt treffen. Jetzt arbeiten wir die Wahl auf, schauen, was wir besser machen und gehen konzentriert die Landtagswahlen an.
Baden
Franziska Brantner (44) ist in Neuenburg am Rhein geboren und in Freiburg zur Schule gegangen. Sie studierte an der Science Po in Paris und der Columbia Universität in New York, bevor sie an der Universität Mannheim promovierte.
Brüssel
Von 2009 bis 2013 war sie Abgeordnete im Europaparlament. Sie war außenpolitische Sprecherin der Fraktion.
Berlin
2013 wurde Brantner für die Grünen in den Deutschen Bundestag gewählt und ist seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium.