Noch bevor der Grünen-Parteitag begonnen hat, gibt es eine hitzige Debatte über grüne Klimaziele. Wie radikal sollen einzelne Maßnahmen ausfallen? Der Bundesverband der Deutschen Industrie ist alarmiert.

Berlin - Zum Auftakt des Grünen-Parteitages ist eine Debatte über die Klima- und Wirtschaftspolitik der Ökopartei entbrannt. Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann warnte die eigene Partei davor, im Kampf gegen den Klimawandel zu radikale Forderungen aufzustellen und die Menschen damit zu überfordern. „Wir müssen angesichts der neuen EU-Klimabeschlüsse und der neuesten Daten zum Klimawandel deutlich mehr tun“, sagte Hermann der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Aber wir sollten die Menschen nicht abschrecken, sondern für Klimaschutz gewinnen.“

 

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warf den Grünen unausgewogene Vorschläge vor. Mit Blick auf die Diskussion über Benzinpreise sagte Altmaier der „Wirtschaftswoche“: „Dadurch, dass Frau Baerbock die 16 Cent willkürlich in die Debatte geworfen hat, ohne ein schlüssiges Gesamtmodell vorzulegen, schadet sie der Debatte über Klimaschutz und seiner Akzeptanz.“ Die Vorschläge der Grünen würden „gut verdienende Städter“ gegenüber Bürgern auf dem Land eindeutig begünstigen, erklärte Altmaier. Die Grünen betonen stets, dass es im Gegenzug für mehr Klimaschutz auch Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger geben soll.

Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor staatlichen Eingriffen

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte indes vor weitreichenden staatlichen Eingriffen. „Das Programm ist ein Tribut an die Basis und weit weg von den täglichen Entscheidungen verantwortlicher Grüner in Bund und Ländern. Es offenbart ein ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.

Co-Parteichef Robert Habeck warnte die Delegierten im Vorfeld des Parteitags hingegen vor unrealistischen Forderungen. „Der Wahlkampf ist ein sehr besonderer. Da sollte möglichst wenig schiefgehen“, sagte Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag). „Was wir beschließen, sollte umsetzbar sein. Wenn wir wissen, dass etwas nicht klappen kann, sollten wir es nicht beschließen.“ Die Grünen wollten regieren und seien „ambitioniert bis zum Anschlag, aber nicht darüber hinaus“, sagte Habeck. „Wir sind pragmatisch und spielen nicht Wünsch-Dir-was.“

Annalena Baerbock hatte für viel Kritik gesorgt

Grünen-Chefin Annalena Baerbock hatte in den vergangenen Tagen für viel Kritik von Union und SPD gesorgt, nachdem sie von einem Aufschlag von etwa 16 Cent pro Liter Benzin gesprochen hatte. Allerdings hatte die große Koalition selbst im Jahr 2019 entschieden, den CO2-Preis bis 2025 auf 55 Euro steigen zu lassen und damit auch höhere Spritpreise beschlossen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) kündigte an diesem Freitag an, dass auch mit der Union an der Spitze der künftigen Bundesregierung Benzin teurer werden dürfte.

Die Umweltorganisation Greenpeace ermahnte die Grünen, sich ambitioniertere Ziele als die Bundesregierung zu setzen. „Jetzt ist die Zeit gekommen, dass die grüne Partei bei ihrem Kernthema Klimaschutz nachweist, dass sie es besser kann als die Große Koalition“, sagte Greenpeace-Klimaexperte Andree Böhling der Deutschen Presse-Agentur. Um die Pariser Klimaschutzziele erreichen zu können, müsse Deutschland bereits vor 2040 klimaneutral werden, forderte Böhling. „Das erfordert einen Kohleausstieg bis 2030, den massiv beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien und ab 2025 ein Verbot für die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor.“ Auch andere Organisationen wie der WWF Deutschland und Fridays for Future forderten die Grünen auf, eine Schippe draufzulegen.

Klimapolitik steht gleich zu Beginn auf dem Programm

Die hart umkämpfte Klimapolitik stand gleich am ersten Abend auf dem Programm des digitalen Parteitags, der an diesem Freitag begann und bis Sonntag dauert. Strittig ist, wie streng einzelne Vorhaben etwa zu Tempolimits oder CO2-Preis ausfallen sollen. Darüber befinden etwa 800 Delegierte. Am Samstag soll Baerbock als Kanzlerkandidatin bestätigt werden. In der gleichen Abstimmung soll auch das Spitzenduo der beiden Parteichefs Baerbock und Robert Habeck bekräftigt werden.

Die Delegierten debattieren und votieren aus Gründen des Infektionsschutzes in der Corona-Pandemie digital. Vor Ort in Berlin sind nur Bundesvorstand und Präsidium sowie die Sitzungsleitung, eine Gruppe von Medienvertretern und einzelne Redner. Für die Reden von Habeck am Freitag und Baerbock am Samstag sind zudem je hundert Neumitglieder aus Berlin dabei.

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Nach dem Höhenflug der Grünen in vielen Umfragen hatte sich das Blatt für die Partei zuletzt gewendet, sie wurde von der Union teils deutlich überholt. Im April lagen die Grünen in Umfragen zeitweise vor der Union bei 28 Prozent. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend von infratest dimap steht die Partei nun hingegen bei 20 Prozent, die CDU/CSU bei 28 Prozent. Mit Blick auf die Regierungskoalition aus Union und SPD sagte Bundesgeschäftsführer Kellner zu Beginn des Parteitages in Berlin: „Die GroKo hat fertig“. Baerbock sei „die Frau der Zukunft.“