Der Unternehmer Nicolai Ensslen fordert mehr Mut zum Risiko bei neuen Technologien. Warum er Gruibingen zugunsten von Sillicon Valley und Filderstadt verlassen hat, erzählt Ensslen im Interview.

Gruibingen/Filderstadt – Über das Thema Industrie 4.0 wird viel geredet. Die Firmen, die das Thema praktisch anpacken, müssen allerdings viel Überzeugungsarbeit leisten. Synapticon ist ein solcher Betrieb, der in Gruibingen im Kreis Göppingen zuhause war, vor einiger Zeit aber nach Filderstadt in den Nachbarlandkreis Esslingen gezogen ist. Über die Gründe, die dafür ausschlaggebend waren, spricht der Geschäftsführer Nikolai Ensslen.
Herr Ensslen, als Anfang Dezember Ministerpräsident Winfried Kretschmann Ihrem Unternehmen einen Besuch abgestattet hat, wie haben Sie ihm erklärt, was Synapticon eigentlich so macht?
So wie ich das jedem anderen Besucher auch erkläre. Synapticon bietet eine Plattform und entwickelt Produkte, Werkzeuge, Module und Chips für die Vernetzung von Hard- und Software in den Bereichen Elektromobilität und Robotik.
Aha, und damit konnte der Landesvater etwas anfangen?
(lacht) Herr Kretschmann war natürlich gut vorbereitet. Aber ein konkretes Beispiel macht die ganze Sache vielleicht verständlicher. Im Bereich Robotik geht es unter anderem um autonome Transportsysteme, etwa in Firmen, Krankenhäusern oder in der Altenpflege. Diese Systeme werden immer sensibler und komplexer. Letzten Endes dreht sich bei Synapticon alles um das Schlagwort „Industrie 4.0“.
Ein Thema, mit dem man sich in Deutschland ja irgendwie schwer zu tun scheint.
Da ist in der Tat was dran. Bei uns wollen die Leute Qualität spüren. Wenn man, wie etwa im IT-Bereich, Dinge nicht anfassen kann, macht uns das – allgemein gesprochen – weniger Spaß. Das liegt vermutlich in der deutschen Mentalität begründet.
Und deshalb haben Sie eine Synapticon-Dependance im amerikanischen Silicon Valley in Kalifornien eröffnet?
In den USA geht es um technischen Fortschritt, um Lösungen und vor allem darum, die Zukunft zu gestalten. Im Silicon Valley trifft sich alles, was voran machen möchte, nicht zuletzt im Bereich der Robotik-Innovation. Wir haben dort sehr viele Kundenbeziehungen aufgebaut und wollten vor Ort präsent sein, weil man im IT-Bereich schnell sein muss. Wenn du da ein halbes Jahr verschläfst, kann es gut sein, dass der Zug ohne dich abfährt.
Sie beschreiben gerade die Großwetterlage, haben aber auch im Kleinen umgedacht und sind von Gruibingen nach Filderstadt umgezogen. Aus welchem Grund?
Wir mussten uns verändern, weil Synapticon weitere Entfaltungsmöglichkeiten gebraucht hat, räumlich und inhaltlich. Mir als Gruibinger ist es schon ziemlich schwer gefallen, meinen Heimatort mit dem Unternehmen zu verlassen.
Und wenn schon weg, dann auch gleich raus aus dem Kreis Göppingen?
Nein, darum ging’s nicht. Wir haben uns auch einige Standorte im Stauferkreis angeschaut. Für uns war es aber wichtig, näher an eine öffentliche Verkehrsachse zu kommen. Wir haben viele junge und viele internationale Beschäftigte. Die wollten einfach näher ran an eine Stadt wie Stuttgart, nicht unbedingt räumlich, aber von der Anbindung her. In Filderstadt haben wir einfach in jederlei Hinsicht ein passendes Objekt gefunden.
Das hat also nichts damit zu tun, dass dem Kreis Göppingen der Ruf vorauseilt, industriell zu einseitig aufgestellt zu sein?
Wie gesagt, wir sind nicht geflüchtet, weil im Kreis Göppingen alles so fürchterlich ist. Wir haben uns nicht gegen, sondern für etwas entschieden. Mir als Göppinger Wirtschaftsjunior und als Gruibinger hat deshalb das Herz geblutet, das können Sie mir ruhig glauben.
Zu Beginn unserer „Chefsachen-Serie“ hat der Göppinger IHK-Geschäftsführer Peter Saile erklärt, dass sich der erhoffte und immer wieder geforderte Strukturwandel mittlerweile auch im Stauferkreis vollziehe. Er liegt mit dieser Einschätzung also richtig?
Sagen wir es mal so. Es gibt im Raum Göppingen einige, meist kleinere Unternehmen, die bereits ganz gut aufgestellt sind. Es müssen aber noch wesentlich mehr werden. Vor allem bei vielen Mittelständlern muss sich noch ein größeres Bewusstsein für den IT-Bereich entwickeln. Die Voraussetzungen, dass das gelingen kann, sind aber nicht schlecht.
Weshalb denn?
Weil wir ganz nah an der Produktionstechnik dran sind, beispielsweise im Maschinenbau Es geht in vielen Bereichen aber längst nicht mehr nur um Präzision und Zuverlässigkeit. Vielmehr muss die Steuerungstechnik auf eine neue Ebene gebracht werden. Es geht darum, die Nutzbarkeit von Maschinen zu verbessern, notwendige Umbauten zu beschleunigen, die Anwendbarkeit einfacher und die Prozesse flotter zu machen. Dabei hilft eine gute Software, die Erfordernisse erkennt und automatisch reagiert. Das Endziel ist eine universelle Fabrik, die alles fertigen kann, was gerade so gebraucht wird.
Das hört sich aber nicht danach an, als würde da ausschließlich im Göppinger Raum Nachholbedarf herrschen.
Noch einmal, Göppingen steht ganz gut da. Es ist auch nicht so, dass die Region Stuttgart oder Baden-Württemberg national hinterher hinken würden. Doch im internationalen Vergleich muss Deutschland nacharbeiten, um vorne mit dabei zu bleiben. Es ist noch immer machbar, die vorhandenen Trends zu nutzen und sich für die Zukunft gut aufzustellen.
Das geht, um im Bild zu bleiben, aber nicht automatisch.
Auf gar keinen Fall. Es muss sich vielmehr auf allen Ebenen des Systems etwas ändern, angefangen bei der Ausbildung. Deutschland ist, auch wenn das gerne anders dargestellt wird, nicht der beste Standort, um Innovationen zu schaffen. Wir brauchen bereits an den Hochschulen ein progressiveres Denken und mehr Mut zum Risiko, gerade bei neuen Technologien.
Aber es gibt doch unzählige Wettbewerbe und Förderprogramme.
Das schon, allerdings hat diese Medaille zwei Seiten. Bei uns steckt, verglichen mit anderen Ländern, in der Forschung sehr viel öffentliches und wenig privates Geld. Deshalb spielt es einerseits zwar keine Rolle, ob am Ende etwas dabei rauskommt. Auf der anderen Seite ist man aber dennoch sehr stark auf Ergebnisse und auf Sicherheit bedacht.
Was für ein Start-Up-Unternehmen ja nicht das dümmste Konzept ist.
Es gibt aber noch bessere Wege, wenn ich die Wirtschaft mit ins Boot holen will. So können in einigen anderen Ländern Firmen, die Gründer unterstützen, Steuern sparen. Dadurch wird die Risikobereitschaft höher, auch einmal unkonventionelle Wege zu beschreiten – und der Staat ist dennoch nicht außen vor. Bei uns in Deutschland wird zunächst geschaut, was gegen etwas spricht. Und erst wenn nichts dagegen spricht, wird es gemacht.
Und das macht Synapticon anders?
Wir sind keine Hasardeure, aber ein bisschen Science-Fiction haben wir schon im Blut. Der Name unseres Unternehmens setzt sich zusammen aus „Synapse“, also „Verbindung“, und „con“, was „mit“ oder „zusammen“ bedeutet. Es geht darum Technik und Elektronik mit IT und Software zusammenzubringen. In unserer Arbeit geht es darum, die echte Welt programmierbar zu machen.

Moderne Ideenschmiede

Start Up:
Die Ideenschmiede Synapticon, die 2010 in Gruibingen gegründet worden ist, entwickelt Cyber-Physical-Systems und Technologien rund um das „Internet der Dinge“. Beides sind die wesentlichen Treiber im modernen Maschinenbau sowie im produzierenden Gewerbe und lassen sich unter dem Begriff „Industrie 4.0“ subsumieren. Das Start-Up-Unternehmen, das seit diesem Jahr profitabel arbeitet, hat seinen Sitz inzwischen in Filderstadt und unterhält Büros in Redwood City, Kalifornien, und im serbischen Belgrad.

 

Gründer
: Nikolai Ensslen hatte schon immer die Leidenschaft, mit Technologien zu jonglieren. Nach seinem Maschinenbau-Studium in Bayreuth gründete der heute 32-Jährige die Firma Synapticon, um als Geschäftsführer ein Unternehmen nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Das tut Ensslen nach wie vor.