Ein neues Gesetz macht’s möglich: Wer sich in seinen Grundrechten verletzt sieht, kann vom 1. April an in Baden-Württemberg Landesverfassungsbeschwerde erheben. Dahinter stecken Gedanken auf beachtlichem Abstraktionsniveau.

Stuttgart - Als die grün-rote Koalition vor einem Jahr die Idee zu einer Landesverfassungsbeschwerde hatte, kam das recht unverhofft. Er habe nicht den Eindruck, „dass uns in den vergangenen Jahren etwas gefehlt hat“, bruddelte der CDU-Abgeordnete Bernd Hitzler im Landtag. Auch wurde gegen das Vorhaben vorgetragen, dass es im deutschen Rechtssystem an Rechtsmitteln nicht fehle, vielmehr biete es Rechthabern und Querulanten jeglicher Provenienz genügend Gelegenheit sich auszuleben. Solche Bedenken konnten den Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) indes nicht beirren. Die Rechtsmittel seien zuletzt eher gestutzt worden. Außerdem hatte er im scheinbar wohlgeformten Rechtsgebäude eine Lücke ausgemacht, die er schließen wollte.

 

Und nun ist das Werk vollbracht. Zum 1. April tritt das „Gesetz zur Einführung der Landesverfassungsbeschwerde“ in Kraft. Damit, so stellen die Autoren mit Genugtuung fest, nehme Baden-Württemberg „60 Jahre nach seiner Gründung an einer europaweiten und internationalen Entwicklung teil, wonach die Verfassungsbeschwerde zunehmend als unverzichtbarer Bestandteil eines effektiven Grundrechtsschutzes angesehen wird“. Zudem stärke sie die Eigenstaatlichkeit des Landes, „indem die Korrektur grundrechtswidrigen Staatshandelns im Wege einer Verfassungsbeschwerde nicht mehr an das Bundverfassungsgericht ausgelagert, sondern durch den Staatsgerichtshof als Landesverfassungsgericht erfolgen kann“. Das sind Gedanken auf beachtlichem Abstraktionsniveau. In der Praxis verhielt es sich ja bisher so, dass das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsschutz gewährleistete; und wenn alles nichts mehr half, gab es immer noch den Europäischen Gerichtshof.

Eine Entlastung der Karlsruher Richter scheint sinnvoll

Dagegen lässt sich einwenden, dass die Karlsruher Verfassungsrichter viel zu tun haben und ein bisschen Entlastung sicherlich sinnvoll fänden – zumal andere Bundesländer bereits eine eigene Verfassungsbeschwerde kennen. Zuständigkeit für den Grundrechtsschutz können beide beanspruchen: Bund und Land. Baden-Württemberg verfügt über eine eigene Verfassung, die zwar keinen Grundrechtskatalog kennt, dafür aber summarisch auf das Grundgesetz verweist: Die dort festgelegten Grund- und staatsbürgerlichen Rechte seien „Bestandteil dieser Verfassung und unmittelbar geltendes Recht“. Künftig können es sich die Baden-Württemberger aussuchen, an welches Gericht sie sich wenden, wenn sie sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen. Sowohl das Bundesverfassungsgericht wie auch der Staatsgerichtshof kommen in Frage. Es sollten nur nicht beide sein.

Für Justizminister Stickelberger macht die Landesverfassungsbeschwerde auch deshalb Sinn, weil es in der Landesverfassung eine – allerdings überschaubare – Anzahl von Rechtspositionen gibt, die im Grundgesetz nicht vorgesehen sind. Das betrifft Fragen, in denen die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt. Dazu gehören Wahlrechtsfragen, sofern sie den Landtag und die Kommunalparlamente betreffen. Dazu zählt vor allem die Bildungspolitik. So ist in Artikel 14 der Landesverfassung die Lernmittelfreiheit garantiert. In der Vergangenheit gab es auf dem Instanzenweg der Verwaltungsgerichtsbarkeit Urteile zu der Frage, welche Eigenbeiträge dennoch von den Eltern erhoben werden können. Die Landesverfassungsbeschwerde bietet künftig nach Ausschöpfung der Fachgerichtsbarkeit ein letztes Rechtsmittel an.

Nicht Jedermann kann Klage erheben

In Bayern waren die Studiengebühren Gegenstand einer Popularklage. Und mit der Föderalismusreform 2006 waren zusätzliche Kompetenzen zu den Ländern gelangt, zum Beispiel im Beamtenrecht. Letztere ist in Baden-Württemberg allerdings nicht vorgesehen. Klagen kann nicht jedermann, sondern nur, wer persönlich und unmittelbar durch einen Akt der baden-württembergischen Staatsgewalt betroffen ist.