Ab Januar gilt eine neue Grundlage für die Grundsteuer. Das Modell sei transparent und unbürokratisch, heißt es in Stuttgart. Davon sind im Kreis Esslingen offenbar nicht viele überzeugt. Im Gegenteil: Erwartet wird eine Flut an Beschwerden.
Ein Raunen ging durch den kleinen Saal im alten Rathaus in Esslingen, als die Mitglieder der Verwaltungsausschusses über den Stand der Umsetzung der Grundsteuerreform informiert wurden. Unter dem Punkt „Auswirkungen“ wurden mehrere Beispielrechnungen an die Wand geworfen. Unter anderem diese: Der Eigentümer eines frei stehendes Zweifamilienhaus auf einem verhältnismäßig großen Grundstück zahlte bisher 320 Euro Grundsteuer. Nach der Reform sind es fast vier Mal so viel: Mehr als 1200 Euro. Die Leiterin der Stadtkämmerei in Esslingen Birgit Strohbach wagte schon mal eine Prognose: „Das wird uns massiv beschäftigen. Die Telefone werden heiß laufen.“
Der Bote ist nicht der Verursacher
Das Problem: Der Bote ist nicht identisch mit dem Verursacher. Denn das Grundsteuermodell wurde nicht von den Kommunen, sondern vom Bund erarbeitet und dann noch vom Land modifiziert. Im Südwesten spielen lediglich zwei Kriterien eine Rolle: die Grundstücksfläche und der Bodenrichtwert. Auf die Bebauung kommt es weniger an. Im Bundesmodell dagegen spielen auch die Gebäudeart und das Baujahr eine Rolle.
Es wird allerdings auch Gewinner geben im Kreis Esslingen: Einfamilienhäuser auf kleinen Grundstücken, Eigentumswohnungen oder Wohnungsbaugenossenschaften. Das liegt daran, dass in diesen Häusern oft viele Parteien auf einer verhältnismäßig geringen Grundstücksfläche wohnen, insbesondere in mehrgeschossigen Häusern. Der Esslinger Finanzbürgermeister Ingo Rust schätzt, dass die Hälfte der Esslinger besser, die andere schlechter gestellt sein wird. Das eigentliche Problem aber sind die extremen Ausschläge wie oben beschrieben.
Fast alle Gemeinderäte im Esslinger Verwaltungsausschuss bewerteten das baden-württembergische Modell eindeutig negativ – auch CDU und Grüne, die in Stuttgart die Landesregierung tragen. Die Fraktionschefin der Grünen, Carmen Tittel, sagte: „Wir halten die Reform im Land nicht für richtig. Jetzt werden die Drähte heiß laufen.“ Fraktionschef Tim Hauser resümierte: „Nun könne wir die Reform nur noch begleiten.“ Nicolas Fink von der SPD erklärte: „Auf dem Bescheid steht nicht drauf: Mit freundlichen Grüßen Winfried Kretschmann. Man muss deutlich machen, dass das Land verantwortlich ist. “ Ähnlich äußerten sich auch die Vertreter der Freien Wähler, von FDP/Volt, von den Linken/FÜR Esslingen und der AfD.
Im Detail hängt die Höhe der Grundsteuer noch am jeweiligen Hebesatz, den jede Stadt und Gemeinde selbst ermittelt. Dieser Hebesatz garantiert, dass bei allen Verschiebungen im Einzelfall die Stadt nicht mehr einnimmt als vor der Reform. Der Esslinger Gemeinderat will am 18. November darüber abstimmen. In Aichwald ist man in dieser Frage weiter. Am Montagabend stimmte der Gemeinderat über die Hebesätze ab – auch hier unter der Maßgabe, keine „substanziellen Mehreinnahmen“ erzielen zu wollen. Im Gegensatz zu Esslingen erwartet die Kommunalverwaltung der Schurwaldgemeinde keine allzu großen Proteststürme aus der Bürgerschaft. Zwar ist die Gemeinde für Einsprüche gegen die Grundlagenbescheide, die in den vergangenen Monaten an die Bürger verschickt wurden, nicht zuständig – das machen die Betroffenen direkt mit dem zuständigen Finanzamt Esslingen aus. Nach Angaben von Kämmerer Andreas Jauß seien der Verwaltung aber kaum Widersprüche zu Ohren gekommen.
Ärger über das Transparenzregister
Allerdings ärgert sich Jauß über das sogenannte Transparenzregister für die Grundsteuer B, das das Finanzministerium im Internet veröffentlichte. Dieses gibt einen Korridor für Hebesätze in Aichwald von 122 bis 134 Prozent an – Aichwald liegt mit 135 Prozent also leicht darüber. Für viele Kommunen sei der Korridor passend – in vielen anderen aber nicht. Jauß sieht in dieser Veröffentlichung einen Schlag der Landesregierung gegen die kommunale Selbstverwaltung – zumal die Informationen über die Datengrundlage des Registers unzureichend seien. „Wir wissen nicht, was wie berechnet wurde“, sagt der Aichwalder Kämmerer. Der Gemeinderat setzt jedoch mehr Vertrauen in die Rechenkenntnisse im eigenen Rathaus – das Gremium stimmte dem von der Verwaltung vorgeschlagenen Hebesatz zu.
Unmut herrscht auf dem Schurwald auch ob des Zeitplanes zur Grundsteuer: die Bescheide sollten im Januar verschickt werden. Schon jetzt höre man aber in Veranstaltungen die Aussage, dass die kommunalen Rechenzentren aus Kapazitätsgründen den Termin mutmaßlich nicht halten könnten – diese öffentlichen Dienstleister erstellen die Bescheide. „Wir haben die Befürchtung, dass wir im ersten Halbjahr 2025 keine Grundsteuer einziehen können“, so Jauß.
Die Grundsteuer in Esslingen und Aichwald
Esslingen
Eigentümer eines bebauten oder bebaubaren Grundstücks sowie eines Gebäudes müssen die Grundsteuer B bezahlen. Sie richtet sich unter anderem nach Bodenrichtwert, Fläche und Hebesatz. In Esslingen wird erst im November über den Hebesatz entschieden, aber es zeichnet sich ab, dass er bei 245 Prozent liegt. Bislang lag dieser bei 458 Prozent. Zurzeit nimmt Esslingen rund 20 Millionen Euro durch die Grundsteuer B ein. Würde der Hebesatz so hoch bleiben, würden die Einnahmen wachsen. Sie sollen aber gleich bleiben, deshalb wird der Satz gesenkt.
Aichwald
Für die Grundsteuer A, die für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft gilt und in Aichwald kaum ins Gewicht fällt, soll der Hebesatz vorerst bei 300 Prozent bleiben. Denn hier sind bislang nur 64,7 Prozent der Grundstückswerte ermittelt und per Bescheid eingegangen. Zu wenig für eine zuverlässige Prognose, findet die Verwaltung. Deswegen soll hier der Hebesatz erst ab 2026 angepasst werden. Anders liegt der Fall bei der Grundsteuer B, die für die meisten Gebäude anfällt. Hier sind nach Angaben der Gemeinde bereits 97,95 Prozent der Grundlagenbescheide da. Um wie bislang etwa eine Million Euro durch diese Steuer einzunehmen, wird der Hebesatz von 300 auf 135 Prozent gesenkt – mit der Option nachzukorrigieren, sollten die Einnahmen höher oder niedriger ausfallen, als prognostiziert.