Güterbahnhof Kornwestheim Umsatz vor Sicherheit? DB Cargo-Mitarbeiter schlagen Alarm wegen Sparkurs

DB Cargo fährt seit Jahren einen Sparkurs. Den Mitarbeitern in Kornwestheim scheint das nun zu weit zu gehen. Foto: Simon Granville

Der Güterbahnhof Kornwestheim ist ein wichtiger Knotenpunkt für die Wirtschaft der Region – und fährt seit Jahren einen Sparkurs. Mitarbeiter von DB Cargo erheben schwere Vorwürfe und berichten unter anderem, dass monatelang die Wasserversorgung und Heizungen ausfallen.

Eine Kolonie aus tausenden Ameisen bewegt sich über den Fußboden, Wasser läuft in einem Rinnsal aus der Decke, aber nicht aus dem Wasserhahn. Hinter einem verkratzten, dreibeinigen Schreibtisch, der von einem Holzkeil gestützt wird, hängen lose Kabel herunter. ,,Es ändert sich nichts. Das Motto ist: Wem es nicht passt, kann gehen”, sagt ein Mitarbeiter, der aus Angst vor der Kündigung anonym bleiben möchte.

 

380 Mitarbeitende arbeiten am DB Cargo-Standort in Kornwestheim , einer der größten Güterbahnhöfe in ganz Deutschland und wichtiger Knotenpunkt für die Automobilindustrie der Region. Unserer Zeitung liegen etliche Bilder und Aussagen von DB Cargo-Mitarbeitern vor, die desaströse Arbeitsbedingungen und mangelnde Sicherheit beschreiben. Die Standortleitung wehrt sich gegen die Vorwürfe und vermutet dahinter einzelne, unzufriedene Mitarbeiter.

Bis zu 38 Grad in den Sozialräumen

Im Fokus der Kritik stehen die Gebäude entlang der kilometerlangen Gleise. Dort falle teils monatelang die Wasserversorgung oder die Heizung aus, berichten Mitarbeiter. Um einige Toilettenschüsseln stehe das Wasser, das anfange zu stinken. Aus einem Hahn sei gelbes Wasser gekommen, das man nicht habe trinken können. Im Sommer fehle es zudem an Möglichkeiten, sich abzukühlen. Das sei besonders problematisch, weil man mehrere Stunden ungeschützt von der Sonne auf einem Areal arbeitet, das sich durch Schienen und Stahlcontainer zusätzlich aufheizt.

Dieses Gebäude wurde erst kürzlich saniert, es ist mit einer Klimaanlage ausgestattet. Foto: Simon Granville

Ein kleines Kabuff zwischen den Gleisen, so groß wie ein Büroschreibtisch, diene einigen der Mitarbeiter als Pausenraum. Im Sommer habe es dort häufig um die 38 Grad Celsius. Mitarbeitende versuchen sich mit eigenen Ventilatoren und Sitzgelegenheiten zu helfen, doch die würden konfisziert werden, erzählt man. Durch bewusstes Wegschauen der Standortleitung würden Mitarbeiter gefährdet, Beschwerden beim Betriebsrat oder dem Beauftragen für Arbeitssicherheit würden ins Leere laufen.

„Hier arbeitet man nicht unter Laborbedingungen“

DB Cargo streitet die Vorwürfe ab und lädt zu einem Rundgang über das Gelände ein. Der Kornwestheimer Güterbahnhof ist sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit, einen Eindruck von der ganzen Anlage zu bekommen, ist unmöglich. Aus Sicht des Standortleiters Andreas Ludwig gibt es bei den Räumen zwar Handlungsbedarf, aber: „Auf einem Güterbahnhof arbeitet man nicht unter Laborbedingungen.“ Wenn das Wasser ausfalle, gebe es 100 Meter weiter genug Möglichkeiten, zu duschen oder die Flasche an einem der 13 Trinkwasserspender aufzufüllen. „Gelbes Wasser muss bei uns niemand trinken.” Stück für Stück würden die Gebäude saniert werden, allein für die sanitären Anlagen sei ein sechsstelliger Betrag eingeplant. Zudem wurden Klimaanlage in mehreren Arbeitsräumen an den Gleisen verbaut – weitere sollen folgen. Einige Mitarbeiter seien mit den Gebäuden unzufrieden, für andere sei das alles kein Problem, die Wahrnehmungen würden sich eben unterscheiden, sagt Ludwig.

Andreas Ludwig ist seit dem Winter Standortleiter in Kornwestheim. Foto: Simon Granville

Doch der Zustand der Gebäude ist nicht die einzige Kritik. Seit dem erneuten Wechsel der Standortleitung im Winter sei der Arbeitsdruck immens gestiegen, berichten Mitarbeiter. Statt vier bis fünf Züge würden Mitarbeiter in einer Schicht zwölf Züge abfertigen, Führungskräfte würden unter dem wachsenden Aufgabenfeld und der hohen Wochenarbeitszeit leiden. Laut den Quellen führt das zu mehr Krankheitsausfällen und Kündigungen. „Früher galt Arbeitssicherheit vor Wirtschaftlichkeit, davon ist nicht mehr viel übrig“, sagt ein Mitarbeiter. Diese Einschätzung bestätigen andere Kollegen.

GDL bestätigt steigenden Arbeitsdruck

Auch die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat bereits von den Zuständen in Kornwestheim mitbekommen. Die gesamte DB Cargo sei das große Sorgenkind der Gewerkschaft, sagt der GDL-Bezirksvorsitzender Nico Rebenack. Er bestätigt die Vorwürfe des steigenden Arbeitsdrucks im gesamten Unternehmen – auch auf Kosten der Sicherheit.

Für jede Tätigkeit gebe es bestimmte Zeitvorgaben, für die Übergänge zwischen den Tätigkeiten Pufferphasen, alles mit dem Ziel, dass in Ruhe an den Waggons gearbeitet wird, erklärt Rebenack. In diese Vorgaben werde jedoch regelmäßig eingegriffen: „Alles muss immer schnell, schnell gehen, dadurch wird geschludert.” Das gehe so weit, dass Mitarbeiter nicht auf den Sicherheitswegen gehen, sondern kreuz und quer über die Gleise springen müssten.

Zugeinheiten werden mit einer Rangierlokomotive auf den Ablaufweg geschoben, von dort rollen sie auf das richtige Gleis – das müsse immer schneller gehen, so die Quellen. Foto: Simon Granville

Es könne gar nicht sein, dass die Arbeitsbelastung in Kornwestheim steige und darunter die Sicherheit leide, widerspricht Andreas Ludwig. Die schwächelnde Konjunktur zeige sich auch auf den Gleisen, seit rund einem Jahr liege die Auslastung des Güterbahnhofs bei nur rund 60 Prozent. Weniger Arbeit, weniger Stress und damit auch kein erhöhtes Sicherheitsrisiko, argumentiert der Standortleiter. Dafür spreche auch die Unfallstatistik, die in diesem Jahr besser sei als in den Vorjahren.

DB Cargo will mit Transformation Strukturen verbessern

Rote Zahlen schreiben die Deutsche Bahn und ihre Tochterunternehmen seit Jahren. Mit rund 500 Millionen Euro Schulden allein im vergangenen Jahr fährt DB Cargo weiter Verluste ein und kann diese nur mithilfe des Mutterkonzerns ausgleichen. Die Europäische Kommission prüfte in der Vergangenheit bereits, ob sich diese Unterstützungsmaßnahme mit EU-Vorschriften deckt.

Über die kommenden fünf Jahre zahlt die Bundesregierung insgesamt 1,7 Milliarden Euro für den Einzelwagenverkehr, wovon der größte Teil an DB Cargo fließt. Trotz der Subvention bleibt der Spardruck bei DB Cargo hoch, nun soll ein großer Transformationsprozess das Unternehmen effizienter machen. Die Gewerkschaften sind alarmiert.

Der Güterbahnhof Kornwestheim ist sieben Kilometer lang – an dieser Stelle werden die Züge zusammengesetzt. Foto: Simon Granville

Seit Jahren werde die Lage immer schlimmer, sagen die frustrierten Mitarbeiter. Die Eisenbahner haben das Gefühl, aufstehen zu müssen, weil sie sich seit Jahren allein gelassen fühlen mit ihren Anliegen. Nicht alle denken so, aber es sind auch keine Einzelfälle, wie die Recherche zeigt. Die Schiene ist die nachhaltige Zukunft, wird man bei DB Cargo nicht müde zu betonen. Dafür braucht es Personal – das wichtigste Kapital eines Unternehmens. „Ich wünsche mir, dass die Mitarbeiter endlich die Wertschätzung erhalten, die sie verdienen”, sagt einer von ihnen mit Blick in die Zukunft.

Kunden von DB Cargo in der Region

Automobilbranche
 Der Einzugsbereich des Güterbahnhofs Kornwestheim reicht vom Schwarzwald bis zum Bodensee und der Ostalb. Viele der Kunden aus der Automobilindustrie haben ihre Standorte in direkter Umgebung. „Die Region Stuttgart ist einer der größten Ballungsräume mit entsprechend hoher Wirtschaftsleistung und braucht in jedem Fall eine starke Schiene”, sagt Matthias Rathmann, stellvertretender Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V.

Verluste
 Auch die Stahl- , Chemie- und Mineralölindustrie, sowie die Baubranche sind auf DB Cargo angewiesen. „Daher beobachten wir mit Sorge, wie DB Cargo seit Jahren immer mehr Aufkommen verliert und rote Zahlen schreibt”, sagt Rathmann.

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