Güterzuglärm am Mittelrhein Anwälte statt Schutzwände

Ein Protestzug in Rüdesheim – der Streit mit der Bahn währt bereits viele Jahre. Foto:  

Alle dagegen – so ist auch am Mittelrhein der Eindruck, wenn es um den Ausbau der Bahn geht. Doch die Wahrheit ist komplizierter. Der Streit um Güterzuglärm lehrt viel darüber, wie sich Deutschland beim Weg in die Zukunft verheddert.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Nachtfahrverbot für Güterzüge 22.00 – 6.00 Uhr! So steht auf dem Plakat am Durchfahrtsgleis des Bahnhofs von Kamp-Bornhofen, einer kleinen, rheinland-pfälzischen Gemeinde südlich von Koblenz. Wenige Armlängen trennen das Haus, an dem es hängt, von den Gleisen.

 

Heute ist in dem ans rechte Rheinufer geschmiegten Ort, dessen touristischer Glanz auch wegen des Bahnlärms verblasst ist, theoretisch ein ruhiger Tag. Eine Baustelle der Deutschen Bahn einige Kilometer flussabwärts sorgt dafür, dass die meisten Güterzüge auf die linke Rheinseite ausweichen. Wegen des Echos an den steilen Felswänden am Ufer gegenüber sind sie je nach Windrichtung dennoch laut zu hören.

Europarekord bei Güterzügen

„So eine Akustik haben sie nirgend wo sonst in Deutschland“, sagt Willi Pusch von der Bürgerinitiative Mittelrheintal. Kaum hat er seinen Satz zu Ende gesprochen, taucht gleich hinter ihm eine Güterzuglokomotive auf. Er ist nicht mehr zu verstehen, bis der mehr als 40 Wagen lange Lindwurm mit blauen Containern, einige Luftwirbel hinter sich herziehend, um die Kurve verschwunden ist.

Willkommen an der meistbefahrenen Güterzugstrecke Europas, die mitten durch das Unesco-Welterbe „Oberes Mittelrheintal“ führt. Acht bis zehn Züge in der Stunde sind hier die Regel, Tag und Nacht. Zu den täglich etwa 190 Güterfahrten rechts des Rheins kommen auf der anderen Flussseite noch einmal halb soviele dazu. Zum Vergleich: Zwischen Stuttgart und Ulm fahren an Spitzentagen 60 bis 70 Güterzüge.

Das Haus mit dem Plakat steht ungeschützt an den Gleisen. Nur am Hang gegenüber gibt es ein paar niedrige Lärmschutzwände. Warum bloß hier? Sie sind ein Denkmal des SPD-Politikers Franz Müntefering. Als der Ende der neunziger Jahre für kurze Zeit Bundesverkehrsminister war, hatte Pusch es geschafft, ihn zum Ortstermin an den Rhein zu bekommen. Der Minister war beeindruckt. Für einige Meter Lärmschutz war danach Geld da. So werde seit Jahrzehnten herumgedoktert, sagt Bürgermeister Frank Kalkofen (SPD): „Es wurde immer mit Lücken gebaut.“ Billiger wird es dadurch nicht. Aber das Stückwerk hat System: Alles sei freiwillig, sagt die Bahn.

Noch zwei Jahre – und es gäbe die Chance für den großen Wurf. Im Sommer 2026 plant die Bahn ein riesiges Sanierungsprogramm. Für fünf Monate soll die Strecke gesperrt werden. Beim Bauvolumen ist die Bahn in ihrer Präsentation präzise: 3500 neue Balisen für die Zugsicherung zählt sie auf, 67 Kilometer Gleis, 140 Kilometer Oberleitung und exakt 111 Weichen. Doch beim Lärmschutz wird es vage. Südlich von Koblenz werde man die freiwillige Lärmsanierung fortsetzen, sagt ein Bahnsprecher. Nördlich davon prüfe man dies. Für mehr fehle sowohl die Zeit als auch die rechtliche Grundlage. Auf die Frage, ob künftig mehr Züge fahren werden, gibt es keine konkrete Antwort. Nur ein Satz in der Projektpräsentation ist vielsagend: „Die Strecke könnte schon heute deutlich mehr Züge aufnehmen.“

Ungleichbehandlung provoziert Protest

Die Betroffenen empfinden das als Hohn. Sie befürchten mehr Züge. „Wir fordern doch nur das, was die Menschen am Oberrhein bekommen“, sagt Pusch. Dort gebe es im Zuge einer Güterzugneubaustrecke Lärmbekämpfung vom Feinsten. Doch am Mittelrhein pocht die Bahn auf Bestandsschutz – und der erlaubt mehr Dezibel. Absurde Konsequenz: Die Bahn will gerade deshalb beim Lärmschutz zu große Veränderungen an der Strecke offenbar vermeiden. Juristisch wähnt sie sich auf der sicheren Seite. „Zudem wüssten wir nicht, inwiefern Anlieger ein Interesse an der Verhinderung von notwendigen Instandhaltungsarbeiten an unseren Strecken haben sollten,“ sagt ein Sprecher.

Das Thema Bestandsschutz ist in Stuttgart vertraut. Auch beim Abstellbahnhof für Stuttgart 21 in Stuttgart-Untertürkheim kämpft eine Bürgerinitiative gegen diese Argumentation. Zwar gibt es seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Programm, mit dem sukzessive an bestehenden Strecken in Deutschland der Lärmschutz verbessert werden soll. Doch das ist notorisch unterfinanziert – und nicht einklagbar. Wenn man die Strecke schon teuer saniere, dann gehöre umfassender Lärmschutz doch dazu, argumentieren die Anrainer.

„Die Bahn spielt auf Zeit“

„Die Bahn wehrt sich aber erst einmal gegen alles und spielt auf Zeit“, sagt Pusch. So hat die Bürgerinitiative gelernt, auf die Pauke zu hauen. In Puschs Garage liegen gelbe Plakate mit einem rot durchgestrichenen „Rheintal 21“ – nach dem Vorbild des Bahnhofsprotestes in Stuttgart. Als einmal bei einer Demo einige Protestierende die Gleise blockierten, waren die Bilder im Fernsehen. Nur wer radikal ist, der wird gehört, lautet die Erkenntnis. Dabei ist klar, dass Forderungen nach einem Nachtfahrverbot oder Tempo 50 für Güterzüge utopisch sind.

Moderne Waggons sind leiser

Eigentlich könnte man schon viel weiter sein. Moderne Waggons haben die Lage in den vergangenen Jahren verbessert. „Ich wünsche mir immer, dass ein Containerzug Richtung Schweiz vorbeikommt,“ sagt Ivo Ressler, Bürgermeister der hessischen Gemeinde Lorch rechts des Rheins: „Da kann man noch in Ruhe im Garten sitzen.“ Auf dem lukrativen Containermarkt lohnt sich neues Wagenmaterial.

Wenn es rattert, sind es hingegen oft gemischte Züge, bei denen die Deutsche Bahn dominiert. Zwar hat Deutschland 2020 als erstes EU-Land Güterwagen mit lauten Bremssystemen verboten. Doch ein kurzer Hörtest entlang der Strecke zeigt, dass einzelne, klappernde Waggons den Lärmpegel eines ganzen Zuges ruinieren. Die Schweiz löst das durch rigorose Überwachung und scharfe Sanktionen – in Deutschland tun Verstöße hingegen nicht weh.

Unbezahlbare Visionen

Statt das Machbare in den Blick zu nehmen, verheddert man sich hier lieber in Visionen. Im vergangenen Jahr pries Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine neue Güterzug-Tunnelstrecke weitab des Flusstals durch den Westerwald als die Lösung aller Probleme. Bis eine Wirtschaftlichkeitsstudie das milliardenschwere Projekt zerpflückte – das erst in vielen Jahren Entlastung bringen könnte. Gleichzeitig verliert das reale Vorhaben in zwei Jahren durch das Abblocken beim Lärmschutz die Akzeptanz.

Kommunen machen mobil

Und so versammeln sich auf dem Rheinschiff Loreley Elegance vor der Kulisse vorbeiratternder Güterzüge drei Dutzend Bürgermeister und Landräte aus Hessen und Rheinland-Pfalz. Sie schmieden bei einigen Gläschen Wein den lokalen Widerstand. Am Ende würde es auf eine juristische Torpedo-Taktik herauslaufen, welche die Kommunen viel Geld kosten dürfte. Die Bahn sowieso.

Die Liste der Stolpersteine, die ihr in den Weg gelegt werden könnten, ist lang. Fachanwalt Matthias Möller aus Worms braucht dazu 32 Vortragsseiten. Die Kommunen könnten Lärmaktionspläne verabschieden, die juristisch überprüft werden müssten, sagt er. Und man könne vor allem den Bestandschutz hinterfragen, wie das Gerichte schon getan hätten. Es geht um Gleislageänderungen, Radsatzlasten und die Frage, ab wann „ein erheblicher baulicher Eingriff“ beginnt. Oder um Zivilklagen und Eingaben beim Eisenbahn-Bundesamt.

Das Königreich Preußen kommt ins Spiel

Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen. Mit dem Geld dafür könnte manche Lärmschutzwand gebaut werden. Am Ende richtet sich der Blick nicht in die Zukunft, sondern weit in die Vergangenheit. Vielleicht sei ein juristischer Joker, die einstige Baugenehmigung des Königreiches Preußen anzufechten, sagt Anwalt Möller: „Seit 1856 hat sich der Lärm nur durch den Austausch der Anlagen nach dem Stand der Technik vervielfacht.“ Im Publikum präzisiert ein Teilnehmer: „Unser Abschnitt lag im Fürstentum Hessen-Nassau“. Ein anderer wirft ein: „Wir waren aber Hessen-Darmstadt!“ Und ein Dritter kommt ins Grübeln: „Wenn wir uns mit sowas beschäftigen, dann weiß ich, warum in unserem Land nichts vorangeht.“ Oder doch? Die Bahn scheint ihre Risiken neu zu kalkulieren. Nach der Veranstaltung nahm auf einmal der DB-Konzernbevollmächtigte persönlich die Einladung an, sich die Lage vor Ort einmal anzuschauen.

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