Gunter Demnig hat mit 27.000 Mahnmalen für die Opfer des Nationalsozialismus das größte dezentrale Denkmal der Welt geschaffen. Ein Hausbesuch.

Stuttgart - Am 6. Oktober 2009 hat Gunter Demnig in schönster Halbhöhenlage für Martha und Otto Hirsch zwei Stolpersteine verlegt. Das jüdische Ehepaar hatte einst dort oben, am Stuttgarter Gähkopf, gewohnt und war 1942 - er im KZ Mauthausen, sie in Riga - von den Nationalsozialisten ermordet worden. Am Montagabend erhält Demnig im Rathaus die Otto-Hirsch-Medaille. "Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung und nehme sie gerne entgegen - auch stellvertretend für die vielen Helferinnen und Helfer, die gerade in Stuttgart meine Aktion tragen und überhaupt erst möglich machen", sagt er.

Ein Hinterhof in der Kölner Innenstadt. Hier lebt und arbeitet Gunter Demnig. Das Atelier des gebürtigen Berliners, Jahrgang 1947, gleicht einem kreativen Chaos: Bücher und Bilder, Skulpturen und alte Möbel, Kunst und jede Menge Krempel, Bett und Büro auf einem hohen Holzgestell, die kleine Küche in einer Ecke. Kaum zu glauben, dass sich einer darin zurechtfindet, gar die Disziplin aufbringt, an 200 Tagen im Jahr irgendwo pünktlich zur Stelle zu sein, wenn es gilt, Stolpersteine, die an die Opfer des NS-Regimes erinnern, in Gehwege einzulassen. "Ich muss hier raus, stecke mitten im Umzug", erzählt Demnig beiläufig. Im alten Stellwerk der Köln-Benzelrieder Eisenbahn, draußen in Frechen, habe er ein neues Domizil gefunden. Der Ort ist bundesweit bekannt, weil der TV-Unterhalter Alfred Biolek dort einst seine Kultsendung "Bio's Bahnhof" gemacht hat.

Demnig hat in zehn europäischen Staaten Stolpersteine verlegt


Rückblick. Im Mai 1990 will der Künstler Demnig mit einer "Kreidespur", die aus der Stadt zum Bahnhof führt, daran erinnern, dass die Nazis 50 Jahre zuvor eintausend Kölner Sinti und Roma, seit Generationen angesehene Bürger der Stadt, in die Messehallen nach Deutz gebracht haben - und von dort aus in die Vernichtungslager. Erst im letzten Augenblick stimmt die Verwaltung seiner Aktion zu. Als sich herausstellt, dass der Bildhauer gar keine richtige Kreide, sondern "feinste Fassadenfarbe" für seine Spur verwendet hat, gibt es Probleme - die jedoch im Sande verlaufen.

Demnig berichtet: "Während dieser Aktion kam eine ältere Frau auf mich zu und sagte: ,Hier in unserer Nachbarschaft haben doch gar keine Zigeuner gewohnt.' Als ich ihr einige Namen der Deportierten nannte, schwieg sie betreten - sie hatte gar nicht gewusst, dass viele ihrer früheren Nachbarn tatsächlich Sinti und Roma gewesen sind." Dieser Vorfall brachte den Künstler auf die Idee seines Lebens: "Mit den Stolpersteinen möchte ich die Leute daran erinnern, wer in ihrer Stadt, in ihrer unmittelbaren Nähe gelebt hat und von dort aus verhaftet, deportiert und ermordet worden ist." Deshalb trügen die goldenen Messingplatten seiner kleinen Quader die Namen und die wichtigsten Lebens- und Todesdaten der Opfer.